Musiklexikon: Was bedeutet Kammerton?

Siehe auch: Gabelton, Stimmton und Normalton.
Vergleiche: Chorton.

Kammerton (1865)

Kammerton. Der gegenwärtig [Mitte des 19. Jh.] sowohl in der Kirche als in der Konzert- und Theatermusik ausschließlich herrschende Stimm-, Gabel- oder Normalton, nach welchem die Tonhöhen aller Instrumente, zum Zwecke genauen Übereinkommens bei Musikaufführungen, reguliert werden.

Über die in älterer Zeit neben dem Kammerton herrschenden anderen Stimmton, den Chor- und Kornettton, ist im Artikel Chorton das Nötige gesagt. Beide sind außer Gebrauch gekommen, auch die Orgeln stimmt man gegenwärtig [um 1865] in den Kammerton, wenngleich erst seit neuerer Zeit.

Allgemein als Kammerton angenommen ist das eingestrichene a1, von Scheibler auf 440 Schwingungen in der Sekunde fixiert und in dieser Tonhöhe von der Stuttgarter Naturforscherversammlung 1834 bevorwortet. Da aber manche Schwierigkeiten in Betreff genauer akustischer Bestimmungen erst in jüngst vergangener Zeit gehoben sind, ist es bisher noch nicht gelungen, den Normalton a1 an allen Musikorten auf eine und dieselbe absolut übereinstimmende Tonhöhe zu bringen. Sogar an verschiedenen Musikinstituten eines und desselben Ortes zeigen sich mittunter nicht unerhebliche Abweichungen.

Eben wie die älteren Stimmtöne ist auch der moderne Kammerton im Laufe der Zeit kontinuierlich in die Höhe gegangen. Nach Beobachtungen von Chladni, Scheibler, Fischer, Lissajous, Opelt u. a. betrug die Schwingungszahl des a1 zu Paris im Jahre 1788 an der königl. Capelle 409 [Hz], an der großen Oper stieg sie um 1821, 1833 und 1835 von 431 [Hz] auf 434 bis 449, an der Italienischen Oper von 424 im Jahre 1821 auf 439 im Jahre 1833 und in demselben Jahre noch weiter bis auf 441; an der Komischen Oper stand sie um 1821 auf 428 [Hz], am Konservatorium um 1833 auf 435. In Wien schwankte sie um 1834 an verschiedenen Theatern zwischen 434 und 445; in Berlin stieg sie von 1822 bis 1833 von 437 bis auf 442; in Dresden hielt sie sich im Jahre 1852 auf 439 [Hz]. Die auffallendste Steigerung machte sich in Petersburg bemerkbar. Hier ging sie in den Jahren von 1771 bis Ende des Jahrhunderts von 417 zu 437, 453 bis 460 Schwingungen [pro Sekunde] in die Höhe - und gegenwärtig [um 1865] muss sie noch höher stehen: denn da sie als die höchste Stimmung in Europa bekannt ist, ungeachtet den neuesten Messungen zufolge die Stimmung am Wiener Kärnthnerthor-Theater [sic] bereits 466 Schwingungen beträgt, muss sie diese Zahl noch übersteigen.

466 Schwingungen [pro Sekunde] ergeben im Verhältnis zu Scheiblers Normal-a1 (zu 440 [Hz]) und nach der gleichschwebenden Temperatur ungefähr den Ton b1, 415,3 Schwingungen den Ton gis1, 424 also einen zwischen gis1 und a1 liegenden Ton: Demnach klingt dieselbe Komposition, welche 1821 zu Paris an der Italienischen Oper in diesem Tone zu 424 Schwingungen stand, gegenwärtig zu Wien um drei Vierteltöne höher, in B, und zu Petersburg noch höher. Rechnet man nach dem Verhältnis der Pariser Steigung des Tones von 1788 bis 1863 zurück auf das Jahr 1763, so kann man im Allgemeinen annehmen, dass in diesem […] Jahrhundert 17-1863 die Stimmung um anderthalb Töne in die Höhe getrieben ist.

Die gegenwärtig [um 1865] in Paris festgestellte neue Stimmung des a1, das Diapason normal, beträgt 435 Schwingungen [pro Sekunde]. An mehreren Orten (Berlin, Köln, Dresden, Wien) hat man diese neue tiefere Stimmung angenommen. Doch ist ungeachtet der ersichtlichen Vorteile, welche sie dem Gesange gewähren muss, eine allgemeine Verbreitung derselben noch nicht so bald vorauszusehen, indem aus der dadurch notwendig werdenden Anschaffung neuer, auf dieses tiefere Diapason intonierter Blasinstrumente, nicht unerhebliche Kosten erwachsen.

Erklären lässt sich jenes beständige Hinaufschrauben der Stimmung einenteils aus der immer weiter um sich greifenden Herrschaft der Instrumentalmusik. Durch den Gesang kann sie nicht veranlasst worden sein, denn die Stimme hat ihre bestimmten Grenzen und sträubt sich, wenngleich sie den Instrumenten hat folgen müssen, doch ihrer Natur nach gegen gar zu gewaltsame Erweiterungen ihres Ambitus, während die Instrumente, höher gestimmt, frischer und glänzender klingen. Andernteils trug nicht geringe Schuld an solchem unmäßigen Steigen des Normaltones, wie in Wien und Petersburg, die bei Opernpublikum und Opernkomponisten nach und nach immer mehr eingerissene krankhafte Sucht nach grellen, durch schreiende Töne eine willkommene Verschärfung erfahrenden Effekten. Vergleiche Zamminer, Die Musik … 1855, S. 338; Deutsche Musikzeitung ( Wien, Red. S. Bagge) 1862, 302ff. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 469f]

Kammerton, Kapellton (1879)

Kammerton, Kapellton, früher die gewöhnliche Stimmung der zur Kammermusik erforderlichen Instrumente, im Gegensatz zu der um einen Ton höheren Orgelstimmung, den Chorton (siehe dort). Gewöhnlich musste man daher bei einer Kirchenmusik die Orgelstimme um einen ganzen Ton tiefer spielen, als die begleitende Instrumentalmusik spielte. Diese Unterscheidung ist heute [gegen Ende des 19. Jahrhunderts] zwar nicht mehr zulässig, doch besitzen wir noch nicht eine allgemein gültige Normalstimmung (siehe Stimmung). [Riewe Handwörterbuch 1879, 134]

Kammerton (1840)

Kammerton (in Frankreich nicht immer der beste), der gewöhnliche Stimmton der für die Kammer bestimmten Instrumente; er wurde einen ganzen Ton tiefer als der sogenannte Chorton genommen, weil man von der Ansicht ausging, dass die Kammermusik wegen des beschränkten Lokals nicht so scharf und durchdringend zu sein brauche, als die Stimmung der Orgel, die einen weit größeren Raum auszufüllen habe. Vergleiche Stimmton. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 247]