Musiklexikon: Was bedeutet Vierstimmiger Satz?

Vierstimmig (1879)

Vierstimmig ist der Satz, in welchem vier Stimmen selbständig geführt und zu gemeinsamer Wirkung verbunden sind. Er ist zunächst auf die Natur der Gesangsorgane begründet. Diese sind in vier durch Umfang und Klangfarbe bestimmter charakterisierte Klassen geschieden: in Sopran oder Diskant, Alt, Tenor und Bass, und somit erscheint die Vierstimmigkeit in der Natur begründet. Zwischen Sopran und Alt tritt allerdings noch der Mezzosopran und zwischen Tenor und Bass der Bariton, allein nicht eigentlich als selbständige Stimmklassen, sondern, wie im Artikel Singstimme gezeigt ist, als Mischgattungen, die wohl an sich, nicht aber in der Organisation des Chors und der Mehrstimmigkeit überhaupt selbständig werden.

Selbstverständlich sind auch noch eine ganze Reihe anderer Zusammenstellungen von vier Stimmen möglich. Es kann jede der oben genannten normalen Stimmklassen in vier Stimmen geteilt werden, so dass ein Satz von vier Sopranen oder vier Alten, von vier Tenören oder vier Bässen ausgeführt wird. Es können zwei Soprane mit zwei Alten oder drei Soprane mit einem Alt, selbst drei Alte mit einem Sopran, zwei Alte mit zwei Tenören, zwei Tenöre mit zwei Bässen usw. zum vierstimmigen Satz vereinigt werden, allein es sind das immer ausnahmsweise Zusammenstellungen, zu dem Zweck unternommen: bestimmte Klangeffekte zu gewinnen.

Die auf die Natur der Stimmen begründete Organisation des vierstimmigen Satzes bleibt immer die oben erwähnte und sie ist auch für die Entwickelung der Instrumentalmusik maßgebend geworden. Diese folgte dem vokalen Muster so treu, dass jede Instrumentengattung zunächst in einem solchen vierstimmigen Chor sich darstellt; das 17. Jahrhundert hatte: Diskant-, Alt-,Tenor- und Bassflöten, Zinken und Posaunen und Diskant-, Alt-, Tenor- und Bassgeigen usw. und erst allmählich ging die Musikpraxis weiter und organisierte, wiederum in engstem Anschluss an die vokale Vierstimmigkeit, den Bläserchor so, dass Flöten, Oboen und Klarinetten den Sopran und Alt vertraten, die Fagotte aber Tenor und Bass. Der Streicherchor dagegen behielt jene Anordnung der vokalen Vierstimmigkeit bei, die Diskantgeigen traten als erste und zweite Geige an Stelle des Sopran und Alt, die Viola an Stelle des Tenors, und da noch zum Violoncello der Kontrabass als tieferes Bassinstrument hinzutrat, so konnte das Cello auch ab und zu den Tenor ersetzen, und die Viola dem Alt überwiesen werden. Obgleich der Streicherchor damit fünf Instrumente erhielt, so wurde der Satz im Grunde deshalb noch nicht fünfstimmig, denn der Kontrabass geht in der Regel mit dem Violoncello; er unterstützt dies, da er 16-füßig erklingt, eine Oktave tiefer. Auch dass den Streichinstrumenten Doppelgriffe zu Gebote stehen, ändert selbstverständlich nichts an der ursprünglichen Organisation, die auf die Vierstimmigkeit basiert ist. [Mendel/Reissmann Musikalisches Lexikon 1879, 62]

Vierstimmig (1840)

Vierstimmig ist der Satz, in welchem vier Stimmen in ihren eigentümlichen Tonfolgen selbstständig fortschreiten. Da er zwischen dem Zuviel und Zuwenig gerade die Mitte hält, weder zu viel Verdoppelungen, noch zu viele Auslassungen nötig macht, so gilt er bei reiner Stimmführung und fließendem Gesang für den vollkommensten, schönsten und wohlklingendsten, weshalb auch das Quartett die Basis aller größeren Orchestermusik bildet. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 488]

Vierstimmiger Satz (1879)

Vierstimmiger Satz wird die Harmonie der Tonstücke genannt, wenn sie aus 4 nebeneinander fortlaufenden und sich zu einem Ganzen verbindenden Tonreihen besteht. Dem vierstimmigen Satz wird unter den mehrstimmigen Sätzen in Hinsicht seines Wohlklanges ein gewisser Vorzug beigelegt, weil er ursprünglich auf die natürlichste Abteilung der Singstimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) gegründet, das Mittel hält zwischen der zu verwickelten und der einfacheren Harmonie, dennoch weder durch zu große Mannigfaltigkeit unterscheidbar wird, noch durch zu viel Auslassungen dürftig ist.

Der vierstimmige Satz ist entweder so behandelt, dass eine Stimme die Melodie führt (Hauptstimme) und die anderen ihr zur Begleitung dienen, oder dass jede der 4 Stimmen als Hauptstimme betrachtet (thematische Schreibart, Kanon, Nachahmung) und durchgeführt wird. Den Charakter des vierstimmigen Satzes verliert ein Tonstück auch dann noch nicht, wenn es auch von vielen Stimmen, z. B. von dem ganzen Orchester und den vier Singstimmen, vorgetragen wird, wo eine Stimme mit der anderen im Einklange oder der Oktave geht und sie sich einander zur Verstärkung dienen. Übrigens ist der größte Teil unsrer Tonstücke in ihren wesentlichen Teilen vierstimmig gesetzt, was sich schon dadurch zeigt, dass das Bogenquartett jeder größeren Orchestermusik zum Grunde liegt. [Riewe Handwörterbuch 1879, 279]