Musiklexikon: Was bedeutet Tonleiter?

Tonleiter (1879)

Tonleiter, lateinisch: Scala, heißt eine stufenweise Folge von Tönen innerhalb einer Oktave. Nach der Beschaffenheit der Stufen und der Ordnung derselben unterscheidet man drei Gattungen von Tonleitern:

Die wichtigste ist die diatonische Tonleiter, aus einer Folge von 5 ganzen und 2 großen (diatonischen) halben Tönen bestehend und wiederum in Durtonleiter und Molltonleiter zerfallend [unterschieden]. Wird der erste halbe Ton [Halbtonschritt] von der dritten mit der vierten Stufe, der zweite von der siebten mit der achten Stufe gebildet, als:

c-d-e^f-g-a-h^c

so entsteht die Durtonleiter. Über dem Grundton [im obigen Beispiel der Ton c] erheben sich hier eine große Sekunde, große Terz, große Sexte und große Septime und eine reine Quarte, reine Quinte und reine Oktave. Alle ihre Intervalle sind also im Verhältnis zum Grundton große und reine.

Wird dagegen der erste halbe Ton von der zweiten mit der dritten Stufe, der zweite von der fünften mit der sechsten gebildet, als:

a-h^c-d-e^f-g-a

so ist dies die Molltonleiter. Über den Grundton [im obigen Beispiel der Ton a] erheben sich eine kleine Terz, kleine Sexte und kleine Septime, eine große Sekunde und reine Quarte, reine Quinte und reine Oktave. Beim Ganzschluss wird indessen, da der Dominantakkord einer großen Terz bedarf, die siebte Stufe erhöht und die Tonleiter heißt dann:

a-h^c-d-e^f-^gis^a

Der in der Melodieführung ungewöhnlich übermäßige Sekundschritt f-gis wird dann wieder beim Aufsteigen der Tonleiter durch Erhöhung des f [zu fis] als Durchgang zum gis in eine große Sekunde verwandelt:

a-h-^c-d-e-fis-gis^a

beim Absteigen aber die Erhöhung des Leittons und der Sexte wieder aufgehoben:

a-g-f^e-d-c^h-a

Die beiden anderen Gattungen von Tonleitern, neben der diatonischen, sind die chromatische, eine in Halbtönen gleichmäßig fortschreitende Tonreihe, und die (im Sinn des jetzigen Tonsystems) enharmonische Tonreihe.

Die Tonleitern als Grundlage der Tonstücke [Kompositionen] heißen Tonarten. [Riewe Handwörterbuch 1879, 263]

Tonleiter (1882)

Tonleiter ist nach der älteren Musiklehre identisch mit Tonart (siehe dort). Seit aber die neuere Theorie die Terzenverwandtschaft der Töne und Klänge erkannt hat (siehe Tonverwandtschaft), erscheint es als Willkür, z. B. den E-Dur-Akkord und As-Dur-Akkord als nicht zur C-Dur-Tonart gehörige Klänge zu betrachten. Der Begriff der Tonart ist daher zu dem der Tonalität (siehe dort) erweitert worden, während die Tonleiter als Akkord der Tonika mit Durchgangstönen erscheint:

Tonleiter (Riemann 1882)

Durtonleiter (C-Dur)

Wie der tonische, kann aber auch jeder andere Akkord der tonalen Harmonik mit Durchgangstönen auftreten. Soll die Tonalität scharf ausgeprägt bleiben, so werden die Durchgänge so gewählt werden müssen, dass die der Tonika angehörigen Töne bevorzugt werden. Die dann zum Vorschein kommenden Skalen sind zunächst die alten Kirchentöne (oder griechischen Oktavengattungen), die Skala der Dominante:

Tonleiter (Riemann 1882)

mixolydisch oder (mit ♯) ionisch

die Skala der Unterdominante:

Tonleiter (Riemann 1882)

lydisch oder (mit ♭) ionisch

die Skala der Paralleltonart:

Tonleiter (Riemann 1882)

äolisch (mit ♯ dorisch) oder [melodisch] Moll

die Skala der Mediante:

Tonleiter (Riemann 1882)

phrygisch

die Skala der Submediante:

Tonleiter (Riemann 1882)

dorisch (mit ♭ äolisch) oder [melodisch] Moll

(Die der Tonika - C-Dur-Akkord - angehörigen Töne sind mit x bezeichnet.)Jede dieser Skalen kann natürlich auch von Terz zu Terz oder Quinte zu Quinte laufen. Nicht der Umfang ist das Maßgebende für die Bedeutung, sondern der Klang, in dessen Sinn die Skala verstanden wird und der durch die Harmonie ausgeprägt ist, mit welcher die Skala auftritt.

So aufgefasst, können die Kirchentöne noch heute eine große Bedeutung für die Lehre des Kontrapunkts gewinnen. Doch ist die Lehre auf diese Weise bisher [um 1880] noch nicht behandelt worden. Die Kontrapunktlehrer, welche an den Kirchentönen festhalten, erkennen den modernen Begriff der Tonarten nicht an, obgleich sich beide, wie man sieht, vortrefflich vereinigen lassen. Sie abstrahieren überhaupt von der Harmonielehre und lehren in der alten empirischen Weise des 16. Jahrhunderts. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 929f]

Tonleiter (1865)

Tonleiter, Scala [Skala]. Eine stufenweise Folge von Tönen innerhalb einer Oktave. Nach der Beschaffenheit der Stufen und der Ordnung derselben unterscheiden wir drei Gattungen von Tonleitern.

1. Die diatonische Tonleiter, aus einer Folge von fünf ganzen [Ganztonschritten] und zwei großen (diatonischen) halben Tönen [Halbtonschritten] bestehend.

  1. Der erste diatonische Halbton [Halbtonschritt] liegt zwischen dem zweiten und dritten, der zweite Halbton folgt auf den fünften Ganzton – oder anders ausgedrückt, der erste Halbton wird von der dritten mit der vierten, der zweite Halbton von der siebten mit der achten Stufe der Tonleiter gebildet:
    C D E_F G A H_C

    Über dem Grundton erheben sich eine große Sekunde, Terz, Sexte und Septime und eine reine Quart, Quinte und Oktave: Die Tonleiter heißt Durtonleiter, alle ihre Intervalle im Verhältnis zum Grundton sind große und reine Intervalle.

  2. Der erste diatonische Halbton liegt zwischen dem ersten und zweiten, der zweite zwischen dem dritten und vierten Ganzton – oder anders gesagt, der erste Halbton wird von der zwweiten mit der dritten, der zweite von der fünften mit der sechsten Stufe gebildet:
    A H_c d e_f g a

    Über dem Grundton erheben sich eine kleine Terz, Sexte und Septime, eine große Sekunde und eine reine Quarte, Quinte und Oktave: Die Tonleiter heißt Molltonleiter. Da aber die kleine Septime im Ganzschluss nicht wohl gebraucht werden kann, der Dominantakkord am Schluss einer großen Terz bedarf, wird die siebente Stufe der Molltonleiter in diesem Fall erhöht. Die Skala heißt also:

    A H c d e f gis a

    Der in der Skala und Melodieführung ungewöhnliche übermäßige Sekundschritt f-gis wird beim Aufsteigen der Tonleiter durch Erhöhung des f zu fis (als Durchgang zum gis) in eine große Sekunde verwandelt. Beim Absteigen der Tonleiter wird alsdann die Erhöhung des Leittons [gis] sowohl als der Sexte aufgehoben:

    A H c d e fis gis a g h e d c H A

Über den Begriff der Tonart, welche durch die Tonleiter in melodischer Beziehung ähnlich dargestellt wird wie durch die drei Hauptakkorde (Tonika-, Dominant- und Unterdominantakkord) in harmonischer Hinsicht, ist im gleichnamigen Artikel [Tonart] gesprochen. Von der [1.] diatonischen, [2.] chromatischen und [3.] enharmonischen Skala handeln die gleichnamigen Artikel sowie der Artikel Klanggeschlecht. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 872f]

Tonleiter (1840)

Tonleiter, Scala (italienisch), Gamme (französisch), Scala [sic], Gamut (englisch), die stufenweise Folge der diatonischen Töne von einem Ton bis zu dessen Oktave. Durchläuft sie bloß die fünf ganzen und zwei halben Töne der Oktave, so nennt man sie diatonisch, chromatisch [auch: diatonisch-chromatisch] hingegen, wenn sie die zwölf halben Töne der Oktave berührt. Enthält sie die große Terz, so heißt sie Durtonleiter - und Molltonleiter, wenn die Terz klein ist, in welchem Falle ihre Fortschreitung auf- und absteigend verschieden sein kann:

A-h-c-d-e-f (oder fis)-gis-a
und zurück:
a-g-f-e-d-c-h-A

[Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 470]

Tonleiter (1807)

Tonleiter, Scala [Skala]. Wenn die Töne einer Tonart in eine solche Ordnung gebracht werden, dass sie ihrem Grundtone stufenweise folgen, so nennt man diese stufenweise Folge derselben eine Tonleiter.

Von der sogenannten diatonischen Tonleiter ist in den Artikeln Tonart und Diatonisch gehandelt worden, und die Artikel Chromatisch und Enharmonisch verbreiten sich über die Beschaffenheit der diatonisch-chromatischen und diatonisch-chromatisch-enharmonischen Tonleiter. Die sogenannte harmonische Tonleiter findet man in dem Artikel Verhältnis der Intervalle. [Koch Handwörterbuch Musik 1807, 367]