Musiklexikon: Was bedeutet Kammermusik?

Kammermusik (1882)

Kammermusik, so viel wie Musik, die sich zur Aufführung in kleineren Räumen eignet, im Gegensatz zur Kirchenmusik und Theatermusik, heute auch besonders im Gegensatz zur Konzertmusik.

Die Bezeichnung Kammermusik kam zu Anfang des 17. Jahrhunderts auf, d. h. zu einer Zeit, wo eine Instrumentalmusik im heutigen Sinne nur in den ersten Anfängen existierte und sich auf vierstimmige Tänze sowie Tokkaten, Riccercari etc. beschränkte, betraf daher überwiegend Gesangsmusik, speziell die begleitete Gesangsmusik (Kammerkantate, Kammerduett). Als die größeren Formen der Instrumentalmusik aufkamen (Kammerkonzert, Suite, Symphonie (Ouvertüre), Sonate etc.), bezeichnete man auch diese, überhaupt alles, was nicht Kirchen- oder Theatermusik war, als Kammermusik.

Heute [um 1880] versteht man unter Kammermusik nur noch von wenigen Soloinstrumenten ausgeführte Werke, wie Trios, Quartette, Quintette etc. bis zum Oktett und Nonett, für Streichinstrumente oder für Streich- und Blasinstrumente, mit und ohne Klavier, Sonaten für Klavier und ein Streich- oder Blasinstrument, Solokompositionen für ein Instrument, auch wohl Lieder, Duette, Terzette etc. für Gesang mit Begleitung eines oder weniger Instrumente.

Der eigentliche Gegensatz von Kammermusik ist heute Konzertmusik (Orchester- und Chormusik). Da in der Kammermusik der Mangel an Klangfülle und Wechsel der Instrumentierung durch feinere Nuancierung und Detailarbeit ersetzt werden muss, so spricht man mit Recht von einem besonderen Kammerstil. Es gilt als Fehler eines Kammermusikwerks, wenn die Stimmen orchestral behandelt sind.

Kammer-Kantate, Kammer-Sonate, Kammer-Konzert und andere Zusammensetzungen - siehe Kantate, Sonate, Konzert etc. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 435]

Kammer, Kammermusik (1882)

Kammer, abgeleitet von Camera, d. h. bedeckter Wagen, hieß bei den fränkischen Königen das abgesonderte Gemach, in welchem sie ihr Privateigentum bewahrten. Daher bezeichnet man jetzt [um 1880] damit die Privatangelegenheiten des Fürsten im Gegensatz zu seinen Hof- und Staatsangelegenheiten.

Dementsprechend bezeichnet Kammermusik (italienisch: Musica da camera, französisch: Musique de chambre) zunächst die Musik, welche zum Privatgebrauch, für das stille Gemach der Fürsten geschrieben ist, gewissermaßen ihre Hausmusik bildet. Bei der Zusammenstellung ihrer Kapellen waren die Fürsten seit dem 18. Jahrhundert namentlich bedacht, einzelne Virtuosen zu gewinnen, die sie dann für ihre privaten Musikübungen heranzogen. Man konnte hierzu natürlich nur die weniger rauschend und stark klingenden Instrumente brauchen, die Holzblasinstrumente und die Streichinstrumente neben dem Clavicembalo. Es wurde Aufgabe der Kammerkomponisten für derartige Instrumentenvereine, Tonstücke zu schreiben, und so entstanden das Duo für Cembalo und eine Geige, ein Violoncello oder Flöte, Oboe u. dgl., für zwei Geigen, für Geige und Viola u. dgl.; das Trio für Geige, Violoncello und Cembalo oder für Geige, Bratsche und Violoncello; das Quartett für Cembalo, Geige, Bratsche und Violoncello oder für vier Streichinstrumente oder für ein Cembalo und Blasinstrumente, das Quintett, Sextett, Septett usw.

Den Instrumenten und dem Zweck entsprechend, zu welchem sie vereinigt werden, wurde der Stil der Kammermusik natürlich auch ein anderer. Er ist mehr auf feine Detailzeichnung und Malerei, als große, drastisch wirkende Effekte bedacht. Der Kammerstil ist um so viel verfeinert und verkleinert, dem Orchesterstil gegenüber, als er in der Aufwendung seiner äußeren Darstellungsmittel und der gestellten Aufgaben beschränkter ist als dieser. [Reissmann Handlexikon 1882, 219]

Kammermusik (1865)

Kammermusik. Gegenwärtig [um 1865] eine weltliche Instrumentalmusik für ein oder mehrere Soloinstrumente. Dem ursprünglichen Wortsinne nach eine an Höfen und in Palästen der Großen, und zwar in Sälen und Zimmern veranstaltete Privatmusik, zu welcher ohne besondere Erlaubnis niemand Zutritt hatte. Im Ferneren auch die größeren Hofkonzerte, die zwar eigentlich ebenfalls nur für den Hof bestimmt sind, woran aber auch andere Personen, doch im Konzertsaal vom Hof getrennt, teilnehmen können.

Häufig waren solche Musiken nur mit Soloinstrumenten, jede Stimme nur durch ein einzelnes Instrument besetzt. Bei der großen Anzahl kleiner Kapellen und Musikkollegien der Fürsten, Großen und reichen Städte war das Solomusizieren vordem bei weitem mehr an der Tagesordnung als heute. Mattheson sagt (Patriot, 64), man könne mit acht Personen schon eine stattliche Harmonie zuwege bringen, nämlich mit vier Vokalisten, zween Violinisten, einem Organisten und einem Directori; kann der Direktor eine Stimme selbst singen oder spielen, so reichen auch schon sieben Personen hin. So viele Stimmen der Komponist gesetzt hatte, so vieler Ausführenden bedurfte man. In diesen älteren Kammermusiken wurden, wie heute ebenfalls, nur weltliche Tonwerke aufgeführt, weshalb denn auch der Kammerstil, von seiner ersten Entstehung (gegen 1600) an, vom Kirchenstil eben wie vom theatralischen Stile unterschieden wurde.

Gegenwärtig [um 1865] pflegt man in Kammermusikaufführungen nur Instrumentalstücke vorzutragen, früher auch Vokalsachen, als Madrigale, Cantate da camera, Duetti da camera, Singkonzerte, überhaupt alles, was nicht in die Kirche gehörte und auch nicht an eine Handlung, mithin nicht an die Bühne gebunden war. Außerdem ziehen wir heutzutage den Kreis der Kammermusik noch enger, indem wir dazu nur Solostücke für ein oder mehrere Soloinstrumente rechnen, als: Solosonate und ihre mehrstimmigen Gattungen, Duo, Trio, Quatuor, Quintuor etc. für verschiedene Instrumente; ferner alle anderen Arten Solostücke für Klavier, ein Streich- oder Blasinstrument, als: Klaviersuite, Präludium, Toccate [sic], die Fantasien; die älteren und neueren tanzartigen Stücke; Variationen, Konzertetude , Klavierstück, Lied ohne Worte samt was sonst zum Solospiele gehört. Die Symphonie, das große Konzert, die Ouvertüre, überhaupt alle Werke für vollbesetztes Orchester sind mithin davon ausgeschlossen. In älterer Zeit hingegen gehörten neben den Solostücken auch die vollbesetzten Orchesterwerke in die Kammer, als: Orchestersuite, Symphonie, Ouvertüre, die (anfangs zwar nur für Soloinstrumente, später aber auch für Orchester gesetzte) Kassation und Serenade, das Concerto da camera (unser heutiges Konzert), Concerto grosso etc.* Man unterschied, im Wesentlichen wie auch wir, drei Hauptgattungen der Musik, Kirchen-, dramatische und Kammermusik, nur dass wir heute noch einen Unterschied zwischen Kammer- und Konzertmusik machen.

Es ist sehr erklärlich, dass das oben erwähnte Solomusizieren, welches in den Kapellen früherer Zeit so allgemein war und in unserer heutigen Kammermusik ausschließlich herrscht, sowie auch die Bestimmung der letzteren für einen engeren Zuhörerkreis im kleineren Raume des Saales im Verhältnis zum Theater, einen eigenen Musikstil hervorrufen musste. Vom kirchlichen ist der Kammerstil von vorneherein als weltlicher verschieden; vom dramatischen, der seinem Wesen nach die Leidenschaften mit großen kräftigen Strichen zeichnet und überdies dem größeren Publikum gegenüber eine gewisse Einfachheit und leichtere Anschaulichkeit der Darstellung sich bewahren muss, unterscheidet er sich durch eine bei weitem mehr ins Einzelne gehende kunstvolle Ausgestaltung und Durchführung der Gedanken. Denn in der Kammermusik (wie auch in der Orchestermusik) konzentriert sich die Aufmerksamkeit durchaus auf das Tonwerk selbst und seinen Kunstgehalt, wird weder durch äußere Darstellung, wie in der dramatischen, noch durch kirchliche Handlungen und religiöse Betrachtungen und Gefühle, wie in der Kirchenmusik, mit in Anspruch genommen. Ebenso deutliche Unterschiede sind zwischen Konzert- und Kammermusik bemerkbar. Jene stellt ihren Inhalt mittels vieler Klangorgane von verschiedenen Gattungen, großer Schallmassen und dynamischer Wirkungen, vielfacher Farbenschattierungen etc. dar. Die Kammermusik besitzt diese reichen Mittel nicht, muss also durch Aufbietung kunstvollster Ausgestaltung zu ersetzen suchen, was ihr von vorneherein an Klangmannigfaltigkeit, Schallkraft u. dergl. abgeht. Da ihre Stimmen sämtlich Hauptstimmen und nur durch Soloinstrumente besetzt sind, werden, mit der freieren Durchführung einer jeden derselben, außerdem auch zugleich größere Ansprüche an die Technik erhoben. Die Orchestermusik malt mit reichen Farben aus dem Vollen und Ganzen; die Kammermusik gibt gleichsam eine feine Federzeichnung oder Radierung, aber in der Kontur ebenso fest als frei, reich und leicht bewegt, bis in die kleinsten Züge hinein so sorgsam als geistvoll durchbildet, den Wechsel der Farbentöne zugleich durch Schattierungen und Nuancierungen der Klangstärke, Fülle, Stricharten und mancherlei colorierende Bewegungen, in etwa ähnlicher Weise andeutend, wie der Kupferstich die Färbung des Gemäldes durch die verschiedenen Licht- und Schattentöne seiner Strichlagen und Schraffierungen.

Dass die fantasieartigen einstimmigen Solosätze der Subjektivität bei weitem freieren Spielraum gewähren als mehrstimmige Solosätze und Orchesterstücke, ist unter Sonate, Instrumentalmusik, Fantasie, Solo etc. bemerkt. Über den inneren Verhalt der Sätze mehrsätziger Kammerstücke vergl. Zyklische Formen.

Den Schwierigkeiten der Behandlung des mehrstimmigen Kammerstiles ist nur ein durchaus tüchtiger Komponist, der alle Mittel des kunstvollen Tonsatzes völlig frei in der Hand hat, gewachsen. Schon Mattheson, zu dessen Zeit der Kammerstil übrigens bei weitem noch nicht die Höhe späterer Ausbildung erreicht hatte, bemerkt (Beschütztes Orch. 142), "dass er extraordinaire Meriten haben müsse, wenn einen nicht das Oscitiren (Gähnen) dabei ankommen solle". Die Übungen in der Instrumental-Komposition pflegen gewöhnlich mit dem mehrstimmigen Solosatze, und zwar insbesondere mit dem Streichquartett, zu beginnen, als der Grundlage sowohl aller Kammer- als Orchestermusik. Wer ein tüchtiges Quatuor zu schreiben vermag, wird die Schwierigkeiten des Orchestersatzes sehr leicht überwinden.

* Mattheson, Beschütztes Orchester, 1717, S. 131ff. erklärt 5 Stilarten als dem Kammerstil untergeordnet, nämlich den Symphoniacus, Canonicus, Choraicus, Madrigalescus und Melismaticus Stilus. […]
[Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 467ff]

Kammermusik (1879)

Kammermusik, früher im Gegensatz zu der für den öffentlichen Gebrauch bestimmten Kirchen- und Theatermusik die für den Privatgebrauch bestimmte Musik, die gleichsam einen Vereinigungs- oder Vermittlungspunkt jener beiden Musikgattungen bildete. Der Name Kammermusik kommt daher, weil früher nur große Herren an ihren Höfen und in ihren Gemächern (Kammern) privatim Musik zu ihrer Unterhaltung veranstalten ließen. Diejenigen, welche die Musik aufführten, hießen daher auch Kammermusiker, Kammersänger, Kammervirtuosen etc.

Jetzt bezeichnet man mit Kammermusik nur noch die Musik, deren Aufführung für Zimmer und Privatzirkel sich eignet und keines vollen Orchesters, sondern nur einiger Instrumente oder Stimmen bedarf, zum Beispiel Trios, Duos, Quartette etc. [Riewe Handwörterbuch 1879, 134]

Kammermusik (1840)

Kammermusik, die zur Privatunterhaltung der Fürsten bestimmte Musik, zu deren Ausführung ohne besondere Erlaubnis niemand Zutritt hat. Der Umstand, dass sie, worauf schon ihr Name hindeutet, meistenteils in den Wohnzimmern hoher Herrschaften und mit schwacher Besetzung veranstaltet wurde, veranlasste die Wahl von Tonstücken, worin der Satz mehr zergliedert, die Melodie feiner nuanciert, die Ausarbeitung sorgfältiger war, als in den für die Kirche oder fürs Theater bestimmten Kunstprodukten, und die überhaupt auch in einem höheren Grade als diese auf Kunstfertigkeit und geschmackvollen Vortrag berechnet sein mussten. So entstand die Kammermusik, zu welcher Gattung vorzüglich das Konzert, Solo, Sonate, Duo, Trio, Quartett gehören usw. Dieser angedeutete Charakter hat sich jedoch nicht lange auf die Kammermusik beschränkt, sondern ist in neuerer Zeit auch auf die Oper, ja sogar auf die Kirchenmusik übergegangen. Von den Kammerkonzerten zeichnen sich die Hofkonzerte dadurch aus, dass in letzteren, die in größeren Konzertsälen stattfinden, auch bedeutendere Werke aufgeführt werden und ein zahlreicheres Publikum Einlass erhält. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 246]