Allemande (1870)

Allemande (französisch) ist der Name einer älteren Tanzmelodie deutschen Ursprungs. Es gibt mehrere Arten von Allemanden, nämlich

  1. den wirklichen und bekannten deutschen Nationaltanz im 3/4- oder 3/8-Takt, welcher noch jetzt [um 1870] in Bayern, Schwaben, Baden und der vorderen Schweiz heimisch ist. Er ist verwandt mit der Ländlerweise und trägt den Charakter ruhigen, in sich zufriedener Fröhlichkeit. Die Aufstellung der tanzenden Paare ist ähnlich der im Menuett und der Schritt ist - u u. Die Ausführung ist nicht ohne Schwierigkeit und erfordert eine ungezwungene, anmutige Beweglichkeit des ganzen Körpers. In einigen Gegenden kommt die Allemande modifiziert und im 2/4-Takt vor. Eine durch französische Balletmeister ebenfalls umgemodelte Abart der Allemande kam am französischen Hofe zur Zeit Ludwigs XIV. auf. Sie eben hat der ganzen echt deutschen Gattung ihren französischen Namen gegeben. Dieser Tanz fehlte lange Zeit in keinem Ballprogramm, in keinem Ballet und war noch zur Zeit des ersten französischen Kaiserreichs so beliebt, dass er in fast jedem Theater von Paris, und wenn nicht anders, so doch in den Zwischenakten von Schauspielen, ausgeführt werden musste. Er bewegt sich im langsamen Walzer-(Ländler-)Tempo und besteht aus drei sogenannten pas marché, bald geschleift, bald vor, bald zurück, selten walzend. Eine anmutige Armbewegung hat die Tanzschritte zu unterstützen. Der Name übrigens ist von den dabei ursprünglich zu Grunde liegenden deutschen, spezieller elsässischen, Motiven abgeleitet, wie auch die Einführung dieses Tanzes am Hofe zu Versailles gewissermaßen für ein Symbol der künstlerischen Einverleibung des neu erworbenen Elsass gelten sollte.
  2. bezeichnet Allemande ein nicht tanzbares Tonstück in 4/4-Takt von gemessener Bewegung, welches in der Suite (siehe dort) gewöhnlich den Anfang, in der Partite (siehe dort) den ersten Satz nach der Ouvertüre oder dem Präludium bildete. Der gemessenen Bewegung entsprechend ist sie von ernsterem Charakter mit reicher Melodie und voller Harmonie, häufig auch mit mannigfachen Spielfiguren und Verzierungen nach Art der Spielarie oder des Andante ausgestattet. Mattheson erklärt sie in seinem "Kern melodischer Wissenschaften" (S. 121) für "eine gebrochene, ernsthafte und wohlausgearbeitete Harmonie, welche das Bild eines zufriedenen und vergnügten Gemüthes trägt, das in guter Ordnung und Ruhe scherzet". Dass sei zu Anfang der Suite stehe, geschehe ehrenhalber, weil sie eine "aufrichtige teutsche Erfindung" sei. In dieser entwickelteren und kunstgemäßen Form ist sie von den älteren deutschen Meistern mit der größten Vorliebe kultiviert worden, und Händels sowie Seb. Bachs Allemanden werden für unübertroffene Muster der Gattung gehalten. K. Phil. Eman. Bach entwickelte in dieser Form bereits eine freiere, die sogenannte galante Schreibart und trug dadurch zu ihrer Überführung in andere Formen wesentlich bei. Jetzt [um 1870] wird die Allemande als selbstständiges Tonstück nicht mehr verwendet. Einen Anklang daran aber kann in den langsamen Eingangssätzen stehen, welche in Form eines kürzeren Adagio, Maestoso oder Andante dem ersten Allegrosatze in Sinfonien, Quartetten, Sonaten usw. mitunter vorangehen.

[Mendel Musikalisches Lexikon 1870, 166f]