Musiklexikon: Was bedeutet Variation?

Variationen, Variazioni (1882)

Variationen, Variazioni (Tema con Variazioni), heißen bekanntlich die veränderten Darstellungen eines meist einfachen, in Form des Liedes oder Tanzes gehaltenen Satzes. Der zu variierende Satz heißt Thema; er unterscheidet sich von dem Motiv, das bei den fugierten Sätzen auch Thema heißt, dadurch, dass er ein für sich bestehendes Tonstück ist, das sich selbst ausspricht in vollster Verständlichkeit, auch ohne die Variationen. Das Motiv ist zwar gleichfalls nicht inhaltslos, namentlich als Fugenthema muss es einen bedeutsamen Gedanken aussprechen, allein dieser kommt doch erst ganz und vollständig in der dialektischen Entwickelung, in der Verarbeitung zur Fuge zur Erscheinung. Das Thema der Variationen legt seinen Inhalt auch ohne sie vollständig dar, dieser erlangt durch sie nur eine allseitigere Beleuchtung und demnach allerdings auch eine Vertiefung. Es ist klar, dass dies nicht in einer Variation erreicht werden kann und so wird das Thema mit Variationen zu einer besonderen Kunstform, welche sowohl für sich, als auch als Teil einer größeren Form stehen kann. [Reissmann Handlexikon 1882, 584]

Variation (1879)

Variation (v. Latein.), Variazione (italienisch), Veränderung, Abweichung; eine auf mancherlei Art durch Zergliederung und Verzierung veränderte Wiederholung eines der Regel nach kurzen, einfachen und leicht fasslichen musikalischen Satzes (Thema), besonders für Instrumente, wobei ein angenommener Hauptsatz oder das Thema, mehrmals durch melodisch-harmonische und rhythmische Behandlung verschieden, hintereinander vorgetragen wird.

Als erste Regel gilt, dass bei allen Variationen die Grundzüge des Themas nie ganz unterdrückt werden. Gewöhnlich wird das Thema mehrmals in verschiedener Weise variiert, und die gesamten Variationen gelten dann mit dem Thema für ein Ganzes, das entweder mit einer Rückkehr zum Thema oder mit einer weiter und reicher ausgeführten Variation oder auch mit einem Anhang (Coda) schließt. Bisweilen hängen einzelne Variationen durch leichte Übergänge untereinander zusammen; meist aber schließt jede für sich ab. Variationen kommen nicht allein als ein besonderes Tonstück vor, sondern man wendet sie auch bei aus mehreren Sätzen bestehenden Tonwerken - als Sinfonie, Quartett, Quintett, Sonate - an, wo sie den Mittelsatz bilden. Haupterfordernisse guter Variationen sind ein interessantes, leicht zu behaltenes Thema, dann eine geistreiche, die Aufmerksamkeit des Zuhörers fesselnde Behandlung desselben.

Häufig werden die Variationen nur zur Darlegung von musikalischen Fertigkeiten gebraucht; auch hat man in neuerer Zeit Variationen für Singstimmen geschrieben, um den Sängern Gelegenheit zu geben, ihre Kunstfertigkeit zu zeigen. Man wendet auch die Variationen in jedem Musikstück an, um der Wiederkehr desselben Gedankens durch die Mannigfaltigkeit der melodischen und harmonischen Behandlung mehr Reiz zu verschaffen. Endlich macht man von der Variation auch Gebrauch beim Vortrage des Chorals auf der Orgel. Hier aber kann nur eine harmonisch-kontrapunktische Behandlung stattfinden. Noch ist zu bemerken, dass nicht nur in den Einzelheiten der Stimmführung etc. Variationen ihr Thema ändern; sie nehmen auch noch besondere Formen, z. B. die eines Marsches, Tanzes, der Fuge, Rondoform etc., an. [Riewe Handwörterbuch 1879, 276]

Variationen (1840)

Variationen, Variations (französisch), Veränderungen eines einfachen Satzes bei der Wiederholung durch jedesmalig verschiedene Zergliederung der Hauptnoten und neue Figurierung der damit verbundenen Nebennoten, durch Abwechslung in Harmonie, Taktart und Tonart, jedoch ohne gänzliche Verwischung der Grundzüge der Hauptmelodie (des Themas). Sie werden gewöhnlich mit einer Introduktion versehen, welche durch wiederkehrende Andeutungen des Motivs allmählich in das Thema führt; zum Beispiel Ries Variation über: "Dort vergiß leises Flehen …".

Die Variation entstand aus den Manieren und Koloraturen der Sänger und konnte sich erst dann entwickeln, als die Instrumentalmusik eine gewisse Selbstständigkeit erlangt hatte und die Melodie, sich immer mehr den Fesseln der Harmonie entwindend, freier und fließender sich bewegen konnte. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts, wo auch die Suite entstand, treten Themen mit Veränderungen für Klavier und auch für Violine auf. Solche Themen fanden sich zunächst unter den Ciaconnen, Passacaglien und anderen beliebten Tänzen. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 481f]