Musiklexikon: Was bedeutet Leitton?

Leitton (1929)

Leitton heißt ein zu einem anderen hinleitender, denselben in der Erwartung anregender Ton, vorzugsweise der einen Halbton unter der Tonika gelegene [Ton] ([lateinisch:] Subsemitonium modi, französisch: Note sensible, englisch: Leading note), z. B. h in C-Dur, fis in G-Dur usw. Der Leitton dieser Art ist immer die Terz der Dominante. Ebenso wichtig wie für Dur das Subsemitonium ist aber für Moll der Leitton von oben, das Suprasemitonium, der Halbton über dem Schlusston, wie er allen phrygischen Schlüssen eigen ist. Er ist stets die Terz der Subdominante.

Damit ist aber die Bedeutung der Leittöne nicht erschöpft. Jedes # oder , welches einen leiterfremden Ton bringt, führt damit einen Ton ein, der als Leitton wirkt, d. h. einen Halbtonschritt nach oben (#) oder nach unten () erwarten lässt. So wirkt in C-Dur ein fis als Leitton zu g, ein b als Leitton zu a, dis als Leitton zu e, des zu c usw. Über die mathematisch-akustischen Bestimmungen des Leittons vgl. Intervall und Tonbestimmung. [Einstein/Riemann Musiklexikon 1929, 1020]

Leitton (1882)

Leitton heißt ein zu einem anderen hinleitender, denselben in der Erwartung anregender Ton, vorzugsweise der einen Halbton unter der Tonika gelegene (Subsemitonium modi, französisch: Note sensible, englisch: Leading note), zum Beispiel h in C-Dur, fis in G-Dur etc. Der Leitton dieser Art ist immer die Terz der Oberdominante.

Es gibt aber noch eine andere Art von Leitton, die ebenso wichtig ist wie das Subsemitonium, nämlich der Leitton von oben, das Suprasemitonium. Jedes oder , welches einen Ton des tonischen Dreiklangs selbst oder eines der Dominantakkorde erhöht resp. erniedrigt, führt einen Ton ein, der als Leitton wirkt, d. h. einen Halbtonschritt nach oben (♯) oder nach unten (♭) erwarten lässt. So wirkt in C-Dur ein fis als Leitton zu g, ein b als Leitton zu a, dis als Leitton zu e, des zu c usw.

Das akustische Verhältnis des Leittons zum folgenden Ton ist stets 15:16 oder 16:15, d. h. das des 15. Obertons (des 5. vom 3., d. h. der Terz der Quinte) resp. des 15. Untertons (der Unterterz der Unterquinte) zum Hauptton, dem 16. Ober- oder Unterton, zum Beispiel c (g) h oder c (f) des. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 516]

Leitton (1865)

Leitton. Ein Ton, der, wenn er unter gewissen Verhältnissen zur Tonart in der Melodie oder Harmonie auftritt, eine bestimmte Fortschreitung, je nach seiner Natur und Beschaffenheit, in die nächsthöhere oder nächsttiefere Stufe fordert. Leitton wird er genannt, weil er den Tongang in einen bestimmten Ton, dessen Gefühl er in unserem Ohre im Voraus erweckt, hineinleitet.

Es gibt verschiedene Arten von Leittönen, nämlich
1) solche, die in der Tonart leitereigen und stets melodische Haupttöne (im Anschlag der Akkorde stehende Töne) sind.
a) Das Semitonium (Subsemitontum) modi, die im engeren Sinn Leitton der Tonart genannte große Septime der Tonart, wenn sie harmonischer Bestandteil des in den tonischen Dreiklang sich auflösenden Dominant- oder Dominantseptimen-Akkordes sowie auch des verminderten Dreiklanges der siebenten Stufe und deren Umkehrungen ist. In diesem Fall fordert die große Septime die Oktave zur Auflösung, indem sie die melodische Bewegung der Tonart durch Hineinleiten in die Oktave zum Abschluss bringt, wovon unser Tongefühl uns leicht überzeugt, wenn wir die Skala aufwärts bis zur großen Septime durchlaufen, worauf alsdann das Gehör die Oktave als natürlichen Abschluss erwartet. In welcher Stimme der Akkordfolge die große Septime auftritt, bleibt sich gleich, denn sie macht ihre Hinneigung zur Oktav überall geltend, Beispiel 1a. Doch weicht sie in den Mittelstimmen, wo sie weniger deutlich gehört wird, unter Umständen eher von ihrem regulären Gange ab, wie unter 1b der Vollständigkeit des Schlussakkordes zu Liebe. Das Ohr übernimmt in solchen Fällen die reguläre Auflösung selbst. In der Oberstimme hingegen macht sich ebendieselbe Fortschreitung als steif und unnatürlich fühlbar, 1c. Hingegen ist das Aufwärtsspringen des Leittones in die große oder kleine Terz des tonischen Dreiklanges auch in der Oberstimme (1d) keineswegs selten und durchaus wohlklingend. Unter Beispiel 1e ist der Leitton vom Akkordanschlag durch eine Wechselnote verdrängt, wodurch an seiner Wirkung aber nichts geändert wird.

Leitton (Dommer 1865)

Leitton, Notenbeispiele 1a-1e

Diesen Charakter als Leitton hat die große Septime aber nur, wenn sie Bestandteil der Akkorde V oder V7 und VII- ist; denn sie kann auch in anderen Akkorden derselben Tonart vorkommen, doch ohne in diesen Fällen Leitton, folglich auch ohne an die Auflösung um einen großen halben Ton aufwärts gebunden zu sein. In Beispiel 2a gehört sie dem tonischen Dreiklang als Septime, in 2b dem Akkord der 3. Stufe als Quint an, hat in beiden Fällen andere harmonische Bedeutung, wodurch denn auch ihre melodische Beziehung zur Oktave aufgehoben ist. Und ebendasselbe kann auch stattfinden, wenn sie allerdings Terz des Dominantakkordes ist, dieser jedoch nicht in den tonischen Dreiklang, sondern in einen anderen derselben Tonart leitereigenen Akkord fortschreitet (2c); desgleichen bei der Trugfortschreitung 2d. Folgt auf den Dominantakkord ein leiterfremder, ausweichender Akkord, so wird die Leittonbedeutung der großen Septime selbstverständlich aufgehoben, z. B. 2e.

Leitton (Dommer 1865)

Leitton, Notenbeispiele 2a-2e

b) Die Quarta toni, vierte Stufe der Tonart, wenn sie als Bestandteil des Dominantseptimenakkordes und des verminderten Dreiklanges der 7. Stufe, nämlich in jenem als kleine Septime, in diesem als verminderte Quint, oder als Umkehrung dieser Intervalle erscheint. Als solche ist sie an Auflösung um eine halbe oder ganze Stufe abwärts gebunden und insofern ebenfalls als ein Leitton in weiterem Sinne anzusehen, Beispiel 3.

Leitton (Dommer 1865)

Leitton, Notenbeispiel 3

Des sehr häufigen Aufwärtsschreitens der Septime und verminderten Quinte ist unter Septime, Septimenakkord, Quinte und Sextakkord gedacht.

2) Leittöne, die in der Tonart leiterfremd sind und entweder als melodische Haupttöne auch harmonische Bedeutung haben oder nur Nebentöne sind.
a) Sind sie melodische Haupttöne, so erscheinen sie als Leittöne anderer Tonarten und vollziehen eine Ausweichung, wie die Töne fis und gis in Beispiel 4 kurze Ausweichungen nach G-Dur und A-Moll vollziehen. Das Nähere unter Ausweichung.

Leitton (Dommer 1865)

Leitton, Notenbeispiel 4

b) Sind sie nur melodische Nebentöne, so haben sie keine harmonische Bedeutung, sondern nur die Geltung alterierter, in melodischem Interesse chromatisch veränderter Töne, vollziehen daher keine Ausweichung. Leittöne sind sie zu nennen, insofern sie ebenfalls ihre bestimmte Fortschreitung fordern. Sie resolvieren um einen halben Ton aufwärts, wenn sie chromatische Erhöhungen, um ebenso viel abwärts, wenn sie chromatische Erniedrigungen diatonischer Töne sind. Es gehören dazu
die Quint des III+ in Moll, wenn die Erhöhung der kleinen Septime zur großen auch auf sie angewendet wird, sie demnach zur Terz der Tonart als übermäßige Quinte erscheint, in welchem Falle sie ihren bestimmten Fortschritt um einen halben Ton aufwärts nimmt, Beispiel 5a. Auch die verminderte Quint kann als ein solches bloß alteriertes Durchgangsintervall auftreten, 5b.
Ferner alle übrigen aus melodischen Absichten erhöhten oder erniedrigten Töne, die den auf sie folgenden diatonischen Stufen als große halbe Töne vorangehen, ohne weiteren Einfluss auf eine Änderung der Tonart zu üben, 5c.

Leitton (Dommer 1865)

Leitton, Notenbeispiele 5a-5c

Wenngleich diese chromatisch veränderten Töne das Wesen von Leittönen haben, so pflegt man doch, wenn man vom Leittone spricht, insbesondere die große Septime der Tonart darunter zu verstehen. Hinsichtlich ihrer Verwendung im mehrstimmigen Satz aber sind alle diese Intervalle derselben Regel, dass sie nicht verdoppelt werden dürfen, unterworfen. Denn da sie alle bestimmte Fortschreitung haben, müssen aus der Verdoppelung notwendigerweise fehlerhafte Oktavparallelen entstehen. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 508ff]

Leitton (1802)

Leitton. Es gibt in jeder Tonleiter gewisse Töne, die, wenn man in der Melodie unter gewissen Umständen auf sie stößt, ohne Beleidigung des Ohres in keine andere als in die unmittelbar darüber oder darunter liegende Stufe treten können. Diese Töne nennt Sulzer Leittöne, weil sie das Ohr auf gewisse andere Töne hinleiten oder das Gefühl derselben im Voraus erwecken. Zu diesen Leittönen gehören

  1. die große Septime, die, besonders wenn in der Harmonie die vierte Stufe der Tonleiter damit in Verbindung gebracht worden ist, in die Oktave treten muss, wie zum Beispiel der Ton h in folgendem Satz:
    Leitton (Koch 1802)

    Leitton h als große Septime in C-Dur

  2. die vierte Stufe der Tonleiter, wenn sie die Septime des Dominantakkordes oder ein Intervall eines durch die Umkehrung davon abstammenden Akkordes ist, zum Beispiel:
    Leitton (Koch 1802)

    Leitton f als Septime des Dominantakkordes G in C-Dur

  3. alle zufällig erhöhten oder erniedrigten Töne der Tonart; in diesem Fall verlangt jederzeit das Ohr bei dem zufällig erhöhten Tone die unmittelbar darüber liegende, bei dem erniedrigten Ton aber die unmittelbar darunter liegende Stufe zu hören, zum Beispiel:
    Leitton (Koch 1802)

    Leittöne

[Koch Musikalisches Lexikon 1802, 898f]

Leitton (1840)

Leitton wird im Allgemeinen jeder Ton genannt, der in Verbindung mit anderen ein Verlangen der Auflösung in einen zunächst darüber oder darunter liegenden halben Ton in den Hörern erweckt. Es sind dies alle zufällig erhöhten oder erniedrigten Töne und vorzüglich die große Septime des Grundtones und die kleine Septime im Dominantakkord. Vorzugsweise der großen Septime, dem Unterhalbton (subsemitonium modi), als der Note, durch welche sich eine Tonart von einer anderen wesentlich unterscheidet und deren Eintritt oder Modifizierung das Gefühl der neuen Tonart im Voraus erweckt, legten die Franzosen den bezeichnenden Namen der empfindlichen bei, Note sensible (Beispiel siehe unter Septime). [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 273]

Leitton (1879)

Leitton, im allgemeinen Sinne ein Ton, der, wenn er unter gewissen Verhältnissen zur Tonart in der Melodie oder Harmonie auftritt, eine bestimmte Fortschreitung je nach seiner Natur in die nächst höhere oder nächst tiefere Stufe fordert. Dahin gehören zum Beispiel die große Terz und die kleine Septime im Dominantseptimenakkord (wenn auf diesen der Akkord der Tonika folgt), die Quinte im übermäßigen Dreiklang, der Grundton und die Septime im verminderten Septimenakkord (wenn auf diesen der tonische Dreiklang folgt) etc.

Man nennt im engeren Sinn Leitton die große Septime einer Dur- oder Molltonleiter, wenn sie harmonischer Bestandteil des in den tonischen Dreiklang sich auflösenden Dominant- oder Dominantseptimenakkords sowie auch des verminderten Dreiklangs der siebenten Stufe und deren Umkehrungen ist. In diesem Falle fordert die große Septime die Oktave zur Auflösung. [Riewe Handwörterbuch 1879, 146]