Accent [Akzent] ist ein gewissen Gliedern einer Tonreihe beigelegter Nachdruck, vermöge dessen sie entweder
- nur als die übrigen zu bestimmten Gruppen zusammenschließend oder
- als um des besonderen verstärkten Ausdrucks willen hervorgehoben sich fühlbar machen.
Jenes ist der grammatikalische, metrische, dieses der oratorische Akzent. Die grammatikalische Akzentuation ist die grundleglich natürliche, deren keine geordnete Tonfolge sich entraten kann, ohne welche sie in Hinsicht auf Zeitmessung ohne organischen Zusammenhang, deshalb unverständlich wäre. Die oratorische ist keine künstliche im Gegensatz zu jener natürlichen; denn beide fallen dem Wesen nach zusammen, sofern sie nicht in Widerspruch zueinander treten dürfen, und eine richtige oratorische Akzentuation in ihren Grundzügen, ungeachtet mancher Freiheiten um des besonderen Ausdrucks willen, doch jederzeit auch eine richtige grammatikalische sein muss. Doch greift sie über die einfache Regelmäßigkeit der grammatikalischen Akzentordnung hinaus, erscheint bereits als ein höheres Kunstfreies und ist ein wesentlicher Teil des ausdrucksvollen Vortrags. Man kann einen Tonsatz grammatikalisch völlig richtig akzentuiert und doch sehr steif und nüchtern spielen, wenn die Belebung durch oratorische Akzentuation fehlt. Letztere aber ist weniger Gegenstand dieses Artikels, als das grammatikalische Akzentsystem des Taktes und der Taktglieder.
Der grammatikalische Akzent
Die einfache Akzentordnung des Taktes und der Taktglieder. Wesen des Akzentes; Bildung des Taktes.
Man stelle sich eine Reihe ohne alle Ordnung in Bezug auf das Nacheinander und in vollständiger Monotonie erfolgender Pulse vor, welche, gleichviel ob in ein Geräusch zusammenfließend oder einzeln vernehmbar, in ihrer Folge nichts wahrnehmen lassen, was einer Gliederung und durch gewisse öfter wiederkehrende Ähnlichkeit in dieser Gliederung entstehenden Gruppierung zu vergleichen wäre. Eine solche Folge von Pulsen ist unorganisch und unverständlich. Nur wenig höher steht eine Reihe völlig regelmäßig und ohne allen Wechsel aufeinanderfolgender Pulse; denn sie zeigt nur mechanische Ordnung ohne jede innere Belebtheit und ist ebenso wenig anschaulich und ebenso wenig geeignet, irgend ein Interesse zu wecken, als wenn statt ihrer die leere Zeit gesetzt würde. Es liegt aber im natürlichen Gefühl, dass wir eine solche Pulsreihe nicht hören oder denken können, ohne eine Gliederung in einzelne Gruppen mit ihr vorzunehmen, um ihr Leben und Anschaulichkeit zu verleihen; und zwar unter Voraussetzung einer höheren Ordnung, nämlich der Ähnlichkeit dieser Gruppen unter sich in Betreff der Regelmäßigkeit ihrer Aufeinanderfolge. Unser natürliches Gefühl für Periodizität bildet diese Gruppen, indem es immer den ersten einer gleichen Anzahl von Pulsen durch einen stärkeren Nachdruck vor den übrigen hervorhebt. Dieser Nachdruck ist der Akzent, die durch ihn zusammengeschlossene Gruppe von Pulsen das musikalische Metrum, der Takt.
Der Akzent verleiht der ganzen Pulsreihe Zusammenhang, indem er die einzelnen Glieder derselben in Beziehung zueinander bringt; denn ohne ihn sind sie zusammenhangs- und beziehungslos, jedes ist für sich etwas Einzelnes ohne Verbindung mit dem Voraufgehenden und Folgenden, jedes ein Ansatz ohne Fortsetzung. Der akzentuierte Puls aber trägt die Voraussetzung der Folge eines akzentlosen, der akzentlose wiederum die Voraussetzung der Folge eines akzentuierten in sich. Das akzentlose Glied ist in Betreff seiner Zeitdauer durch das vorangehende akzentuierte bestimmt, da dem Gefühl in der bereits gemessenen Zeitgröße auch ein Maß für die noch zu messende gegeben ist, und wie das akzentlose Glied durch sein vorangehendes akzentuiertes bestimmt wird, bestimmt es auch wiederum das nachfolgende akzentuierte. Eine solche aus abwechselnd akzentuiertem und akzentlosem Glied, aus Senkung und Hebung bestehende Verbindung mehrerer Pulse, eben der Takt, ist zwar eigentlich auch nur die Ordnung, welcher das höhere rhythmische Leben der Melodie sich unterwerfen muss, um in seinen Teilen übersichtlich zu werden, doch durch den Wechsel von Hebung und Senkung bereits mannigfaltig und belebt; keine äußerliche mechanische Einteilung mehr, sondern wirkliche Entwicklung: Die Pulse entstehen einer aus dem anderen, jeder folgende ist Wirkung des vorangehenden und wiederum Ursache seines nächstfolgenden.
Solch inniger Zusammenhang ist aber nur möglich in einer Pulsreihe, welche auf die einfachste Art so gegliedert ist, dass auf eine Senkung nur eine Hebung folgt; in der Bestimmung eines akzentlosen Gliedes
ist der Wirksamkeit des Akzentes eine Grenze gesetzt. Mehr als ein absolut akzentloses Glied können nicht gut auf ein akzentuiertes folgen. Diese einfache Folge einer Hebung auf eine Senkung reicht aber auch für die Bildung sämtlicher Taktarten aus, auch für die dreiteiligen, wie wir weiter unten sehen werden. Im Voraus ist noch festzuhalten, dass unser musikalischer Akzent an keine Quantität oder Zeitdauer des Tones gebunden, sondern ein denkbar kurzer Moment ist, der ebenso gut eine ganz kurze wie eine lange Note treffen kann und hier wie dort die gleiche Wirkung äußert. Ob wir die erste Note eines Taktes, welche den Akzent hat, als halbe Note oder als Sechzehntel denken, ist für den Akzent gleichgültig, er hat im letzten Falle dieselbe Geltung wie im ersteren.
Takt-, Glied- und Gliedteilakzente.
Wir haben den Takt uns vorzustellen als eine beständige Wiederkehr einander an Dauer völlig gleicher Pulse, unter denen immer der erste von einer gewissen sich wiederholenden gleichen Anzahl den Takt- oder Hauptakzent hat, während die anderen bedingungsweise entweder gar nicht, oder wenn, so doch schwächer akzentuiert sind. Man weiß, dass wir diese einander gleichen Gruppen von Pulsen in der Notierung durch senkrecht das System durchschneidende Striche, Taktstriche, voneinander zu trennen gewohnt sind. Der Taktstrich selbst macht aber den Takt nicht, sondern der Akzent. Er ist nichts als eine durch den Akzent bedingte äußere Einrichtung zum Zweck leichterer Übersichtlichkeit der ganzen rhythmischen und metrischen Gliederung der Melodie.
Das erste Glied eines Taktes, welches den Hauptakzent hat, heißt Thesis (Senkung), Niederschlag oder guter Taktteil; das akzentlose heißt Arsis (Hebung), Aufschlag, schlechter Taktteil.* Bei Teilung der Taktpulse in kleinere Glieder aber stellen sich neben jenem den ganzen Takt markierenden Akzent noch Akzente niederer Ordnungen ein. Es ist bekannt, dass in der Musik jede Länge in eine beliebige Anzahl an Summe ihr gleichgeltender Kürzen zerlegt werden kann; diejenige Notengattung, nach welcher der Takt den Namen führt, also z. B. im 2/4 oder 4/4 die Viertel, im 6/8 die Achtel, heißen Taktglieder; die kleineren Teile verschiedener Ordnungen, in welche die Taktglieder sich zerlegen lassen, Gliedteile. Werden die Glieder des Taktes in eine Anzahl Gliedteile aufgelöst, so wiederholt sich dasselbe Verhältnis von Senkung und Hebung, welches die Taktglieder zusammenschließt, in kleinerem Maßstab auch auf den Gliedteilen. Teilt man die Glieder folgender durch einen Hauptakzent als
a) zweiteiliger Takt markierten Pulsreihe
in eine Anzahl ihnen gleichgeltender Gliedteile, also etwa in Sechzehnteile [Sechzehntel]
oder in Achtel
so macht bis in diese kleinen Gliederungen, und auch in die noch kleineren hinein, die Forderung der Periodizität sich geltend und scheidet diese Reihen von Gliedteilen durch Nebenakzente niederer Grade in ähnliche Gruppen von wechselnder Hebung und Senkung, wie die ganze Viertelpulsreihe im Großen durch den Hauptakzent:
In voranstehender Akzentuation ist nun zwar die Gruppierung der Gliedteile vollzogen, aber die grundlegliche Viertelpulsreihe noch unkenntlich, weil durch keinen besonderen Akzent bestimmt. Um diese verständlich zu machen, bedarf es eines Akzentes nächsthöheren Grades, durch den je zwei und zwei Gliedteilpaare wiederum zu einem Gliede nächsthöherer Ordnung zusammengeschlossen werden:
Indem die beiden Glieder des Taktes (die Viertel) zu ihrem Akzent als Gliedteile noch den Gliedakzent hinzubekommen haben, zeichnen sie sich vor den einfach akzentuierten Gliedteilen nunmehr als doppelt gewichtig aus. Die Viertelpulse sind bereits kenntlich; aber noch nicht verbunden, d. h. noch nicht als Thesis und Arsis des Taktes unterschieden, denn sie haben beide nur denselben Gliedakzent niederer Ordnung. Die Pulsreihe im Großen erscheint noch monoton, zusammenhanglos und noch nicht als 2/4-Takt verständlich. Daher bedarf es der ferneren Gruppierung durch den dem ersten Gliedteil jedes ganzen Taktes beigegebenen Haupt- oder Taktakzent oberster Ordnung:
Der Taktakzent markiert also den Takt, gliedert die ganze Pulsreihe in Gruppen von einer gleichen Anzahl Schläge; der Gliedakzent (zweiten Grades) markiert die Taktglieder ihren Gliedteilen gegenüber; und der Gliedteilakzent verbindet die Gliedteile zu Gruppen von wechselnder Senkung und Hebung - in ähnlicher Weise wie der Gliedakzent die Gliedteilpaare und der Taktakzent die Glieder.
Ziehen wir die Sechzehntel des voranstehenden Beispieles zusammen, so schiebt sich die Akzentordnung solchergestalt ineinander:
Das erste Viertel jedes Taktes hat den Takt- und Gliedakzent, das zweite den Gliedakzent seinem Gliedteile gegenüber; der Gliedteilakzent ist mit der Sechzehntelgliederung verschwunden. Ebenso ergeht es dem Gliedakzent, wenn die Achtel in Viertel zusammengezogen werden:
So erstreckt sich diese Akzentordnung, von der Teilung der Pulsreihe in Takte ausgehend, über alle größeren und kleineren Gliedteilungen. Dass aber diese Akzente, sehr häufig auch der Taktakzent mit eingeschlossen, durchaus nicht immer im Vortrag markiert werden, ist jedem bekannt. Im Gegensatz dazu fordert wiederum in vielen Fällen der ausdrucksvolle, deklamatorische Vortrag der Melodie eine bestimmte Betonung auch der Glied- und Gliedteilakzente niederer Grade. Allgemein geltende Regeln lassen sich hierfür nicht geben, der gebildete Kunstgeschmack wird in jedem einzelnen Falle erkennen, was er zu tun hat.
b) Den dreiteiligen Takt vorläufig übergehend, wenden wir uns zum vierteiligen. Er besteht aus reell vier Gliedern, nicht aus zwei zusammengezogenen zweiteiligen Takten, die man etwa nur durch Hinweglassung des trennenden Taktstriches in einen vierteiligen verwandelt hat. Sein Akzentsystem ist auf die vorhin beim Zweivierteltakt erklärte Weise leicht zu erkennen. Denke man sich die Viertel eines Vierteltaktes in Sechzehntel zerlegt, so hat das erste Sechzehntel eines jeden Sechzehntelpaares den Gliedteilakzent niederen Grades:
das erste Sechzehntel eines jeden Viertels dazu den Gliedakzent:
Indem auf eine Senkung nur eine Hebung folgen kann, hat neben dem ersten Viertel auch das dritte einen Teilakzent höherer Ordnung, wodurch diesen beiden Akzenten als Senkung gegenüber das zweite und vierte Viertel zur Hebung werden, nämlich:
Außerdem hat endlich das erste Glied des Taktes den die Senkung und Hebung der ganzen Pulsreihe im Großen markierenden Taktakzent:
Zieht man diese Gliederung zusammen:
so bleibt für das erste Taktglied der Hauptakzent, für das dritte aber ebenfalls ein (schwächerer) Akzent, dessen der Takt seiner Breite wegen benötigt ist, da drei akzentlose Taktzeiten nicht an einer akzentuierten hängen können. Dadurch aber, dass dieser Nebenakzent schwächer ist als der Hauptakzent, unterscheidet sich der reell vierzeitige Takt von zwei zusammengezogenen zweizeitigen
Seine doppelte Senkung und Hebung aber gibt ihm gewichtige Breite, die mindere Stärke der zweiten im Vergleich zur ersten Mannigfaltigkeit im Regelmäßigen.
c) Eine dreigliedrige Pulsreihe (Tripeltakt) hat einen Hauptakzent, aber, da durch einen Akzent nur ein akzentloses Glied bestimmt wird, auch einen schwächeren Nebenakzent auf dem zweiten Glied. Stellen wir einen 3/4-Takt in Achteln dar, so hat jedes erste Glied der drei Achtelpaare den Gliedakzent, das erste Achtel des Taktes noch dazu den Taktakzent:
Werden diese Achtel in Viertel zusammengezogen, so übergibt das dritte Viertel seinen Gliedakzent an das zweite, welches, da es bereits einen Gliedakzent hat, mit einem doppelten aber zu gewichtig erscheinen würde, einen wiederum auf das erste Viertel zurückwirft und den anderen für sich behält, also:
Das letzte Viertel des Taktes ist demnach völlig akzentlos, völlige Hebung. Das zweite aber kann nicht ganz akzentlos sein, da es erstes Glied eines Gliederpaares (des zweiten und dritten Viertels) ist, dem dritten Viertel gegenüber den Gliedakzent hat. Nur schwach aber kann dieser Akzent des zweiten Viertels sein, da es zugleich als Arsis an der Thesis des Taktes hängt. Durch Annahme dieses Nebenakzentes auf dem zweiten Taktglied stehen die Glieder des dreizeitigen Taktes aber in innigster Verbindung miteinander, indem wie das zweite Glied durch das erste, als die Thesis des Taktes, das dritte wiederum durch das zweite, als das erste Glied eines Gliederpaares (Gliedthesis niederer Ordnung) bedingt ist (Näheres siehe Hauptmann, Harmonik und Metrik, S. 225).
Eine ganz ähnliche Akzentordnung ergibt sich bei dreiteiliger Gliedteilung:
Von diesen Gliedteilen ist jedes dritte völlig akzentlos, das mittlere hat dem dritten gegenüber den Gliedteilakzent, als erstes Glied eines Gliedteilpaares; jedes Taktglied hat, da es aus mehreren Teilen besteht, seinen Teilen gegenüber den Gliedakzent, das zweite wiederum einen stärkeren als das dritte, als erstes Glied des zweiten den Takt ausmachenden Gliederpaares. Das erste Taktglied hat außerdem den Taktakzent.
Allen Akzentordnungen unterliegt also im letzten Grunde die einfache Folge einer Hebung auf eine Senkung. Und ebenso sind alle zusammengesetzten Taktarten nichts als Ableitungen von der zwei-, drei- und vierteiligen Taktart. So ist der 6/4 oder 6/8 in seiner Grundform ein zweiteiliger oder ein dreiteiliger
je nach der Akzentordnung; der 9/4, 9/8 etc. ein dreiteiliger, der 12/4, 12/8, 12/16, 24/16 ein vierteiliger. Aufgeführt sind die Taktarten im Artikel Takt, den man mit dem vorliegenden vergleichen muss.
Akzentrückungen
Um eines besonderen Ausdruckes willen wird von der natürlichen Akzentordnung nicht selten abgewichen, indem sie verschoben wird. Der Akzent rückt von der Thesis auf die nächste Arsis. Allen Arten von Akzentrückungen, deren es mehrere gibt, liegt dasselbe Prinzip unter, wenngleich sie in verschiedenen Gestalten erscheinen. Nämlich
a) der Akzent rückt von Thesis auf Arsis; diese hat nun den Nachdruck, während jene gewichtlos ist, [siehe nachfolgendes] Beispiel a). Sehr häufig kommt diese Akzentuation in Anwendung, wenn die Note auf Arsis länger ist als die auf Thesis, Beispiel b).
Solche Akzentverschiebung darf aber nicht zu lange andauern, indem sonst die akzentuierte Arsis als Thesis sich geltend macht, und die Rückung nicht mehr als solche verständlich erscheint. Wenn man folgende Reihe
lange andauernd fortführt, so reduziert unser rhythmisches Gefühl diese Akzentrückung sehr bald auf die naturgemäße einfache Akzentordnung, indem es die akzentuierte Arsis als Thesis auffasst, weil das Natürliche und Allgemeine vor dem Künstlichen und Besonderen stets sich behauptet:
Es können auch zwei Akzentordnungen, von denen die eine die natürliche, die andere diese Rückung ist, gleichzeitig sich entgegentreten:
Im ersten dieser beiden letzteren Beispiele hat dann jedes der beiden Taktglieder einen schweren Akzent, und solche Marcatofiguren können sehr wirksam sein an Stellen, wo es auf einen sehr gewichtigen Nachdruck ankommt. Wiewohl man sie auch nicht gar lange andauernd gebrauchen kann, indem sie sonst schwerfällig und massiv werden. Die Akzentuation im zweiten Beispiel, mit dem schweren Akzent auf dem ersten und zweiten Viertel des Dreivierteltaktes, ist ziemlich gewöhnlich; meist wird dann jedoch der Akzent des ersten Gliedes etwas leichter, wie ein Gliedakzent, genommen:
und die Figur ist eigentlich nur eine Umkehrung von Hauptakzent und Gliedakzent des dreiteiligen Taktes:
Der Gliedakzent des dreiteiligen Taktes rückt vom zweiten Glied auf das dritte, also anstatt:
das dritte Glied erscheint dadurch als kräftigerer auftaktartiger Anlauf zum nächsten Takt.
c) Die zweiteilige Taktart vermischt sich mit der dreiteiligen, sogenanntes tempo rubato:
d) die zweiteilige Taktart mischt sich in die dreiteilige, aber auf andere Art. Es treten nämlich drei zweiteilige Takte an die Stelle zweier dreiteiligen:
Im Grunde sind diese drei zweiteiligen Takte, die auch in Taktglieder geteilt erscheinen können, nichts als ein dreiteiliger Takt, dessen Noten im Wert verdoppelt sind, damit sie Gewicht und Nachdruck bekommen. Solche Stellen werden fest akzentuiert und etwas breit vorgetragen und kommen in Sätzen von dreiteiliger Taktart und lebhafter Bewegung meist gegen den Schluss hin vor. Namentlich bei den älteren Tonsetzern findet sich dies Art Rückung sehr häufig, gewöhnlich als drei geschwärzte (imperfekte) Breves im Tempus perfectum an Stelle zweier perfekten (Hemiolen, siehe Mensuralnotenschrift). Auch bei Händel ist sie oft genug anzutreffen (Susanne, Johannis- und Brockes'sche Passion), auch im 6/8, wie folgende Stelle aus der Johannispassion (Deutsche Händelausgabe, Lieferung IX. S. 4) zeigt:
Aus unserer gegenwärtigen Musik ist diese sehr wirksame deklamatorisch-rhythmische Wendung fast ganz verschwunden.
e) Die Synkope endlich ist Verkettung einer Arsis und Thesis zu einem Taktglied, bei welcher der Akzent von der Thesis auf die ursprünglich akzentlose Arsis vorrückt:
An Stelle des ersten und dritten Gliedes sind also in dieser Synkopierung das zweite und vierte akzentuiert. Als einzelne rhythmische Reihe aber hört die Synkope bald auf, als Akzentrückung verständlich zu sein, indem (wie unter a)) das Gefühl die akzentuierte Arsis alsbald als eine Thesis auffasst. Soll eine Synkope rein einstimmig längere Zeit sich halten können, so muss sie taktweise oder auch in längeren Zwischenräumen durch eine akzentuierte Thesis, die das natürliche Akzentverhältnis immer wieder ins Gedächtnis zurückruft, unterbrochen werden:
Kommt aber die Synkope, wie gewöhnlich, im mehrstimmigen Satz vor, so kann sie beliebig lange andauern ohne unverständlich zu werden, indem alsdann immer andere Stimmen den Gegendruck der natürlichen Akzentordnung ihr entgegensetzen:
Gemeinhin werden sämtliche Glieder der Synkope, sowie auch die schwächer akzentuierten oder ganz akzentlosen der natürlichen Akzentreihe, stark markiert, um den Gegendruck der beiden Akzentordnungen um so fühlbarer zu machen. Es kommt hierbei aber auf den Ausdruck an, den die Stelle haben soll; man kann auch etwas Weiches und Fließendes durch ein solches Ineinanderschieben der beiden Akzentsysteme darstellen; dann fällt zwar keineswegs die Akzentuation selbst, wohl aber die scharfe Markierung derselben fort. Übrigens gebraucht man den Ausdruck Synkope auch für jede Art von Bindung eines guten Taktteiles an einen schlechten, auch wenn der Akzent keine Rückung macht. So wird bei Vorhalten die Thesis an die Arsis gebunden, doch ohne dass die Akzentordnung sich verschiebt. Der gebundene Vorhalt macht sich, auch wenn er nicht markiert und stärker angeschlagen wird, sondern in gleicher Klangstärke liegen bleibt, stets als Thesis geltend, seine Auflösung als Arsis:
Die Dissonanz ist stets akzentuiert, ihre Vorbeitung und Auflösung sind akzentlos.
Ferner fallen sämtliche Schlüsse auf ein akzentuiertes Taktglied, welches zwar nicht immer das erste im Takt zu sein braucht, im Vierteltakt das dritte, durch Akzentrückung auch (im Dreivierteltakt gleichfalls) das zweite sein darf. Aber wenigstens ein seinen Gliedteilen gegenüber akzentuiertes Taktglied muss es immer sein (siehe Tonschluss; Rhythmus).
In Vokalkompositionen müssen die grammatikalisch akzentuierten Laute des Textes, also die betonten Worte oder die Stammsilbe derselben, auf die grammatikalischen Akzente der Melodie, also auf die guten Taktteile, fallen, rücken aber bei Akzentrückungen mit dem Akzent, wie sich von selbst versteht. Tonlose Silben auf akzentuierte Noten und betonte auf akzentlose zu setzen, ist Sprachverrenkung und gehört zu den geschmacklosesten Fehlern, die ein Vokalkomponist begehen kann.
Der oratorische Akzent
Vorhin ist bereits die Rede davon gewesen, dass man im Vortrag durchaus nicht immer das ganze Akzentsystem von Haupt-, Glied- und Gliedteilakzenten durch wirkliche Betonung ausdrückt. In sehr vielen, man kann sagen, in den meisten Fällen werden wenigstens die Nebenakzente gar nicht markiert. Namentlich in schnellem Tempo; wollte man leichte und fließende Passagen in rascher Bewegung mit allen Akzenten des vorhin beschriebenen Systems vortragen, so würden sie unleidlich steif und hinkend zum Vorschein kommen. Ebensowenig als die Nebenakzente wird man an vielen Stellen die Taktakzente markieren. Es lassen sich die Fälle, in denen der Spieler die Akzente auszudrücken hat oder nicht, im Einzelnen unmöglich angeben. Jederzeit aber muss er den Akzent im Gefühl haben, auch im freiesten Vortrag und wenn er ihn auch gar nicht markiert. Denn ein Vortrag, dem man ansieht, dass der Spieler entweder über die grammatikalische Akzentordnung mit sich selbst nicht im Reinen ist, oder dass er kein natürliches Gefühl für Rhythmus und Takt hat, kann unleidlich werden, weil er verwaschen, schwankend, mark- und kraftlos ist. Und im Gegensatz dazu ist die Manier mancher Spieler, die Akzentuation zu allerhand kleinen Effektstückchen und Zierereien zu benutzen, nicht weniger unangenehm; Virtuosen, die nichts weiter sind als solche, lieben es häufig, Zögerungen, Rückungen des Akzentes und Betonungen schlechter Taktteile etc. anzubringen wo es gar nicht nötig ist, um geistreich zu erscheinen und durch pikante Spielereien ihre sonstige Nüchternheit zu verstecken. Es wird dadurch aber nichts weiter erreicht als ein der Natur auferlegter Zwang und Verletzung des richtigen Gefühls eines jeden musikalisch gebildeten Hörers.
Unter oratorischem Akzent versteht man aber den gehobenen deklamatorischen Vortrag auf Grund des natürlichen Akzentsystems. Wie in der Sprache, wenn der Redner mit Empfindung spricht, gewisse Teile der Rede, als Worte, Silben etc., durch einen besonderen Nachdruck vor den übrigen hervorgehoben werden, wodurch hauptsächlich der Inhalt der Rede für den Hörer Eindringlichkeit gewinnt, ebenso müssen beim Vortrag einer Melodie diejenigen Glieder, Töne und Tonfolgen derselben, welche hauptsächlich die darin liegende Empfindung zu veranschaulichen haben, einen besonderen Nachdruck erhalten. Von der grammatikalischen Akzentuation unterscheidet sich die oratorische Akzentuation wie Deklamation von gewöhnlicher (metrisch richtig gegliederter) Sprache. Ihre Akzente sind kräftiger, weil ihr Zweck nicht bloß Aufrechterhaltung der Taktordnung (denn dieses wird beim oratorischen Akzent als selbstverständlich vorausgesetzt), sondern im wesentlichen deutliche und eindringliche Veranschaulichung des Inhalts der Melodie ist. Diesem erhöhten und spezialisierten Ausdruck zu Liebe gestattet sich der oratorische Akzent auch eine freiere Behandlung des einfachen grammatikalischen in Hinsicht auf Betonung der Taktglieder; außerdem auch mitunter Abweichungen von der strengen Zeitmessung, sofern einzelne Noten, welche besonders nachdrücklich vorgehoben werden sollen, wohl ein klein wenig länger angehalten; andere, die sich unterzuordnen haben, in ihrer Zeitdauer wohl etwas verkürzt werden.
Die oratorische Akzentordnung ist gleichsam die künstlerische Gruppierung der Schatten und Lichter in Hinsicht auf die Betonung und ein wesentlicher Teil dessen, was wir Vortrag nennen. Die Bezeichnungen, welche der Komponist dafür hat, um seine Ansichten dem Ausführenden deutlich zu machen, sind sehr auf das Allgemeine beschränkt und unbestimmt, weil dieser Teil des geistigen Gehaltes eines Tonkunstwerkes durch mechanische Zeichen nur sehr unvollkommen sich mitteilen lässt. Der Ausführende ist mehr auf sein richtiges und durchbildetes musikalisches Gefühl hingewiesen als auf die Vorschriften des Tonsetzers, welche ihm nur den allgemeinsten Anhalt geben. Denn über die bekannten Bezeichnungen sforzato oder rinforzando sowie piano, forte, crescendo und diminuendo etc., welche auch zur oratorischen Akzentuation gehören, kommt unsere Notenschrift nicht hinaus.
* In der lateinischen und griechischen Metrik ist die Geltung der Worte Arsis und Thesis für den Takt umgekehrt; Arsis, die Hebung (der Stimme, des Fués beim Marschieren), ist der gute, Thesis, die Senkung, der schlechte Taktteil. In dieser Geltung kommen sie übrigens auch bei manchen musikalischen Schriftstellern vor. Außerdem nennt man die akzentuierten oder auf Thesis stehenden Noten auch anschlagende oder im Anschlage stehende und die akzentlosen oder auf Arsis befindlichen, nachschlagende oder im Nachschlage stehende Noten.
[Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 10ff]