Zeichen (1882)
Zeichen. Die Notenschrift ist eine Zeichensprache, darauf berechnet, ohne Reflexion direkt intuitiv erfasst zu werden. Die für dieselbe benutzten Zeichen sind daher zwar konventionell, aber nur teilweise willkürlich, und jederzeit werden neue Zeichen, welche direkt anschaulich sind, ältere, auch noch so eingebürgerte, die minder anschaulich sind, verdrängen, während umgekehrt noch so verständig scheinende Vereinfachungen, die aber Reflexion erfordern, d. h. die Anschaulichkeit vermindern, nie Boden finden können.
Die ältere Mensuralnotenschrift (siehe dort) drückte die Dauer eines Tons ungefähr durch die räumliche Ausdehnung des Notenkörpers aus:
Die herabgehende Cauda der Maxima und Longa wirkt auf die Anschauung als belastend, herabziehend; umgekehrt war für die kleineren Notenwerte (um 1300) die nach oben gehende Cauda das direkt der Anschauung Zusagende, eine leichtere Beweglichkeit Andeutende. Besonders erschienen die kleinsten Werte durch die flatternden Fähnchen leicht beschwingt:
Es wird in den meisten Lehrbüchern und Lexika viel zu wenig Wert auf diese streng durchgeführte Unterscheidung der Richtung der Cauda gelegt, welche erst seit der tabulaturmäßigen Zusammenpferchung mehrerer Stimmen in ein Liniensystem (siehe Partitur) aufgegeben wurde.
Als man um 1400 die weißen Noten einführte, war es wieder durchaus anschaulich, die leeren, hohlen Körper den größten Notenwerten zu geben, dagegen für die kleinsten, welche schnell gelesen werden müssen, die schwarzen Punkte zu lassen:
Die direkte Auffassung der rhythmischen Verhältnisse wurde ferner wesentlich gefördert durch die gemeinsamen Querstriche der zu einem größeren zusammengehörigen kleinsten Notenwerte:
und durch den Taktstrich, welche beide zuerst in der Notierung für Instrumente (siehe Tabulatur) im Gebrauch waren und im 17. Jahrhundert in die Notierung für Gesang (Mensuralnotierung) übergingen.
Die Tonhöhenveränderung veranschaulicht unsere Notenschrift durch die höhere und tiefere Stellung der Notenkörper auf einem System von fünf Linien und durch ♭, ♯, ♮, ♭♭ und x [Doppelkreuz]. Ob die letzteren Zeichen, welche nicht direkt anschaulich sind, sich einmal werden verdrängen lassen durch eine weitere Vervollkommnung der direkten Veranschaulichung, bleibt abzuwarten. Indessen hat der Gedanke nichts Unwahrscheinliches (siehe Chroma). Die nun [um 1880] seit ca. zwei Jahrhunderten antiquierte deutsche Tabulatur erforderte ein gut Teil Reflexion, da sie nicht anschaulich gestellte Punkte, sondern in einer Linie stehende Buchstaben zur Tonhöhenbezeichnung anwandte. Anschaulich ist dagegen die von ihr herrührende, noch heute übliche Unterscheidung der Oktavlagen durch Striche oder Zahlen [und Groß- und Kleinschreibung]: ,C C c c' c'' c''' oder 1C C c c1 c2 c3 (siehe A).
Als besonders anschaulich sind noch die folgenden Zeichen hervorzuheben:
Repetitionszeichen/Wiederholungszeichen,
Legatobogen, Bindebogen (siehe Legato),
stärker werdend (siehe Crescendo), schwächer werdend (siehe Diminuendo),
besonders hervorgehoben (Sforzato), vergleiche aber Bogenstriche,
gebrochener Akkord (Arpeggio).Der alten Neumenschrift entstammen eine Anzahl abgekürzter Notierungsweisen, nämlich die der Verzierungen:
Doppelschlag, umgekehrter Doppelschlag, Pralltriller, Mordent, Triller.
Veraltete Zeichen sind:
Über die Bedeutung der Zahlen 1, 2, 3, 4, 5 etc. sowie der römischen I, II, II etc. der durchstrichenen Zahlen etc. siehe Ziffern.
Über die Bedeutung der Zeichen:
sowie der Brüche: 2/1, 2/2, 2/4, 2/8; 3/1, 3/2, 3/4, 3/8; 6/2, 6/4, 6/8, 6/16; 9/4, 9/8, 9/16; 12/4, 12/8, 12/16 etc. und der Zahlen 2, 3 als Taktvorzeichnungen siehe Taktvorzeichnungen, Metrik und Proportionen.
Die älteren Formen der Schlüssel:
sind unter G, F und C zu suchen.
Γ, siehe Gamma; δδ, siehe Artikel "D".Ein kleiner Strich bei der Zahl, welcher die Größe einer Orgelstimme angibt (8', 16' etc.) bedeutet "Fuß", "füßig" - siehe Fußton. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 1024ff]