Musiklexikon: Was bedeutet Temperatur?

Vergleiche: reine Stimmung

Temperatur (1840)

Temperatur (Mäßigung) heißt, im Stimmen der Instrumente, die Abweichung von der ursprünglichen mathematischen Reinheit der Töne, durch welche bezweckt wird, dass jeder Ton nicht nur in der Beziehung auf einen gewissen Grundton, sondern in jedem Verhältnis zu jedem anderen Ton mit diesem zusammenstimme. Wenn man die zwölf halben Töne einer Oktave nach reinen Quinten im Verhältnis 2:3 stimmen wollte, so würden die letzten dieser Quinten in ihrem Verhältnis als Oktave des ersten Stimmtons um ein Komma (1/8 Ton) zu hoch, und diese Stimmung nicht zu gebrauchen sein. Um nun zwischen sämtlichen halben Tönen der Oktave einerlei Klangverhältnis zu erhalten, hat man die Tonhöhe einer jeden der zwölf Quinten genau um 1/12 dieses Kommas gemäßigt (temperiert), und durch diese geringe Abweichung jeder Tonart von ihrer idealen Reinheit, zum Besten der übrigen, einen gleichmäßigen Gebrauch aller Akkorde in allen Tonarten möglich gemacht.

Weichen alle 24 Tonarten in gleichem Grade von der normalen Reinheit ab, so nennt man die Temperatur gleichschwebend; ungleichschwebend hingegen, wenn die Abweichung bei einigen mehr, bei anderen weniger stattfindet. Erstere ist fast ausschließlich zur Stimmung der harmonischen Instrumente die gebräuchliche, weil bei ihr die möglichst kleinste, in allen Tonarten aber auch gleiche Unrichtigkeit vorhanden ist.

Übersicht der Verhältnisse:
mathematisch versus temperiert
a 440 Hz 440 Hz
b 4691/3 Hz 466,16 Hz
h 495 Hz 493,88 Hz
c' 528 Hz 523,25 Hz
cis' 550 Hz 554,36 Hz
d' 5862/3 Hz 587,33 Hz
dis' 6183/4 Hz 622,25 Hz
e' 660 Hz 659,26 Hz
f' 704 Hz 698,46 Hz
fis' 7331/3 Hz 739,99 Hz
g' 7822/9 Hz 783,99 Hz
gis' 825 Hz 830,61 Hz
a' 880 Hz 880 Hz

Aus dieser Übersicht geht hervor, dass alle aufsteigenden (bei den absteigenden Intervallen gilt das umgekehrte) Sekunden, kleinen Terzen, alle Quinten und kleinen Sexten zu tief, hingegen alle großen Terzen, alle Quarten, großen Sexten, großen und kleinen Septimen zu hoch, von der mathematischen Reinheit abweichen; dass mithin von jedem beliebigen Ton bis zu seiner Oktave alle gleichnamigen Intervalle, abgesehen von ihrer Reinheit, in ein gleiches geometrisches Verhältnis gestellt sind. Vergleiche die Artikel Mathematisch und Schwingung. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 460]

Temperatur (1879)

Temperatur (Mäßigung). In der Musik spricht man von einer Temperatur der Stimmung und unterscheidet mathematische Temperatur und gleichschwebende Temperatur. Unter jener versteht man diejenige Stimmung eines Instruments, welche vom Grundton aus alle Intervalle bis zur Oktave in der Dur- und Molltonart in vollkommener Reinheit (d. h. nach der eigentlichen mathematischen Größe, welche ein Intervall als solches hat) darstellt. Gleichschwebende Temperatur ist dagegen die Stimmung, welche von jedem beliebigen Tone zu seiner Oktave alle gleichnamigen Intervalle, abgesehen von ihrer Reinheit, auch in ein gleiches geometrisches Verhältnis setzt, so dass von den 13 halben Tönen einer Oktave der erste sich zum zweiten wie dieser sich zum dritten etc., auch der erste zum dritten wie der zweite zum vierten etc., ebenso der erste zum vierten wie der zweite zum fünften, der dritte zum sechsten, ihrer Schwingungszahlen nach geometrisch verhält. Erzielt wird diese Temperatur dadurch, dass den einen Intervallen zu ihrer Reinheit noch etwas zu (überrein, überschwebend), den anderen von ihrer Reinheit etwas abgesetzt wird (unterschwebend). Auf dieser gleichschwebenden Temperatur beruht die Reinheit der Harmonien sowie die ganze Einrichtung unseres Tonsystems; die mathematische ist in der Praxis ganz unmöglich. [Riewe Handwörterbuch 1879, 255]