Musiklexikon: Was bedeutet Glasharmonika?

Glasharmonika (1882)

Glasharmonika, früher einfach "Harmonika" genannt, ein Instrument, dessen Töne durch verschieden abgestimmte, durch Streichen in Schwingungen versetzte Glasglocken oder Glasstäbe, Glasröhren erzeugt werden. Zu größter Verbreitung gelangte die Glasharmonika von Franklin (1763), der sämtliche Glasglocken an einer gemeinsamen Achse befestigte, welche durch einen Pedaltritt mit Treibriemen in Umdrehung gesetzt wurde. Gespielt ward diese Glasharmonika, indem die vorher benetzten Glasglocken mit den Fingern berührt wurden.

Ein bedeutender Virtuose auf der Glasharmonika war Dussek. Man versah sie auch mit einer Klaviatur (Hessel, Wagner, Röllig, Klein) und nannte dann das Instrument Klavierharmonika. Abarten der Glasharmonika sind Chladnis "Euphon" und "Klavicylinder" sowie Quandts "Harmonika". [Riemann Musik-Lexikon 1882, 316]

Harmonika, Glasharmonika (1840)

Harmonika, Glasharmonika. Ein Instrument, bei welchem Glasglocken zum Erklingen gebracht werden. Es ward von einem Irländer namens Puckeridge erfunden, anfänglich Angelic-organon genannt, und bestand ursprünglich aus mehreren fest nebeneinander stehenden und durch Schleifen oder hineingegossenes Wasser diatonisch gestimmten Gläsern, welche mit dem Finger gestrichen wurden, wodurch denn freilich ihr Klang nur auf die Länge des streichenden Fingers beschränkt war.

Diese wahrscheinlich in der frohen Laune lustiger Zecher zuerst zu suchende Erfindung brachte den berühmten Amerikaner Benjamin Franklin auf die Idee, glockenförmige, auf eine Spindel befestigte und vermittelst eines Schwungrades in Kreislauf gesetzte Gläser durch Berührung mit benetzten Fingern länger anhaltende Töne zu entlocken. Es gelang. Im Jahr 1763 machte er sein wesentlich verbessertes Instrument bekannt und nannte es Harmonika. Diese Harmonika besteht aus einem länglich viereckigen und auf vier Füßen ruhenden Kasten, dessen oberer Teil abgehoben werden kann. Die gläsernen Glocken oder Schalen, die nach dem Verhältnis der Höhe der Töne immer kleiner werden, haben in dem Mittelpunkte ihrer Peripherie ein ausgeschliffenes Loch und sind auf einer eisernen Welle oder Spindel dergestalt ineinander geschoben und mit Kork befestigt, dass sie einander nicht berühren, sondern immer der Rand der folgenden kleineren unter dem Rande der vorhergehenden größeren ein wenig hervorragt, so dass alle auf der Spindel befestigte Glocken eine kegelförmige Gestalt gewinnen - weswegen diese Vorkehrung auch der Glockenkegel genannt wird. Die halbe Töne angebenden Glocken haben zur Unterscheidung einen Goldrand. […]

Nachdem die Glocken in Bewegung gesetzt sind, legt der Spieler die Finger stärker oder schwächer, je nachdem er den Ton haben will, an die Glocken, und der über alles angenehme, mit keinem anderen vergleichbare Tone erfolgt und kann vom stärksten Forte bis zum gänzlich verhallenden Piano modifizert werden.

Die Behandlungsart dieses Instruments hat sehr viele Schwierigkeiten, die nur durch lange Übung beseitigt werden können. Auch eignet es sich nur für Stücke von langsamer Bewegung und ernstem Charakter, vorzüglich zum Vortrage von Chorälen. Die Fränklinsche Harmonika hatte anfangs nur zwei Oktaven, nämlich vom kleinen c bis zum zweigestrichenen g; Schmittbauer erweiterte später ihren Umfang auf drei Oktaven und eine Quarte, nämlich vom kleinen c bis zum dreigestrichenen f. Die linke Hand des Spielers greift den Bass, die rechte den Diskant.

Da indessen das Spielen der Harmonika zuweilen auf die Reizbarkeit mancher nervenschwachen Damen unangenehm einwirkte, ja sogar Ohnmachten zur Folge hatte, so geriet der Abbate Mazucchi auf den Gedanken, die Töne den Glocken auf andere Art zu entlocken, wodurch sie vielleicht weniger nervenangreifend sein möchten - und zwar mittelst eines Violinbogens, dessen Haare mit einer Mischung Kolophonium und Terpentin oder Wachs, oder mit Seife bestrichen wurden. Der hierdurch gewonnene Ton war sanft und schönklingend […].

Doch auch diese

  1. Bogenharmonika ward bald von einer neueren und bequemeren Erfindung überboten, nämlich
  2. Tastenharmonika von Prof. Klein

    Tastenharmonika von Prof. Klein. Abb. aus [AMZ 1799].


    der mit einer Klaviatur versehenen Tastenharmonika, erfunden 1785 von dem Mechanikus Hessel zu Petersburg und später von einem Tonkünstler in Berlin mit Namen J. L. Röllig verbessert. Auch der Organist und Orgelbauer D. T. Nicolai zu Görlitz machte eine Klaviatur zu diesem Instrument. Ferner erfand der Prof. Klein (1798) in Pressburg eine Tastenharmonika, in welcher die Glocken sich durch eine Drehscheibe in ungleicher Schnelle bewegen, so dass, während die Bassglocken sich einmal umdrehen, die mittleren zweimal, die hohen aber dreimal ihren Kris durchlaufen. […]So vorteilhaft diese Vereinigung einer Klaviatur mit der eigentlichen Franklinschen Harmonika indessen sowohl für Spieler von einem reizbaren Nervensystem als auch überhaupt für die Behandlung des Instruments auch sein mag, so ist es dennoch eine ausgemachte Sache, dass der Ton mit seinen verschiedenen Nuancen vermittelst der Finger weit feiner aus den Glocken gezogen werden kann als durch den Angriff der bisher bei dem Gebrauch der Klaviatur damit versuchten Körper, indem die natürliche Wärme der Finger höchst wahrscheinlich darauf einen sehr merklichen Einfluss hat.

    Außer diesen beiden Arten der Glasharmonika hat man

  3. noch eine Glaslattenharmonika, erfunden (1790) von Chr. Fried. Quandt zu Jena. [&hellip]
  4. Ferner eine Nagelharmonika,
  5. eine Stahlharmonika,
  6. eine Mundharmonika […] und endlich
  7. eine sogenannte chemische Harmonika, auf welche de Lüc zufällig geleitet wurde […].

[Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 198f]

Glasharmonika (1855)

Die Glasharmonika. Dass gewöhnlichen Trinkgläsern durch Überstreichen des Randes mit nassen Fingern Töne entlockt werden konnten, die sich mittels mehr oder weniger Wasserfüllung erhöhen und erniedrigen ließen, wusste man seit vielen Jahrhunderten. Kircherus [Athanasius Kircher] stellte schon im Jahr 1684 in seiner neuen Hall- und Tonkunst eine förmliche Theorie über die Art der Gläserfüllung auf, die er sogar auf Seite 136 durch eine Zeichnung anschaulich machte [siehe nachfolgende Abb.].

Glasharmonika-Experiment Athanasius Kircher

Glasharmonika-Experiment von Athanasius Kircher

Auf Seite 134 ist ungefähr folgendes zu lesen:

Experimentum I. "Man nehme ein Trinkglas und fülle dasselbe mit klarem Wasser, darnach fahre man mit einem benetzten Finger sanft über den Rand desselben, so wird man einen artigen Metallklang hören, wobei das bewegte Wasser so gekräuselt und rollend wird, als wenn es starke Winde trieben. Macht man das Glas halb voll, so hört man den Ton noch so hoch als denjenigen bei gefülltem Glas, so dass beide Töne eine Oktave bilden. Die gekräuselte Bewegung des Wassers wird dabei sichtbar geschwinder. Teilt man nun das Glas in fünf gleiche Teile ab und füllt drei Teile an, so vermindert sich die Bewegung des Wassers, und man hört eine Quinte usw."

Der Gedanke jedoch, ein brauchbares und umfangreichens Instrument daraus zu bilden, entwickelte sich erst 1768 bei dem Buchdrucker Benjamin Franklin, Erfinder der Blitzableiter, geboren 1704 zu Boston in Nordamerika, als er im Wirtshaus den Irländer Buckeridge ein musikalisches Experiment mit Gläsern machen sah. Franklin ließ sich glockenförmige Glasschalen in abnehmender Größe, oben mit einem Loch versehen, anfertigen und befestigte dieselben übereinander auf einer Spindel, so dass sie zwar ineinander lagen, aber doch keine die andere berühren konnte, Diese Spindel legte er in ein länglich viereckiges Kästchen mit halbrundem Deckel, das auf einem Fußgestell ruhte. Unter dem Kästchen ist ein Schwungrad zum Treten angebracht, womit der Glockenspindel in kreisförmige Bewegung gesetzt wird. Der Kreislauf der Glocken geht gegen den Spieler, und benetzte Finger, welche an die Glasglocken gehalten werden, erzeugen unmittelbar den Ton. Franklins Bemühung wurde bekanntlich mit dem besten Erfolg gekrönt; die Glasharmonika, mit ihren nervenerschütternden Tönen war durch diese Einrichtung erfunden.

Das Instrument eignet sich besonders zu Choral und Adagio. Geschwinde Sätze sind jedoch äußerst schwierig darauf auszuführen. Der Tonumfang geht gewöhnlich vom ungestrichenen c bis dreigestrichenen f in chromatischer Tonfolge.

Hessel, ein geschickter Mechanicus in Berlin gab im Jahr 1775 dem Corpus die Gestalt eines Schreibpults und brachte eine Klaviatur daran an. Die Glocken ließ er durch Tangenten berühren. Auch vermehrte er den Tonumfang in der Höhe und Tiefe.

Der Abt Mazzuchi bemühte sich aus Zartgefühl für nervenschwache Damen einen sanfteren, weniger die Nerven angreifenden Ton hervorzubringen. Er strich in dieser Absicht die Glasglocken mit zwei Violinbogen, deren Haare mit einer Mischung von Seife, Wachs und Colophonium überstrichen waren. Die Glocken befestigte er in einem zwei Fuß langen Kästchen. Auch machte er Versuche mit Holzglocken, aus denen sich Flötentöne ergaben. Siehe Forkels Almanach von 1782.

Klaviaturharmonika von Röllig

Glasharmonika mit Klaviatur von Karl Leopold Röllig

Röllig, ein Tonkünstler in Berlin, dem von Einigen auch die Erfindung der Tastatur an der Glasharmonika zugeschrieben wird, richtete das Instrument 1786 so ein, dass es beliebig mit der Tastatur und mit den Fingern gespielt werden konnte. Röllig gab auch ein Schriftchen von vier Bogen in Quart heraus, worin er die erstaunenswürdigsten Wunder über seine Harmonika deklamiert. Nach Bemerkungen über Berliner Musik soll ihm aber unter allen Wirkungen, welche sein Spiel hervorbrachte, die am besten gelungen sein, die Zuhörer durch lauter verminderte Septimen und unzusammenhängende Akkorde zum Davonlaufen zu zwingen.

Klein, ein Professor in Pressburg, teilte die Geschwindigkeit des Kreislaufs der Glocken in drei Teile, nämlich: Bass, Mitte und Diskant. Während der Bass sich einmal drehte, drehte sich die Mitte zweimal, der Diskant dreimal. Die Tangenten überzog Klein mit Waschschwamm.

Glasharmonika von Franklin

die Glasharmonika bzw. zunächst einfach "Harmonica" von Benjamin Franklin

Die Franklinsche Einrichtung wird indes von Kennern allen diesen Änderungen, die so gern Erfindungen (?) genannt werden, vorgezogen, indem auf ihr die Modifikation des Tons am besten ausgeübt werden kann. Man findet dieses Instrument, dessen Klangfarbe bei guter Behandlung eine hohe Wirkung äußert, jetzt sehr selten, wahrscheinlich weil viele unserer nervenschwachen Damen dadurch zu sehr angegriffen werden. [Welcker von Gontershausen Magazin 1855, 190ff]

Harmonica (1874)

Harmonica (latein.) ist der Name eines Musikinstruments, das schon über hundert Jahre im abendländischen Musikkreise sich die Gunst vieler Musikverehrer erworben und erhalten hat. Den Namen erhielt dies Instrument durch seinen Erfinder, weil derselbe die einzelnen wie mehrere gleichzeitig erklingende Töne desselben in einer so innigen, angenehmen Weise die inneren menschlichen Gefühlsnerven erregend fand, wie die Klänge keines bis dahin bekannten anderen Tonwerkzeugs.

Glasharmonika-Experiment Athanasius Kircher

Glasharmonika-Experiment von Athanasius Kircher

Veranlassung zur Erfindung der Harmonica gab das Glasspiel, das bereits im 17. Jahrhundert allgemeiner bekannt war. Wie eine in Ath. Kirchers "Phonurgia nova" von 1673 gegebene Abbildung und Beschreibung desselben beweist. Der Buchdrucker, Physiker, Philosoph und Staatsmann Benjamin Franklin hörte eines Tages, wie ältere Berichterstatter erzählen, einen Irländer, Puckeridge, in einem Wirtshause auf dem Glasspiel zur Unterhaltung der Anwesenden einige Melodien vortragen. Andere, wie Schilling in seinem musikalischen Lixikon, erzählen, dass nicht Puckeridge, welcher, nebenbei bemerkt, 1750 selbst samt seinem Glasspiel im großen Brande Londons seinen Untergang fand, die Anregung zu der Erfindung Franklins gegeben, sondern dass Delaval in London, der 1762 ein Glasspiel mit besonders dazu geeigneten ausgewählten Gläsern öffentlich hören ließ, der erste war, von dem Franklin ein derartiges Spiel vernahm. Noch Andere behaupten, ohne es jedoch nachzuweisen, dass Franklin gar nicht der Erfinder, sondern nur der Verbesserer der Harmonica gewesen sei. So viel ist aber gewiss, dass durch Franklin die Harmonica zuerst bekannt wurde und er dem Bau derselben eine besondere Sorgfalt zugewandt hat. […]

"Die Vorzüge dieses Instruments", schreibt Frankln selbst, "sind: seine Töne sind so sanft, dass sie mit keinem andern verglichen werden können; seine Töne können nach Belieben an- und abgeschwellt werden, indem man den Finger stärker oder schwächer auf die Gläser setzt; man kann sie nach Willkür aushalten, und wenn das Instrument einmal gestimmt ist, darf es nie wieder gestimmt werden. Zur Ehre Ihrer musikalischen Sprache habe ich von ihr den Namen dieses Instruments hergenommen und heiße es Harmonica." […]

Die Art der Tonerzeugung […] verleiht dem Klange der Harmonica, die in ihren Beitönen sich als denen der Menschenstimme sehr ähnlich ergibt, eine nervenerschütternde, den fabelhaften Sirenenklängen innewohnend gedachte ähnliche Gewalt, welche Gewalt dem Hörer einen andauernden Genuss derselben gesundheitsgefährlich macht. […] [Mendel Musikalisches Lexikon 1874, 533ff]

Harmonika, Glasharmonika (1911)

Die Harmonika (Glasharmonika). Dieses Instrument wurde von Benjamin Franklin gegen 1763 erfunden und durch die Engländerin Miss Daves und später durch Frick (Hoforganist in Durchlach i. Baden) in Deutschland bekannt. […]

Die Noten wurden wie beim Klavier auf zwei Liniensystemen und teils in Violin-, teils in Bassschlüssel notiert. Die nachstehenden Beispiele sind der "Anleitung zum Selbstunterricht auf der Harmonika" von Joh. Chr. Müller, Leipzig 1788, entnommen (NB: Die angegebenen Zahlen bedeuten den Fingersatz, 0 mit dem Ballen der linken Hand).

Notation für Glasharmonika

Notation für Glasharmonika

[…] Kompositionen für das Instrument hat u. a. W. A. Mozart geschrieben. Genannt sei hier das Adagio und Rondo (Köch.-Verz. Nr. 617) [komplett bei Amazon°] für Harmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncello, das er für die in frühester Jugend erblindete Marianne Kirchhäuser, eine bedeutende Harmonikavirtuosin, schrieb; dasselbe lautet:

Komposition für Glasharmonika von Mozart

Komposition für Glasharmonika von Mozart

Hervorragende Virtuosen auf der Glasharmonika waren Dussek, Breitkopf, Rost, Wege, Thielmann, Kammerjunker von Bodenhausen und Demoiselle Bause. Später erhielten die Instrumente durch Bartl und Röllig eine Klaviatur.

Glasharmonika mit Tasten

Tasten-Glasharmonika von Franz Konrad Bartl

Literatur:

  • Bartl, Fr. Konrad, Abhandlung von der Tastenharmonika, Brünn 1798. [dig. Faksimile]
  • Müller, Joh. Christian, Anleitung zum Selbstunterricht auf der Harmonika, Leipzig 1788. [dig. Faksimile]
  • Pohl, K. F., Zur Geschichte der Glasharmonika, Wien 1862.
  • Röllig, J. L., Über die Harmonika. Ein Fragment, Berlin 1787. [dig. Faksimile]

[Teuchert/Haupt Musik-Instrumente 1911, 189ff]

Harmonica (1879)

[…] The following little piece for the Harmonica was composed by Beethoven for the 'Leonora Prohaska' of his friend Duncker in 1814 or 15. The autograph is preserved in the Library of the Gesellschaft der Musikfreunde at Vienna, and has not before been published.

Beethoven, Komposition für Glasharmonika

Beethoven, Komposition für Glasharmonika

The name Harmonica is now used for a toyinstrument of plates of glass hung on two tapes and struck with hammers. [Grove Dictionary 1879, 662f]