Concert (1872)
Concert [heutige Schreibweise: Konzert] (italienisch: concerto, vom lateinischen concertare, d. h. wetteifern) heißt zunächst ein größeres Tonstück, welches darauf angelegt ist, einem oder mehreren Spielern Gelegenheit zu geben, durch dessen Vortrag einen hohen Grad mechanischer Fertigkeit und geistiger Ausbildung an den Tag zu legen. Während demnach gegenwärtig [um 1870] nur Instrumentalwerke diesen Namen führen, galt derselbe in früherer Zeit und ursprünglich auch für Gesangstücke bestimmter Art, welche geistliche oder Kirchenkonzerte (Concerti di chiesa) hießen.
Auf instrumentalem Gebiete unterscheidet man voneinander: das Kammerkonzert, eine Tonform, welche noch heute gepflegt wird, obwohl sie nicht mehr zur Kammer-, sondern zur eigentlichen Konzertmusik gerechnet wird, und das Concerto grosso, welches in der neueren Zeit ganz außer Gebrauch gekommen ist. Im Kammerkonzert ist eine Instrumentalhauptstimme wesentlich, welche von einem Solospieler ausgeführt, vom Orchester begleitet und durch eingestreute Ritornelle des letzteren mannigfaltig gemacht wird. Ebenfalls zu dieser Klasse gehören das seltener vorkommende Doppel- (Double-) und Tripel-Konzert, in denen im Unterschied vom Solo-Konzert zwei oder mehrere Hauptstimmen oder konzertierende Instrumente, von ebenso vielen Spielern behandelt, wesentlich sind und vom Orchester begleitet werden. Das ganz außer Gebrauch gekommene Concerto grosso behandelte mehrere Instrumente gleicher oder verschiedener Gattung konzertierend bald wechselweise, bald vereint miteinander zwischen Sätzen des vollen Orchesters.
Was die geschichtliche Entwickelung des Konzerts betrifft, so erscheint Ludovicus Viadana als der erste, welcher unter diesem Namen, der übrigens bereits vor ihm, mehr oder weniger identifiziert mit Concentus (siehe dort) im Sinne einer mehrstimmigen Komposition überhaupt vorkommt, eine ganz bestimmte Tonform hinstellt. Es ist dies das Concerto da chiesa, deutsch das geistliche Konzert, welches den mit allen denkbaren Künsten und Künsteleien des Kontrapunktes überreich ausstaffierten Motetten mit ihren Textverrenkungen gegenüber, den Text in den Gesängen zur erforderlichen Deutlichkeit und zum Verständnis bringen sollte, wie es die einfache musikalische Deklamation erfordert. Viadana setzte solche Konzerte teils für eine Stimme mit Orgel-Continuo, teils auch für zwei, drei oder vier Stimmen, ebenfalls mit Begleitung der Orgel. Bald traten auch noch andere Instrumente hinzu und man unterschied sie in solche con oder senza stromenti. Den Text gaben gewöhnlich Psalmenstrophen oder andere Bibelsprüche ab. Der Umfang war knapp und kurz, doch war es Erfordernis, dass alle Stimmen als Hauptstimmen und durchaus obligat behandelt werden mussten.
Neben der eben beschriebenen Art bildeten sich unter dem Namen Kirchenkonzerte auch bald reine Instrumentalstücke aus, die einsätzig und im ernsten Stile geschrieben waren und in der Bewegung zwischen Adagio und Allegro wechselten. Aus dieser Form entwickelte Giuseppe Torelli (nach Quantz' Angabe), 1701 Konzertmeister zu Anspach, das Concerto da camera, Kammerkonzert, welches bis heute seine Geltung bewahrt hat, obwohl es nur noch kurzweg Konzert heißt und auch nicht mehr zur Kammer-, sondern zur Konzertmusik gerechnet wird. Nach Torelli bildeten diese Form Corelli, Geminiani und Vivaldi in zahlreichen Werken weiter aus. Die Art des letzteren, das Konzert zu behandeln, adoptierten besonders Quantz und Franz Benda und verhalfen ihr über ein Menschenalter hindurch in Berlin zu einer bedeutenden Blüte.
Das Kammerkonzert trat von Anfang an sonatenförmig auf und entwickelte sich seitdem auch unter gleichen Bedingungen wie die Sonate. Wie die letztere besteht es aus drei, seltener aus vier Sätzen, von denen der erste und dritte breit ausgeführt und von lebhafter Bewegung sind, der mittelste meist kurz ist und sich im langsamen Zeitmaß ergeht. Im ersten Satze geht in älteren Konzerten dem Eintritt der Solostimme meist ein längeres Ritornell des Orchesters voraus, das in kürzeren oder längeren Zügen die Hauptgedanken des Satzes vorführt. In neuerer und neuester Zeit [um 1870] fällt dieses Ritornell nicht selten ganz fort, die Solostimme tritt nach wenigen Takten Orchester-Introduktion ein und bringt die Hauptgedanken gleich mit dem Orchester gemeinschaftlich. Das zweite Thema steht wie im Sonatensatz in der Dominant- oder Parallel-Dur-Tonart, in welchem der erste Teil mit einem Orchester-Ritornell auch schließt. Dann folgt die Durchführung und die Repetition des ersten Teiles. Vor dem Schluss tritt, als Spezialität der Konzerte, eine länger oder kürzer ausgearbeitete oder vom Solospieler improvisierte Kadenz ein, aus fantasieartig behandelten thematischen Gestaltungen über die Hauptgedanken des Satzes bestehend, welche in ihrer kunstvollen Behandlung noch einmal Gelegenheit gibt, den vollen Glanz der Kunstfertigkeit, den der vortragende Virtuose besitzt, zu entfalten. Wenn der letzte Satz, wie nicht selten, ein Rondo ist, so richtet er sich nach dessen Form, wie man sie im Artikel Sonate beschrieben findet.
Neben einem allgemein ästhetischen Zweck hat das Konzert noch den besonderen, den technischen und Charaktereigentümlichkeiten eines Instrumentes sowie der Leistungsfähigkeit des Spielers Gelegenheit zu möglichst vielseitiger Entfaltung darzubieten. Der Komponist schreibt also Tonstücke dieser Gattung nicht minder im Interesse der Kunsttechnik. Es kommt aber darauf an, dass diese nirgends zu leerer Äußerlichkeit wird, sondern eine ästhetische Berechtigung behält, dadurch, dass sie als die dem betreffenden Instrumente charakteristisch eigene Ausdrucksweise auftritt und auch an sich musikalischen Gehalt besitzt. Nimmt daher das Konzert meistenteils eine gesteigerte Virtuosität beim Spieler zur Voraussetzung, so soll es doch nicht wegen dieser allein da sein, sondern soll wie jedes andere bedeutendere Tonwerk nicht minder einen hervorragenden Inhalt darbieten, nur dass dieser hier nicht so frei, sondern durch die Individualität des betreffenden Instrumentes immerhin erheblich bedingt und aus demselben heraus zur Ausgestaltung gelangt. Statt dessen haben allerdings verschiedene Umstände sich dahin vereinigt, diese Tonform sehr häufig zu einem gehaltleeren, mit Kunststücken und bloßen mechanischen Schwierigkeiten ausgezeichneten Virtuosenwerk zu erniedrigen, welches einer tieferen Empfindung und eines verfeinerten Kunstgeschmackes bar ist. Dieser Missbrauch ist von jeher als ein Hindernis der allgemeineren Verbreitung des guten Geschmackes in der Musik betrachtet worden. Das Konzert fordert so gut wie die Sinfonie und die Sonate einen bestimmten Charakter, welcher naiv oder heroisch, empfindsam oder leidenschaftlich sein kann, dann aber, gemäß jenen Kunstformen, klare, folgerichtige Entwickelung und Fortspinnung der Gedanken und abgerundeten Formenbau. Mozarts, Beethovens, dann Mendelssohns, Schumanns und Liszts Konzerte stehen als vollgültige Beweise für die hohe ästhetische Berechtigung auch dieser Gattung da und zeigen, dass der Tonsetzer der Instrumentaltechnik vollkommen gerecht werden kann, ohne dem Ernst des Stiles und der Bedeutsamkeit der Gedanken etwas zu vergeben. Das Orchester soll nicht nur vorhanden sein, um auszufüllen, Akkorde auszuhalten oder das Soloinstrument mit an und für sich gleichgültigen Begleitungsfiguren zu unterstützen, sondern es soll an der Durchführung der Gedanken seinen wesentlichen Anteil haben, gleichsam ausführend und ergänzend, was das Soloinstrument nicht alles auszudrücken vermag, sonach mit diesem sich zu einem einheitlichen Tongemälde zusammenschließen.
Werden die drei Sätze in gedrängter, weniger abgeschlossener Form in ein Ganzes zusammengegossen, so entsteht das Concertino oder Konzertstück. Dasselbe besteht meist nur aus einem längeren Satz, in dem die Bewegung wohl einmal wechselt, oder ein Mittelsatz in einem langsamen Zeitmaß episodisch vorkommt.
Was das gewöhnliche Konzert für ein Soloinstrument ist, sind das Doppel- und Tripel-Konzert für zwei und drei Soloinstrumente, von denen jedes, dem anderen gegenüber, berechtigte Hauptstimme ist. Es versteht sich von selbst, dass der Tonsatz wie im Duo und Trio polyphon ist, und dass das begleitende Orchester dieselbe wesentliche Stelle einnimmt, wie beim einfachen Konzert.
Von der Bedeutung des Wortes Konzert als Kunstform abgesehen, belegt man mit diesem Namen auch jede Musikaufführung, welche mehrere vollstimmige Tonstücke, worunter namentlich das oben beschriebene Instrumentalkonzert gehört, in ihrem Programm führt. Nach den Hauptgattungen der aufzuführenden Tonwerke unterscheidet man verschiedene Arten von Konzerten, nämlich geistliche, in denen Tonwerke religiösen, und weltliche, in denen solche nicht kirchlichen Inhalts vorgetragen werden; Vokalkonzerte, in denen Gesangwerke, und Instrumentalkonzerte, in denen Instrumentalwerke ausschließlich oder doch vorwiegend vorgeführt werden. Geistliche Konzerte finden meist in der Kirche statt und werden daher auch oft Kirchenkonzerte genannt; Oratorienkonzerte in der Kirche oder im Saal. Ferner spricht man hinsichtlich der Besetzung von Großen Konzerten, in denen das ganze Orchester oder auch der Chor mit umfangreichen Werken zur Verwendung kommt sowie auch Virtuosen und Solosänger mitwirken; ferner von Kammerkonzerten, in denen nur Kammermusikstücke vorgetragen werden; von Sinfoniekonzerten, die für Ausführung von Sinfonien und Ouvertüren ausschließlich bestimmt, und von Virtuosenkonzerten, welche Vorträgen im Solospiel hauptsächlich gewidmet sind. Endlich werden die aufzuführenden Tonwerke entweder, wie es meistenteils der Fall ist, von wirklichen Fachmusikern ausgeführt oder von Kunstliebhabern. Nach diesem Unterscheidungsmoment nennt man jene Künstler-, diese Dilettantenkonzerte.
Alles nähere, die Anordnung eines Konzerts in Betreff des Orchesters, dessen Besetzung (siehe dort) und Aufstellung sowie des Chores, ferner die Wahl und Anordnung der Tonstücke, welche die Richtung und Reinheit des Geschmackes, die Umsicht oder Beschränktheit des Anordners kennzeichnen, liegt außer dem Bereich dieses Artikels und ist an geeigneten Orten soweit als möglich in Betracht gezogen. Sollen die Konzerte, wie man mit Recht allgemein annimmt, wichtige Faktoren zur Bildung und Veredelung des musikalischen Verständnisses, der sittlichen und intellektuellen Hebung und Veredelung des Publikums sein, so müssen an die Konzertgeber in Bezug auf die Zusammenstellung ihrer Programme und deren Steigerung bedeutende Ansprüche gestellt werden. Das Programm an und für sich muss schon eine Art Kunstwerk sein, welches Mannigfaltigkeit und Einheit zugleich darzubieten hat, Einseitigkeit und Parteilichkeit ausschließt und in interessanter und spannender Aufeinanderfolge in dem Schlusswerke auch zugleich seinen Gipfelpunkt findet. [Mendel Musikalisches Lexikon 1872, 536f]