Enharmonik, enharmonisches Tongeschlecht, enharmonischer Verwechslung (1882)

Enharmonik (griechisch) ist das Verhältnis von Tönen, welche nach den mathematischen Bestimmungen der Tonhöhe und teilweise auch in der Notenschrift verschieden sind, in der musikalischen Praxis aber identifiziert werden, zum Beispiel f und eis, h und ces etc.

Die alten Griechen unterschieden neben dem diatonischen und chromatischen ein enharmonisches Tongeschlecht, bei welchem die beiden mittleren Töne des Tetrachords durch Herabstimmung des höheren auf gleiche Tonhöhe gebracht wurden (e, f, f, a). Dies war wenigstens die älteste Form der Enharmonik (Ulympos). Die spätere Enharmonik trennte die beiden eigentlich identischen Töne, setzte die Entfernung des dritten vom tiefsten = ½ Ton und gab dem zweiten eine mittlere Tonhöhe:

Enharmonik (Riemann 1882)

(siehe Griechische Musik).

Das 16. Jahrhundert brachte mit seiner Gräkomanie auch das enharmonische Tongeschlecht wieder auf, und verschiedenartige mathematische Erklärungen desselben wurden versucht. Die damals aufgestellten minimalen Tonhöhendifferenzen wurden enharmonische Diësen genannt (vergleiche Diësis). Das praktische Ergebnis dieser für ihren eigentlichen Zweck fruchtlosen Bemühungen war die Erkenntnis, dass ein und demselben Ton unseres Musiksystems verschiedene mathematische Werte zukommen, dass aber unsere praktische Musik für dieselben nur Näherungswerte gibt und geben kann. So begriff die Theorie allmählich die von der Praxis längst angebahnte gleichschwebende Temperatur, welche die annähernd gleichen Werte gleichsetzt (enharmonisch identifiziert). Die unter "Tonbestimmung" gegebene Tabelle weist für jede Obertaste unseres Klaviers 8 und für jede Untertaste 13 verschiedene akustische Bestimmungen auf, welche der mittlere Wert der gleichschwebenden Temperatur vertritt, d. h. die für uns enharmonisch identisch sind.

Unter enharmonischer Verwechslung versteht man die Vertauschung solcher eigentlich verschiedenen Werte. Diese Vertauschung ist entweder nur eine Erleichterung fürs Lesen, d. h. es wird statt der Schreibweise mit Been vorübergehend die mit Kreuzen gewählt, oder aber (besonders wenn nur ein Ton umgedeutet wird) sie bedeutet ein wirkliches Umspringen der Auffassung. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 243f]