Musiklexikon: Was bedeutet Notenlesen?

Notenlesen (1882)

Notenlesen ist im allgemeinen die Fertigkeit, die Noten eines Tonstücks ohne Stockung und zeitweiliges Besinnen genau nach ihrer Geltung abzuspielen oder zu singen. Im weiteren Sinne bezeichnet es dann die Fähigkeit, nur aus den Noten heraus ohne die Beihilfe eines Instruments sich ein Bild zu machen von dem Inhalt und Wert, von der Bedeutung und Wirkung eines Tonstücks. Diese Fähigkeit ist erste Voraussetzung für die Beurteilung von Werken, welche zur Ausführung eines größeren Apparates bedürfen, wie Opern, Oratorien, Orchesterwerke usw. [Reissmann Handlexikon 1882, 323]

Notenlesen (1807)

Notenlesen. Bei der Ausführung einer Stimme, die nicht auswendig gelernt oder aus dem Gedächtnisse vorgetragen wird, müssen unmittelbar vor der Intonation der Töne drei Beschäftigungsarten des Geistes vorhergehen, deren man sich bei der erlangten Fertigkeit, vom Blatte zu spielen, nicht mehr deutlich bewusst ist, weil sie der Geist nach und nach in einer ausnehmenden Geschwindigkeit zu verrichten gelernt hat. Man muss nämlich

  1. mehrere Noten in Ansehung ihrer abwechselnden Höhe und Tiefe auf einen Blick auf das bestimmteste fassen,
  2. solche in Ansehung ihrer verhältnismäßigen Dauer gegeneinander vergleichen und einteilen, und
  3. diese verhältnismäßige Dauer derselben der angenommenen Taktbewegung auf das genaueste anpassen.

Die Fertigkeit, alles dieses mit der vollkommensten Sicherheit und in der zum Vortrage nötigen Geschwindigkeit zu verrichten, bezeichnet man mit dem Ausdrucke Notenlesen.

Kommt nun zu der Fertigkeit, die Noten auf die soeben beschriebene Art vermittelst der Vorstellungskraft zu fassen, noch die Fertigkeit, sie vermittelst der Stimme oder eines Instrumentes deutlich und rein und in der nötigen Geschwindigkeit zu intonieren, so entsteht derjenige Prozess, den man das Treffen nennt.

Im Notenlesen und Treffen muss vorzüglich der Ripienspieler einen hohen Grad der Fertigkeit zu erlangen suchen, weil er alles, was er vorzutragen hat, ohne vorhergegangene Privatübung oder ohne seine Stimmen besonders üben zu können, vortragen muss. [Koch Handwörterbuch Musik 1807, 247]

Notenlesen (1840)

Notenlesen; die Fertigkeit, Noten in Ansehung ihrer Höhe und Tiefe und Geltung schnell und sicher zu erfassen, mithin beim ersten Blick richtig zu singen oder zu spielen. Ein hoher Grad der Fertigkeit im Lesen ist die Fähigkeit, auch ohne Instrument, durch bloßes Durchsehen und Nachdenken über ein Tonstück, zumal in Partitur [siehe auch Partiturlesen], dasselbe technisch und ästhetisch zu zergliedern und es nachzuschaffen, d. h. mit dem Auge vollständig hören. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 329f]