Versetzungszeichen, Accidentalen (1882)
Versetzungszeichen (Accidentalen), die Zeichen der Erniedrigung, Erhöhung und Wiederherstellung der Stammtöne (s. d.[1]), also ♭, ♯, ♮, ♭♭, x, ♮♭, ♮♯, ♮♮. Das einfache ♭ erniedrigt um einen Halbton, das ♯ erhöht um einen Halbton, ♮ stellt in beiden Fällen den Stammton wieder her.
Das Doppel-B (♭♭) erniedrigt um zwei Halbtöne; z. B. ist auf dem Klavier die Taste a, heißt aber nicht a, sondern heses. Auch nach vorausgegangenem oder vorgezeichnetem einfachen ♭ werden heses, eses, asas etc. durch das doppelte ♭ gefordert. ♮♭ macht aus dem doppelt erniedrigten Ton einen einfach erniedrigten, ♮♮ stellt aus dem doppelt erniedrigten den Stammton wieder her.
Das Doppelkreuz (x) erhöht um zwei Halbtöne, so dass auf dem Klavier die Taste g bedeutet (fisis). Auch bei vorgezeichneten einfachen Kreuzen werden fisis, cisis etc. durch x gefordert. ♮♯ macht aus dem doppelt erhöhten Ton den einfach erhöhten, ♮♮ stellt den Stammton wieder her. Manche Komponisten bedienen sich in allen Fällen des einfachen ♮ zur Herstellung des Stammtons.
Über die Bedeutung der zu Beginn eines Tonstücks oder Teils, überhaupt zu Beginn der Zeile oder nach einem Doppelstrich vorgezeichneten Versetzungszeichen vgl. Vorzeichnung.
♮ und ♯ sind ursprünglich identische Zeichen, das ♭♭ und x sind erheblich jüngeren Ursprungs und tauchen erst etwa um 1700 auf. Das ganze Versetzungswesen (Cantus transpositus, transformatus, Musica ficta, falsa) hat sich erst allmählich entwickelt aus einer zweifachen Gestalt des B, des zweiten Buchstaben der Grundskala, welcher bereits im 10. Jahrhundert entweder rund gezeichnet wurde (B rotundum, molle ♭) oder eckig (B quadratum, durum ) und dann im ersten Fall unser B, im letzteren unser H bedeutete (h ist überhaupt nur durch Verwechslung mit ♮ im 16. Jahrhundert in die Buchstabentonschrift gekommen, siehe Tabulatur). Schon im 13. Jahrhundert hatte das durch flüchtiges Schreiben vollständig die Gestalten ♯ und ♮ angenommen und war durch Übertragung der Doppeldeutigkeit des B auf andre Stufen (E, A) das Zeichen für den höheren der beiden zusammengehörigen Töne geworden, während ♭ den tieferen bedeutete. So wurde ♭ Zeichen der Erniedrigung und ♮ Zeichen der Erhöhung derart, dass auch ♮ vor F unser Fis und ♭ vor F nicht fes, sondern eben F zum Unterschied von Fis bedeutete.
Noch zu Ende des 17. Jahrhunderts ist ♭ das Auflösungszeichen des Kreuzes und ♯ oder ♮ das Auflösungszeichen des ♭, und man muss sich wohl hüten, die Zeichen in modernem Sinn aufzufassen. Zu beachten ist auch, dass erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sich der Gebrauch entwickelte, dass ein ♯ oder ♭ den ganzen Takt hindurch galt, dass dasselbe vielmehr nur weitergalt, wenn dieselbe Note mehrmals angegeben wurde, sonst aber nach auch nur einer fremden wiederholt werden musste. Vgl. Riemann, Studien zur Geschichte der Notenschrift, S. 52-63 ("Die Musica ficta"). [Riemann Musik-Lexikon 1882, 962]
1 Ein entsprechender Artikel "Stammton" oder "Stammtöne" fehlt in Riemanns Lexikon von 1882.