Musiklexikon: Was bedeutet Vorzeichnung?

Vorzeichnung (1882)

Vorzeichnung, die zu Beginn eines Tonstücks oder Teils zwischen Schlüssel und Taktzeichen gesetzten Kreuze oder Bee [sic], welche bestimmen, dass statt der Töne der Grundskala (c d e f g a h) ohne weitere Bezeichnung im einzelnen Fall durch Akzidentalien immer die vorgezeichneten erhöhten oder erniedrigten genommen werden sollen.

Heute gibt die Vorzeichnung Aufschluss über die Tonart, wenn sie auch unbestimmt lässt, ob die Durtonart oder die parallele Molltonart gemeint ist. Das Fehlen jedes vorgezeichneten  oder  bedeutet C-Dur oder A-Moll,
ein ♯ bedeutet G-Dur oder E-Moll,
zwei ♯ bedeutet D-Dur oder H-Moll,
drei ♯ bedeutet A-Dur oder Fis-Moll,
vier ♯ bedeutet E-Dur oder Cis-Moll,
fünf ♯ bedeutet H-Dur oder Gis-Moll,
sechs ♯ bedeutet Fis-Dur oder Dis-Moll,
sieben ♯ bedeutet Cis-Dur oder Ais-Moll;
ein ♭ bedeutet F-Dur oder D-Moll,
zwei ♭ bedeutet B-Dur oder G-Moll,
drei ♭ bedeutet Es-Dur oder C-Moll,
vier ♭ bedeutet As-Dur oder F-Moll,
fünf ♭ bedeutet Des-Dur oder B-Moll,
sechs ♭ bedeutet Ges-Dur oder Es-Moll,
sieben ♭ bedeutet Ces-Dur oder As-Moll.

Doppel-B oder Doppelkreuze finden sich äußerst selten als Vorzeichnung, doch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, zum Beispiel ein Gis-Dur durch 6 ♯ und 1 x ([Doppelkreuz] vor f) oder ein Des-Moll durch 6 ♭ und 1  ♭♭ (vor h) zu fordern etc.

Vorzeichnung (Riemann 1882)

Solange die Kirchentöne noch in der Praxis lebendig waren (d. h. bis ins 17. Jahrhundert hinein), wurde von der Vorzeichnung nur ein sehr beschränkter Gebrauch gemacht. Noch das 16. Jahrhundert kannte eigentlich nur die Vorzeichnung eines einzigen ♭ oder eines einzigen ♯. Dieses bedeutete die Transposition der Grundskala in die Oberquinte (Cantus durus), jenes die Transposition in die Unterquinte (Cantus mollis). Wie aber heute bei einem ♯ oder ♭ die Tonart ebensogut Dur wie Moll sein kann, so konnte sie damals ebensogut dorisch wie phrygisch oder mixolydisch oder äolisch etc. sein (vergleiche Kirchentöne). War nichts vorgezeichnet, so hatten die Kirchentöne ihre natürliche Lage (Cantus naturalis). Sehr selten finden sich im 16. Jahrhundert zwei ♭ vorgezeichnet (die sogenannte Transposition der Transposition); man darf nicht die zweimalige Vorzeichnung des ♭ vor zweierlei h auf demselben Liniensystem für zwei verschiedene Bee [sic] ansehen, z. B.:

Auch findet sich beim Violinschlüssel häufig ein ♭ vor f, das man nicht etwa auf e beziehen darf (vergleiche Chiavette):
Vorzeichnung (Riemann 1882)
[Riemann Musik-Lexikon 1882, 985f]

Vorzeichnung (1865)

Vorzeichnung, die Versetzungszeichen , , , x, ♭♭ und ♮♮, siehe Notenschrift.

Das einfache Kreuz [♯] und Be [♭] finden zweifache Anwendung:

  1. Als reguläre Vorzeichnung, zur Herstellung der dem Dur- und Mollgeschlecht entsprechenden Folge der ganzen und halben Töne [Ganz- und Halbtonschritte], bei der Versetzung der C-Dur- und A-Moll-Tonart auf andere Stufen der diatonisch-chromatischen Skala. Wird die Durskala [beispielsweise] auf dem Ton G errichtet, so muss die siebente Stufe um einen Halbton erhöht, wird sie auf F transponiert, so muss die vierte Stufe um ebensoviel erniedrigt werden. Bei jeder ferneren Transposition um eine Quinte aufwärts kommt als Erhöhung des Leittons ein ♯, und bei jeder folgenden Versetzung um eine Quinte abwärts (oder Quarte aufwärts) kommt als Erniedrigung der Quarte der neuen Tonart ein ♭ hinzu. Den Quintenzirkel findet man unter Tonart erklärt, daher hier nur eine Übersicht der Dur- und Molltonarten mit ihrer Vorzeichnung erfolgt:
    Vorzeichnung (Dommer 1865)

    Vorzeichnungen bei Dur und Moll


    Das ♭♭, x und kommen als reguläre Vorzeichnung nicht vor, denn das Quadrat [Auflösungszeichen, ♮] dient nur zur Wiederherstellung der natürlichen Beschaffenheit der Töne, das ♭♭ und x würden aber (als reguläre Vorzeichnung) nur in Tonarten erscheinen, deren man ihrer vielen Vorzeichnungen wegen sich nicht bedient, weil ihre enharmonischen Tonarten einfacher und bequemer sind. Sie erscheinen daher, gleich dem ♮, nur als
  2. zufällige Vorzeichnung, im Verlaufe des Stückes auftretend. Die zufällige Vorzeichnung dient
    a) zur Bezeichnung des Leittons der Molltonart, welcher unter die reguläre Vorzeichnung nicht aufgenommen wird, zum Beispiel das Gis in A-Moll, Dis in E-Moll, B♮ [H] in C-Moll etc.;
    b) zur Einführung leiterfremder Töne, welche entweder nur als ein melodischer Schmuck auftreten, wie die unter Melodie, Beispiel 4, mit + bezeichneten chromatischen Töne; oder eine wirkliche Ausweichung vollziehen, in welchem Fall dann die zufälligen Versetzungen zur Herstellung des Verhältnisses der Ganz- und Halbtöne der neu eingeführten Tonart zu dienen haben, siehe Ausweichung.

Die reguläre Vorzeichnung am Schlüssel pflegt man nur dann zu ändern, wenn eine neue Tonart, mit dem Charakter einer neuen Haupttonart auftretend, während eines ganzen Teils andauert. Bleibt sie nur Nebentonart (wie z. B. die Dominant- oder Paralleltonart des zweiten Themas in der Sonate), so ändert man die reguläre Vorzeichnung nicht, sondern bedient sich der zufälligen Versetzungszeichen. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 957f]

Vorzeichnung (1840)

Vorzeichnung, franz. Signes, engl. Signatures, nennt man die zu Anfang eines Tonstücks und des Liniensystems neben dem Schlüssel befindlichen Zeichen und Zahlen. Dieselbe ist zweierlei:

  1. chromatisch
  2. rhythmisch.

Erstere besteht in den sogenannten (wesentlichen) Versetzungszeichen, welche die dem Tonstück zum Grunde liegende Tonart anzeigen;

Vorzeichnung (Gathy 1840)

Vorzeichnung der Tonart

letztere in Zeichen oder Zahlen, welche die in [dem Tonstück] herrschende Taktart anzeigen. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 496]

Vorzeichnung (1879)

Vorzeichnung nennt man die zu Anfang eines Tonstücks, also in der ersten Notenzeile neben dem für die einzelnen Stimmen gesetzten Schlüssel befindlichen Zeichen und Zahlen. Die Vorzeichnung ist zweierlei, nämlich chromatisch (, x, , ♭♭) und rhythmisch (4/4, 3/4 etc.). Erstere besteht in den sogenannten wesentlichen Erhöhungs- und Erniedrigungszeichen (siehe Versetzungszeichen) und hat ihren Grund in der Natur der Tonleiter und in dem Umstande, dass sich auf jeder Stufe der Oktave eine eigene Tonleiter bilden lässt; letztere in Zahlen und Zeichen, welche die in dem Tonstück herrschende Taktart andeutet. [Riewe Handwörterbuch 1879, 286]