Intervall (1802)
Intervall, ist der Raum zwischen zwei Tönen von verschiedener Größe, oder die Vergleichung einer Stufe der Tonleiter mit einer anderen in Betracht ihrer Entfernung. Wenn man die verchiedenen Töne der Tonleiter miteinander in Ansehung ihrer Entfernung vergleicht, das heißt, wenn man die Intervallen [sic] abzählt, so ist man darinne überein gekommen, jederzeit von dem tieferen Tone gegen den höheren zu zählen und das Intervall mit dem lateinischen Namen derjenigen Zahl zu bezeichnen, die auf den höheren Ton fällt.
Die Einrichtung unserer Tonschrift macht es notwendig, dass bei der Abzählung der Intervallen nur diejenigen Töne in Anschlag gebracht werden können, die in dem Liniensysteme verschiedene Stellen einnehmen. Gesetzt, man wollte, um alle in der Musik gebräuchlichen Intervallen zu unterscheiden, sie nach der Anzahl aller in dem Tonsysteme vorhandenen Töne abzählen, so würde sich zwischen dem Namen eines Intervalls und zwischen dem Raume, den es auf dem Liniensysteme einnimmt, ein gewisser Widerspruch äußern. Wollte man z. B. die beiden Töne g c, weil sie mit Inbegriff der chromatischen Töne eine Tonfolge von sechs verschiedenen Tönen enthalten (als g gis a ais h c), eine Sexte nennen, so würde dieses der Natur unseres Liniensystems widersprechen, auf welchem, weil es ursprünglich bloß für diatonische Tonfolgen eingerichtet worden ist, g c immer nur vier verschiedene Stufen ausmachen, man mag von dem g bis zum c vermittelst der diatonischen oder vermittelst der chromatischen Tonleiter fortschreiten, z. B.:
Weil nun, wenn wir die chromatischen Töne bei der Abzählung der Intervallen mit in Anschlag bringen, die Stelle, welche das obere Ende eines Intervalls auf dem Liniensysteme einnimmt, nicht abgeändert wird, so zählt man die Intervallen bloß nach dem Unterschiede der Stufen ab, die sie in dem Liniensysteme einnehmen. Daher behalten folgende Töne bei a), b) und c) den Namen der Sekunde, obgleich das Intervall bei a) nur einen großen halben Ton ausmacht, da hingegen das bei b) einen ganzen und das bei c) einen ganzen und halben Ton enthält, als:
Um aber die Verschiedenheit eines solchen Intervalls zu bezeichnen, bedient man sich der Beiwörter rein, groß und klein und übermäßig und vermindert.
Mit dem Beinamen rein werden diejenigen konsonierenden Intervallen bezeichnet, die nur eine einzige konsonierende Gattung enthalten und die sogleich die Eigenschaft der Konsonanz verlieren, sobald ein Ton des Intervalls um einen kleinen halben Ton erhöht oder erniedrigt wird. Von dieser Beschaffenheit ist die Oktave, Quinte und Quarte, z. B. c' c'', c' g', c' f'. Werden diese Intervallen ohne Beiwort genannt, so versteht man darunter jederzeit die reine Gattung dieser Intervallen.
Den Beinamen groß und klein gibt man
- denjenigen Konsonanzen, die um einen kleinen halben Ton verschieden sein können, ohne die Eigenschaft der Konsonanzen zu verlieren. Von dieser Beschaffenheit sind die Terzen und Sexten; man nennt daher z. B. die Terz c e, die zwischen ihren Grenzen drei halbe Töne (nämlich cis d dis) enthält, eine große Terz, weil sie eben sowohl konsoniert als die Terz cis e, die nur die beiden halben Töne d dis zwischen sich hat und deshalb die kleine Terz genannt wird. Ebenso verhält es sich zum Beispiel mit den beiden Sexten e-c und e-cis, die ebenfalls beide konsonieren, von welchen aber e-c die kleine, e-cis hingegen die große Sexte genannt wird, weil die erste nur sieben, die zweite hingegen acht halbe Töne zwischen ihren Grenzen enthält.Den Beinamen groß und klein gibt man
- den Sekunden und Septimen. So ist zum Beispiel die Sekunde h-c klein, weil sie nur einen großen halben Ton ausmacht, die Sekunde c-d hingegen wird groß genannt, weil ihr Umfang einen ganzen Ton beträgt. Aus eben diesem Grunde nennt man z. B. die Septime g f klein, die Septime c-h hingegen groß, weil die erste nur neun, die zweite aber zehn halbe Töne zwischen ihren Grenzen enthält.
Wird nun ein reines oder ein großes Intervall um einen kleinen halben Ton vergrößert, das heißt, wird das obere Ende desselben einen kleinen halben Ton erhöht oder das untere Ende einen kleinen halben Ton erniedrigt, so wird es alsdenn zum Unterschiede übermäßig genannt. So wird z. B. aus der reinen Quinte d-a, wenn ihr oberes Ende in ais oder das untere in des verwandelt wird, eine übermäßige Quinte. Aus der großen Sexte f d, wenn sie in f dis verwandelt wird, entsteht eine übermäßige Sexte, und aus der großen Sekunde c-d, wenn sie in c dis erhöht wird, eine übermäßige Sekunde.
Wird hingegen ein reines oder ein kleines Intervall um einen kleinen halben Ton verkleinert, das heißt, wird entweder das obere Ende desselben um einen kleinen halben Ton erniedrigt oder das untere Ende um einen kleinen halben Ton erhöht, so erhält es alsdenn zum Unterschiede den Beinamen vermindert. So entstehen z. B. aus der reinen Quinte d-a, wenn ihr oberes Ende in as oder das untere Ende in dis verwandelt wird, die verminderten Quinten d-as und dis-a. Auf gleiche Weise wird aus der kleinen Septime g f durch Erhöhung ihres unteren Endes eine verminderte Septime, nämlich gis-f, und aus der kleinen Terz d-f ebenfalls durch die Erhöhung des unteren Endes eine verminderte Terz, als dis-f.
In unserem vollständigen Tonsysteme von vier Oktaven würden nun eigentlich 28 verschiedene Arten von Intervallen enthalten sein, weil diese vier Oktaven 29 verschiedene Stufen enthalten. Man ist aber gewohnt, die Intervallen nur bis zu der achten Stufe abzuzählen und die neunte, sechzehnte und 23ste Stufe wieder mit dem Namen der zweiten, die 10te, 17te und 24ste wieder mit dem Namen der dritten usw. zu bezeichnen, weil alle Töne von der achten bis zur 15ten, von der 15ten bis zur 21sten usw. untereinander eben das Verhältnis haben, welches den Tönen von der ersten bis zur achten Stufe eigen ist - oder mit anderen Worten, weil in den folgenden Oktaven eben dieselben Töne, nur in einer verminderten Größe, wiederholt werden, wodurch die Natur der Intervallen nicht verändert wird. So behalten z. B. die Töne C-g, oder C-g', eben sowohl die Eigenschaft der reinen Quinte, als wenn sie so wie C-G in der eigentlichen Entfernung von fünf Stufen stehen. Man nimmt daher eigentlich nur sieben Arten* der Intervallen an, nämlich
- die Sekunde, ein Intervall von zwei Stufen, als h-c oder c-d;
- die Terz, ein Intervall von drei Stufen, als c-e oder d-f;
- die Quarte, ein Intervall von vier Stufen, z. B. c-f, f-h;
- die Quinte, ein Intervall von fünf Stufen, als c-g oder h-f;
- die Sexte, ein Intervall von sechs Stufen, als c-a oder e-c;
- die Septime, ein Intervall von sieben Stufen, z. B. c-h oder d-e und
- die Oktave, ein Intervall von acht Stufen, als c'-c''.
Das Intervall, welches aus zwei Stufen besteht, z. B. c-d, wird in der Harmonie auf zwei ganz verschiedene Arten gebraucht, nämlich einmal so, dass das untere Ende oder der Grundton desselben dissoniert, z. B.
oder zweitens so, dass das obere Ende desselben die Dissonanz enthält, z. B.
Im ersten Fall behält es den Namen der Sekunde, im zweiten Falle aber nennt man es zum Unterschiede von der Sekunde die None. Ebenso wird auch die Quarte, wenn sie als eine wirkliche Dissonanz gebraucht wird, von vielen Tonlehrern zum Unterschiede von der konsonierenden Quarte die Undezime genannt.
Es kommt zuweilen der Fall vor, dass es bei der Benennung der Intervallen [sic] notwendig wird zu unterscheiden, ob ein Intervall wirklich in der Oktave seines Grundtons enthalten ist, wie z. B. die Quinte bei Fig. 1, oder ob das Intervall so wie bei Fig. 2 um eine oder wie bei Fig. 3 um zwei Oktaven erhöht ist:
Im ersten Falle […] pflegt man es einfaches Intervall zu nennen; ist es aber […] um eine oder zwei Oktaven weiter von dem Grundtone entfernt, so nennt man es alsdenn ein gedoppeltes oder dreifaches Intervall. Die Quinte c-g bei Fig. 1 ist demnach eine einfache Quinte, die bei Fig. 2 eine gedoppelte und die bei Fig. 3 eine dreifache Quinte. Und so bei allen anderen Intervallen.
Einige Theoristen [sic] sind gewohnt, die vorhin angezeigten sieben Arten der Intervallen in Stamm-Intervallen und in abstammende einzuteilen und die letzten von den ersten aus der Umkehrung herzuleiten. Ein Intervall umkehren heißt in diesem Falle nichts anderes, als das tiefere Ende desselben eine Oktave höher oder das obere Ende eine Oktave tiefer setzen. Vermittelst dieses Verfahrens werden die Stufen eines Intervalls in ein anderes Verhältnis gebracht, das ist, sie werden in ein anderes Intervall verwandelt. Um diese Verwandlung der Intervallen vermittelst der Umkehrung kennen zu lernen, darf man nur die Zahlen von 1 bis 8 in entgegengesetzter Ordnung untereinander setzen, zum Beispiel
1 2 3 4 5 6 7 8 8 7 6 5 4 3 2 1 so zeigt es sich, dass durch die Umkehrung die Prime zur Oktave, die Quinte zur Quarte, die Terz zur Sexte und die Septime zur Sekunde wird. Daher werden die Prime*, die Quinte, Terz und Septime oft Stamm-Intervalle, die Oktave, Quarte, Sexte und Sekunde hingegen abstammende Intervallen genannt. Bei dieser Umkehrung der Intervallen ist zu bemerken,
- dass die reinen Intervallen bei der Umkehrung wieder in reine verwandelt werden […]
- dass die großen Intervallen zu kleinen und die kleinen zu großen werden […]
- dass die übermäßigen zu verminderten und die verminderten zu übermäßigen werden […].
[…]
* [Anmerkung von H. C. Koch zum Begriff der Prime] Hier wird die Prime unter den Intervallen gerechnet. Man versteht unter einer Prime, die man auch den Einklang oder Unisonus nennet, zwei Töne von gleicher Größe, z. B. c-c, die also eigentlich kein Intervall genannt werden können, weil kein Zwischenraum dabei vorhanden ist. Allein die Prime kommt sowohl in der Theorie als auch in der Praxis fasst alle Augenblicke in eine solche Verbindung mit den Intervallen, dass es eine übertriebene Grille sein würde, sie in solchen Fällen nicht im uneigentlichen Verstande für ein Intervall gelten zu lassen. Oben im Texte entsteht aus der Umkehrung der Oktave die Prime; […] alle Regeln der Fortschreitung und der Verdoppelung, welche die Oktave betreffen, gelten auch für die Prime usw. In allen diesen Fällen behauptet die Prime das Recht eines Intervalls […].
[Koch Musikalisches Lexikon 1802, 796ff]