Fingersatz (1882)
Fingersatz (Applikatur, französisch: Doigter, englisch: Fingering). Für alle Instrumente, auf denen die verschiedenen Töne durch Griffe hervorgebracht werden, ist die Anwendung eines zweckmäßigen Fingersatzes Vorbedingung kunstgerechter Behandlung. Am einfachsten ist der Fingersatz bei den Blechblasinstrumenten, die so wenig Claves (Pistons, Zylinder etc.) haben, dass die Finger einer Hand zu deren Behandlung ausreichen, ohne dass sie ihren Platz zu verlassen brauchen. Schwieriger ist der Fingersatz der Holzblasinstrumente, bei denen die Zahl der Tonlöcher und Klappen die der Finger beider Hände übersteigt, so dass demselben Finger verschiedene Funktionen zufallen und unter Umständen dieselben Klappen durch verschiedene Finger regiert werden müssen.
Am kompliziertesten ist aber der Fingersatz bei den Klavierinstrumenten (Klavier, Orgel, Harmonium etc.). Hier hat er eine förmliche Geschichte und eine umfangreiche Literatur, ja eigentlich ist jede Pianoforteschule zur Hälfte eine Schule des Fingersatzes. Das ältere Spiel (vor Bach) schloss den Daumen und kleinen Finger fast gänzlich aus. Die folgende Periode, bis in die ersten Dezennien dieses Jahrhunderts [des 19. Jh.] reichend, beschränkte die beiden kurzen Finger für gewöhnlich auf die Untetasten. Die jüngste Phase, Liszt-Tausig-Bülow, ignoriert die Unebenheiten der Klaviatur (Ober- und Untertasten) ganz und hebt alle Beschränkungen des Gebrauchs der kurzen Finger auf. Doch sind solche freie Anschauungen nur für den Virtuosen fruchtbar; der minder entwickelte Spieler wird eine Erleichterung darin finden, die Obertasten zu respektieren und den Gebrauch des Daumens und kleinen Fingers für dieselben im Tonleiterspiel zu vermeiden.
Die Bezeichnung des Fingersatzes ist in England [um 1880] eine andere als in den übrigen Ländern, da die Engländer den Zeigefinger als ersten bezeichnen und den Daumen durch ein x markieren. Die englische Bezeichnung ist die alte deutsche, wie sie sich in Amerbachs "Orgel- oder Instrument-Tabulatur" (1571) findet; nur ist dort der Daumen statt durch x durch eine Null (0) bezeichnet:
[Riemann Musik-Lexikon 1882, 262f]