Verzierungen, Manieren (1879)
Verzierungen, Manieren, französisch: Broderies, gemeinsamer Name für die verschiedenen Arten der Ausschmückung melodischer Hauptnoten durch eingeschobene Nebennoten von geringerem Wert. Diese gehören nicht eigentlich zur angenommenen Melodie, sondern sie sind ihr nur als Schmuck eingefügt.
Philipp Emanuel Bach ("Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen", Berlin 1753) gibt in § 1 des zweiten Hauptstücks den Nutzen der Verzierungen dahin an:
"Es hat wohl niemand an der Nothwendigkeit der Manieren gezweifelt. Man kann es daher merken, weil man sie überall in reichlicher Menge antrifft. Indessen sind sie allerdings unentbehrlich, wenn man ihren Nutzen betrachtet. Sie hängen die Noten zusammen; sie beleben sie, sie geben ihnen, wenn es nöthig ist, einen besonderen Nachdruck und Gewicht; sie machen sie gefällig und erwecken folglich eine besondere Aufmerksamkeit; sie helfen ihren Inhalt erklären; es mag dieser traurig oder fröhlich oder sonst beschaffen sein, wie er will, so tragen sie allezeit das ihrige dazu bei; sie geben einen ansehnlichen Theil der Gelegenheit und Materien zum wahren Vortrage; einer massigen Composition kann durch sie aufgeholfen werden, da hingegen der beste Gesang ohne sie leer und einfältig und der klarste Inhalt davon allezeit undeutlich erscheinen muss."
§ 2 fährt er dann fort: "So viel Nutzen die Manieren also stiften können, so gross ist auch der Schaden, wenn man theils schlechte Manieren wählet, theils die guten auf eine ungeschickte Art ausser ihrem bestimmten Orte und ausser der gehörigen Anzahl anbringet", und endlich § 3: "Deswegen haben diejenigen allezeit sicherer gehandelt, welche ihren Stücken die ihnen zukommenden Manieren deutlich beigefügt haben, als wenn sie ihre Sachen der Discretion ungeschickter Ausüber hätten überlassen sollen."Die französischen Klavierkomponisten im Anfang des vorigen Jahrhunderts [des 18. Jh.] pflegten ihren Klavierwerken auch stets eine Explication des Agremens vorzusetzen. Es war dies freilich in jener Zeit notwendig, weil die verschiedenen Bezeichnungen für diese Verzierungen noch nicht feststanden und die betreffenden Virtuosen neue Figuren und dementsprechend auch neue Zeichen einzuführen suchten. Auch Johann Sebastian Bach gibt dem "Clavier-Büchlein von Wilhelm Friedemann Bach, angefangen in Cöthen den 23. Jan. Ao. 1720" eine "Explication vnterschiedlicher Zeichen, so gewisse Manieren ahrtig zu spielen andeuten" bei.
Marpurg (Friedrich Wilhelm, "Anleitung zum Clavierspielen, der schönern Ausübung der heutigen Zeit gemäss entworfen", 1755) teilt diese Verzierungen in Spielmanieren und Setzmanieren und sagt darüber:
"Eine Spielmanier ist im Grunde nichts Anderes, als ein Zusatz zu dem vorhandenen Gesang, den man mittelst der Stimme oder eines Instruments vorträgt. Man hat nämlich bemerkt, dass es nicht genug ist, eine Anzahl vorgeschriebener Klänge nach ihrer blossen Folge hinter einander in dem Werthe ihrer Zeit zu spielen; man hat befunden, dass es nöthig wäre, diese Folge dem Gehör auf eine angenehmere Art fühlbar zu machen und der Composition das ihr noch anklebende Rauhe dadurch zu benehmen. Hieraus sind die Spielmanieren entstanden, die man sich als eine extemporale Nachahmung und Anbringung der Setzmanieren in einer ausgeputzteren Gestalt betrachten kann. Eine Setzmanier besteht in der Veränderung einer grösseren Note in kleinere Noten, oder in der Verbindung einer Hauptnote mit Nebennoten. Die Spielmanieren bestehen zwar auch in dieser Veränderung oder Verbindung, jedoch noch mit dem Unterschiede 1) dass sie nach Beschaffenheit der Umstände, nachdem es Geschmack und der gute Zusammenhang der Klänge erfordert, es bald mit der Hauptnote und bald mit einer Nebennote aus der Melodie zu thun haben, und 2) dass man die Setzmanieren ordentlich zu Papier bringt und in den Tact mit eintheilt, die Spielmanieren aber entweder dem Nachdenken des Ausübenden überlässt, wiewohl es doch auch öfters geschieht, dass man gewisse Spielmanieren ordentlich, sowie die übrigen Noten ausschreibt und umgekehrt, dass man gewisse Setzmanieren durch Zeichen oder Nötchen andeutet, d. h. man vermischt Eins mit dem Andern in der Schreibart. Die Spielmanieren sind aber aus den Setzmanieren hervorgegangen und die Natur der Ersteren ist daher leicht einzusehen. Die Setzmanieren lassen sich in fünf Classen eintheilen, und es gehören zur ersten Classe
a) die Schwärmer oder Rauscher bei [Notenbeispiel] 1;
b) die springenden Schwärmer bei 2;
zur zweiten Classe die laufenden Figuren bei 3;
zur dritten Classe die rollenden Figuren:
a) die Walze oder Rolle bei 4;
b) der Halbzirkel bei 5;
c) der aus zwei Halbzirkeln bestehende ganze Zirkel bei 6;
zur vierten Classe
a) die gebrochenen harmonischen Figuren bei 7;
b) die accentuirte Brechung bei 8;
zur fünften Classe die vermischten Manieren; wenn nämlich die vorbenannten Figuren dergestalt untereinander verflochten werden, dass man sie nicht bequem nach dieser oder jener Classe von Manieren auflösen kann, weswegen man dergleichen Figuren auch nur insgemein Passagen, Gänge, Wendungen u. s. w. zu nennen pflegt.Die Spielmanieren nennt man zum Unterschiede von den vorbenannten, willkürlichen, insgemein wesentliche Manieren, weil sie überall in jedem Stücke gebraucht werden. Ein Stück kann wohl ohne jene willkürlichen Zierrathen, aber niemals ohne diese wesentlichen Ausschmückungen vorgetragen werden, und kein Instrument bedarf derselben mehr, als das Clavier. Doch so ungefällig und hart ein von allen Manieren entblösster Vortrag ist, so ekelhaft ist derjenige, wo alle Noten mit Zierrathen verbrämt werden. Jener macht die vortrefflichsten Aufsätze plump und rauh, dies macht den wahren Gesang unkenntlich. Ein Musikus, der bei jeder Note trillert, kommt mir vor wie eine affektirte Schöne, die bei jedem Wort einen Knicks macht."
Marpurg rechnet darnach das Figurenwerk, mit welchem eine Stimme ausgezeichnet ist, überhaupt unter dem Namen Setzmanieren - als mit dem Satz direkt verbunden und innerhalb desselben ausgeführt - unter die Manieren, ebenso wie die Spielmanieren, die erst während des Spielens zur eigentlichen Ausführung kommen. Jetzt [um 1880] versteht man unter Verzierungen oder Manieren nur die sogenannten Spielmanieren.
Eine der frühesten Verzierungen war die Bebung, die, wie in dem Artikel Triller schon gezeigt ist, in der frühesten Zeit der Entwicklung des Gesanges schon Anwendung fand. Nach dem Zeugnis von Samuel Scheidt ("Tabulatura nova", Hamburg 1624) wurde sie dann auch instrumental eingeführt. In einer Nota Philomusa am Schluss des ersten Teils gibt er die Vortragsart dieser Stelle an:
"Wo die Noten, wie allhier, zusammengezogen sind, ist solches eine besondere Art, gleichwie die Violisten mit dem Bogen schleiffen zu machen pflegen. Wie dann solche Manier bey fürnehmen Violisten deutscher Nation nicht vngebreuchlich, gibt auch auff gelindschlägigen Orgeln, Regalen, Clavicymbeln vnd Instrumenten einen recht lieblichen und anmutigen concentum, derentwegen ich dann solche Manier mir selbsten gelieben lassen vnd angewehnet."
Diese Verzierung ist dann auch von den Clavicembalisten weiter geübt und namentlich auf dem Clavichord und Tangentenflügel häufig angewandt worden. Türk ("Clavierschule oder Anweisung zum Clavierspielen", Halle und Leipzig 1789) sagt darüber:
"Die Bebung (franz.: balancement, ital.: tremolo) kann nur über langen Noten, besonders in Tonstücken von traurigem etc. Charakter, mit gutem Erfolge angebracht werden. Man pflegt sie durch das Zeichen bei a) oder durch das Wort tremolo bei b) anzudeuten:"Die jetzt [um 1880] noch gebräuchlichen Verzierungen sind: der Vorschlag - der Doppelvorschlag - der Schleifer - der Nachschlag - der Doppelschlag - der Mordent - der Pralltriller - der Triller - das Arpeggio.
Der Vorschlag wird in zweierlei Arten ausgeführt, als langer und als kurzer. Jener ist in der neueren Musikpraxis [um 1880] ziemlich verschwunden. Als seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts die Komponisten sich in der Melodiebildung größere Freiheit erlaubten, als mit den engen Regeln des sogenannten reinen Satzes, des strengen Stils zu vereinbaren war, kam man auf den Ausweg der doppelten Schreibweise. Man notierte die Melodie streng nach den Regeln und deutete die Abweichung durch die Vorschlagsnoten an. Eine Phrase wie die folgende:
verstieß in dieser Aufzeichnung gegen die Regeln über Einführung und Auflösung der Dissonanz und so beschwichtigte man das zarte Gewissen durch diese Schreibweise:
die wenigstens im Grundriss die Regel wahrte.
Im Allgemeinen gilt als Regel für die Dauer des langen Vorschlags, dass er vor einer zweiteiligen Note die Hälfte (1), von einer dreiteiligen zwei Drittel des Wertes der Hauptnote erhält (2). Ist an eine solche Note noch eine andere angebunden, so erhält der Vorschlag den Wert der ganzen Hauptnote (3):
Wie bereits erwähnt wurde, wird dieser lange Vorschlag in der neueren Zeit nicht mehr angewendet, weil seine Voraussetzungen nicht mehr vorhanden sind. Seitdem auch die Theorie sich zu einer freieren Praxis in Einführung der Dissonanzen bekannt hat, werden die oben verzeichneten Vorschläge einfach ausgeschrieben, wie das in der zweiten Zeile oben angegeben ist. Ausführlicheres siehe Artikel Vorschlag.
Der kurze Vorschlag wird durch eine kleine Note, in neuerer Zeit meist durchstrichene Achtel- oder Sechzehntelnote, die vor die Hauptnote gestellt wird, angezeigt:
Hieraus geht hervor, dass der kurze Vorschlag immer gleich schnell und zwar so ausgeführt wird, dass er der Hauptnote möglichst wenig von der ihr ursprünglich zukommenden Zeit ihres Wertes entzieht. Weil er immer die gleiche, äußerst geringe Zeitdauer beansprucht, heißt er auch: unveränderlich, der lange Vorschlag dagegen veränderlich. Näheres bringt der Artikel Vorschlag.
In Frankreich wurde dieser kurze Vorschlag im 17. Jahrhundert [mit] + oder C oder \ bezeichnet. So finden wir ihn bei Lully und Rameau - und Boivin (in "Livre d'Orgue", 1690) gibt unter a) diese Bezeichnung und bei b) die Ausführung:
Der Doppelvorschlag von Phil. Emanuel Bach, auch Anschlag genannt, besteht, wie schon der Name angibt, aus zwei Noten, welche der Hauptnote vorangehen:
Die Ausführung bedarf nach den vorhergehenden Erörterungen keiner weiteren Anweisung. Der Doppelschlag wird oben einfach behandelt wie ein doppelter kurzer Vorschlag, so dass auch er möglichst wenig Zeit der Hauptnote raubt. Türk gibt die besondere Anweisung: "Der zweite Vorschlag (Türk meint die zweite Vorschlagsnote) der unpunktirten Doppelvorschläge bleibt immer unverändert die Secunde der nächstfolgenden Hauptnote. Nur der erste Vorschlag ist in Ansehung seines Standortes veränderlich und wiederholt dann und wann die vorhergehende Note; daher entsteht in diesem Falle oft ein Doppelvorschlag von der bei a), b), c) und d) angezeigten Art. Da diese springenden Doppelvorschläge am gewöhnlichsten über etwas langen Noten vorkommen, so braucht man sich dabei nicht zu übereilen. Daher wäre die Eintheilung bei e) besser als die bei f):"
Als eine besondere Art Doppelvorschlag erscheint der Schleifer; die beiden Vorschlagsnoten, aus denen er besteht, wenden sich stufenweise auf- oder absteigend nach der Hauptnote a):
Selbstverständlich sind auch die bei b) angegebenen Figuren unter den Begriff Schleifer zu bringen, wenn sie auch aus drei und mehr Vorschlagsnoten zusammengesetzt sind. Die Art ihrer Zusammensetzung entspricht durchaus dem Begriff dieser Verzierungsform und er wird in dieser Fassung viel häufiger angewendet, als in der erst besprochenen. In seiner Erweiterung wird er zur Tirade (siehe dort), Passage u. dgl. Der Schleifer wie der kurze Vorschlag werden häufig angewendet, um einer Melodie, namentlich den betreffenden so ausgezeichneten Tönen eine besondere Bedeutung, hervorragend charakteristisches Gepräge zu geben. Daher begegnen wir ihnen namentlich auch in nationalcharakterisierenden Musikstücken, wie in dem türkischen Marsch von Beethoven, der Zigeunermusik der "Preciosa" u. a. Auch zu anderweitigen schlagenden Effekten sind diese Verzierungen besonders auch von Weber und Meyerbeer angewendet worden.
Eine nach besonderen Prinzipien erfolgte Verbindung von drei oder auch vier Vorschlägen ist der Doppelschlag (Gruppetto). Er wird in Noten angezeigt:
oder durch das Zeichen [siehe nachfolgendes Notenbeispiel].
Bei Couperin heißt der Doppelschlag Doublé und wurde so ausgeführt:In Wilhelm Friedemann Bachs Clavierbüchlein heißt er Cadence und wird in verschiedenen Arten angeführt:
Philipp Emanuel Bach bringt ihn dann bereits in unserer Weise. "Der Doppelschlag", heißt es in § 1 der vierten Abteilung, "ist eine leichte Manier, welche den Gesang zugleich angenehm und glänzend macht" - und § 7: "Diese schöne Manier ist gleichsam zu gutwillig, sie schickt sich fast allerwegens hin, und wird aus diesen Ursachen oft gar sehr gemissbraucht, indem viele glauben, die ganze Zierde und Annehmlichkeit des Clavierspielens bestehe darinnen, dass sie alle Augenblicke einen Doppelschlag anbringen. Es wird also nöthig sein, dessen geschickte Anbringung näher zu untersuchen, weil ohngeachtet dieser Gutwilligkeit ein Haufen verführerischer Gelegenheiten vorkommen können, wo diese Manier nicht gut thut".
In § 2 gibt er dann die Anleitung über seine Ausführung mit dem nachstehenden Beispiel: "Weil er die allermeiste Zeit hurtig ausgeführt wird, so habe ich die Geltung seiner Nötchen, welche er enthält, sowohl bei langsamer als auch geschwinder Zeit = Maass unterwerfen müssen:"Auch Türk ist der Ansicht, dass der Doppelschlag unstreitig eine der schönsten und brauchbarsten Manieren ist, wodurch der Gesang ungemein reizend und belebt wird. Daher kann auch der Doppelschlag obwohl in Tonstücken von zärtlichem als munterem Charakter über geschleiften und gestoßenen Noten angebracht werden. Die Ausführung desselben ist an und für sich selbst leicht, aber ziemlich verschieden, und bloß in dieser Rücksicht schwer. Gegenwärtig [um 1880] ist bei der Ausführung die Zeiteinteilung etwa in folgender Weise festzusetzen:
Das oben angegebene Zeichen für den Doppelschlag wurde in zwei verschiedenen [Versionen genutzt, siehe nachfolgendes Notenbeispiel], […] für den Doppelschlag von unten, […] für den Doppelschlag von oben. So nimmt es noch Marpurg an: "So wie man noch zweierlei Halbzirkel hat, einen, der den Gang von der untersten Note, und einen anderen, der denselben von der obersten anhebt, so giebt es auch zweierlei Doppelschläge wie bei a) und b). Weil aber der erste öfter vorkommt und im Besitz seines Zeichens schon lange ist, so dünkt mich, könnte der andere, damit er von den Augen etwas geschwinder von dem ersten unterschieden würde, besser auf die Art wie bei c) vorgestellt werden:"
Der Vorschlag Marpurgs wurde bekanntlich nicht akzeptiert, die Meister zogen es vor, den Doppelschlag von unten lieber auszuschreiben. Selbstverständlich bedarf der Doppelschlag noch eines vierten Tons, den Hauptton, zum Abschluss, wenn dieser nicht folgt a). Chromatische Veränderungen werden, je nachdem sie den Ober- oder Unterhalbton treffen, über oder unter den Zeichen bemerkt: b) und c). Ist der Doppelschlag auf einer punktierten Note anzubringen, so nimmt der eigentliche Doppelschlag das zweite Drittel ein; das erste und letzte Drittel erhalten den Hauptton und das letzte wird dann punktiert, so dass der darauf folgende Melodieton um die Hälfte verkürzt werden muss, d):
Eine besondere Art, der geschnellte Doppelschlag, ist von Philipp Em. Bach in Vorschlag gebracht worden. Es heißt am angegebenen Orte:
"§ 33. Wenn ein Doppelschlag über gestossenen Noten angebracht werden soll, so erhält er eine besondere Schärfe durch eben dieselbe im Anfang hinzugefügte Note, worüber er steht. Diese noch nicht anderswo bemerkte Manier habe ich durch ein kleines Zweiunddreissigtheil vor der mit dem Doppelschlage versehenen Note angedeutet. Diese dreifache Schwänzung bleibt bei allerlei Geltung der folgenden Note und bei allerlei Zeitmaasse unverändert, weil dieses Nötchen allezeit durch den geschwinderen Anschlag mit einem steifen Finger heraus gebracht und sogleich mit der geschnellten Anfangsnote des Doppelschlags verbunden wird. Auf diese Art entsteht eine neue Art von prallendem Doppelschlage, welchen man zum Unterschiede wegen des Schnellens gar wohl den geschnellten Doppelschlag nennen kann.
§ 34. Bei a) finden wir sein Zeichen, seine Gestalt in der Ausführung b) und einige Fälle wobei er statt hat c). Diese Manier kann auch bei geschleiften Noten über der steigenden Secunde angebracht werden, wie bei d). Sie vertritt hier die Stelle eines Trillers von unten in der Kürze. Ferner kann dieselbe vor einer Schleifung und vor einer fallenden Secunde vorkommen, weil gestossene Noten vorhergehen bei e). Sollten geschleifte Noten, zumal bei langsamer Bewegung vorhergehen, so würde der simple Doppelschlag wie bei f) oder der Anschlag wie bei g) besser sein:"§ 36 sagt er dann: "Man verwirre diese unsere Manier ja nicht mit dem einfachen Doppelschlage, welcher nach einer Note vorkommt. Sie sind gar sehr unterschieden, indem der Text eine ganze Weile nach der Note eintritt und bei geschleiften und ausgehaltenen Noten zu finden ist. Die Figuren beider Manieren beisammen sehen wir - (hier) um ihren Unterschied deutlich zu erkennen:"
Auch Agricola (In seiner Bearbeitung von Tosis "Anleitung zur Singkunst") stimmt Bach zu und will den geschnellten Doppelschlag beim Gesang angewandt wissen: "E. Bach", sagt er, "welcher die nachfolgende Art der Auszierung zuerst mit in die Reihe der wesentlichen Manieren gesetzt hat, nennt sie zum Unterschiede 'den geschnellten Doppelschlag'. Ich sehe nicht ein, was einen Sänger, dessen Glottis sonst elastisch genug ist, abhalten sollte, sich ihrer am gelegenen Orte auch zu bedienen, z. B.:"
Der geschleifte Doppelschlag ist aus einem Schleifer und dem Doppelschlage zusammengesetzt:
Der prallende Doppelschlag, der so bezeichnet ist [siehe nachfolgendes Notenbeispiel], wird verschieden aufgefasst. Jedenfalls dürfte Türks Erklärung allen anderen vorzuziehen sein: Der prallende Doppelschlag (getrillerte Doppelschlag) ist eigentlich nichts anderes als ein Pralltriller mit einem Nachschlag. Die ersten beiden anzuschlagenden Töne müssen daher jederzeit äußerst geschwind und mit vieler Schärfe herausgebracht werden, die folgenden spielt man etwas langsamer, doch so, dass ungefähr die Hälfte von der Dauer der vorgeschriebenen Hauptnote für dieselbe noch übrig bleibt. Damit man von der erforderlichen Einteilung des prallenden Doppelschlages einen deutlichen Begriff bekomme, habe ich bei a) das gewöhnliche Zeichen, bei b) die richtige und bei c) eine fehlerhafte Ausführung dieser Manier beigefügt. Bei dem letzten Tone des prallenden Doppelschlages lässt man die Finger auf der Taste liegen, bis die Dauer der Hauptnote vorüber ist, wie bei b), jedoch leidet diese Regel bei Einschnitten usw. wie bei d), oder wo etwa sonst eine Trennung nötig ist, folglich auch vor Pausen bei e) eine Ausnahme. Man kann daher in solchen Fällen ungefähr die beigefügte Ausführung wählen:
In neuerer Zeit wird er indes meist als aus dem Pralltriller und dem Doppelschlag zusammengesetzt betrachtet und demgemäß ausgeführt:
Wie schwankend übrigens alle diese Bezeichnungen stets waren und zum Teil noch sind, geht auch daraus hervor, dass Pralltriller und Mordent häufig verwechselt oder für gleichbedeutend gehalten werden. Marpurg bezeichnet den Pralltriller als kurzen Mordent in der verkehrten Bewegung. Nach Bach sind Mordent und Pralltriller zwei entgegengesetzte Manieren. Der Pralltriller kann nur auf eine Art, nämlich bei einer fallenden Sekunde angebracht werden, wo niemals ein Mordent statt hat. Das Einzige haben sie miteinander gemein, dass sie beiderseits in die Sekunde hineinschleifen, der Mordent im Hinaufsteigen (bei a) und der Pralltriller (bei b) im Heruntergehen:
Wie hier angegeben ist das Zeichen für den Mordent [siehe vorausgegangenes Notenbeispiel, Takt 1], für den Pralltriller [siehe vorausgegangenes Notenbeispiel, Takt 2]. Dass man im vorigen Jahrhundert [im 18. Jh.] noch einen langen Mordent anwandte mit dem Zeichen [siehe nachfolgendes Notenbeispiel], die durch eine oder auch mehrmalige Wiederholung des einfachen entstand, ist bereits unter dem Artikel Mordent gezeigt worden. In neuerer Zeit wird er von den Komponisten fast durchweg ausgeschrieben. Die Zahl der Wiederholungen in älteren Werken richtet sich nach dem Zeitwert der Noten, die er auflösen soll. Er wird alsdann beinahe zum Triller ohne Nachschlag; doch lässt er allezeit, wie Ph. E. Bach fordert, noch einen kleinen Zeitraum übrig:
Der verkürzte Mordent (Zusammenschlag, französisch: Pièce etouffée, italienisch: Acciaccatura) entsteht dadurch, dass Haupt- und Nebennote gleichzeitig angeschlagen werden, aber dann sofort der Finger von der Nebennote gehoben wird. Man hat dafür verschiedene Bezeichnungen:
Bei mehrstimmigen Griffen wird dieser Zusammenschlag auch durch einen schrägen Strich angedeutet:
Im Artikel Triller ist gezeigt worden, wie der lange Mordent durch Hinzufügung des Nachschlages zum Triller wurde.
Der Nachschlag hatte früher auch noch eine andere Bedeutung (siehe Nachschlag). Über den Nachschlag zum Triller wie über diesen selbst bringt der Artikel Triller das Nähere. Das Arpeggio gehört im Grunde genommen nicht zu den Verzierungen; es ist bekanntlich jene Darstellungsweise der Akkorde, nach welcher die Töne derselben nicht gleichzeitig, sondern nacheinander angegeben werden (siehe Arpeggio). Unter Verzierungen aber begreift man im Grunde nur die reizvollen Ausschmückungen, welche die Melodie erfährt.
Der wirksamste unter ihnen ist neben dem kurzen Vorschlag unstreitig der Doppelschlag. Während jener dem Vortrage charakteristische Lebendigkeit gewährt, gibt ihm dieser eine größere Weichheit und Innigkeit und deshalb wird er namentlich am Schluss der sentimentalen Lieder und Arien unseres Jahrhunderts [des 19. Jh.] bis zum Überdruss verbraucht, als Reizmittel, das auf besonders empfindsame Gemüter niemals seine Wirkung verliert. Die Triller und die trillerartigen, Mordent und Pralltriller haben mehr technische Bedeutung; sie imponieren nur bei virtuoser Ausführung, weniger an sich; dann aber sind sie auch von glänzender und pracht- und machtvoller Wirkung. [Mendel/Reissmann Musikalisches Lexikon 1879, 33ff]