Musiklexikon: Was bedeutet Römische Schule?

Römische Schule (1882)

Römische Schule nennt man die Kette von Lehrern und Schülern, welche, beginnend mit Claude Goudimel, dem Lehrer Palestrinas und Naninis, sich bis in unser Jahrhundert [19. Jh.] hinein erstreckt, und deren charakteristisches Merkmal zur Zeit ihrer Entstehung die Unterordnung der kontrapunktischen Künste unter die Schönheit der Klangwirkung und Wahrheit des Ausdrucks war. Später, nachdem die durch Palestrina bewirkte Reform des polyphonen Satzes durch die radikale Revolution der Florentiner überboten war, erschien die Römische Schule vielmehr als Bewahrerin der guten Tradition, als Vertreterin des klassischen Stils (Stilo osservato), des A-Cappella-Stils, gegenüber der Monodie und dem konzertierenden Kirchengesang (vergleiche Palestrina-Stil).

Charakteristisch für die Römische Schule seit dem 17. Jahrhundert ist das von den Venezianern (siehe Gabrieli) übernommene Schreiben für acht und mehr Stimmen. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 780]

Römische Schule (1882)

Römische Schule. Von Rom aus hatte die christliche Kirche auch einen allgemeinen Kirchengesang gewonnen, in dem sogenannten Gregorianischen Gesang. Dieser und das ihm zu Grunde liegende System entwickelten sich zunächst melodisch, und wie dann die daraus erwachsende Gesangspraxis allmählich zur Mehrstimmigkeit gelangte, das ist in mehreren Artikeln nachgewiesen worden. Die Tonleiter wurde durch Nachahmung harmonisiert und die Melodie mit sich selber kontrapunktiert. Es bildete sich der Akkord heraus als feste Stütze für die melodische Entfaltung.

Seit dem Beginn dieser Tätigkeit treten dann einzelne Völker in den Vordergrund und bilden in sogenannten Schulen einzelne Richtungen der ganzen Entwickelung mit besonderem Fleiß weiter. Das erste bedeutsam eingreifende Volk, die Niederländer, gaben ihr zunächst eine bestimmtere Richtung; ihre Bestrebungen sind unter dem Artikel Niederländische Schule gewürdigt worden. Auch die anderen Völker übten während dieser Zeit die neue Weise des Gesanges, doch erst im 16. Jahrhundert traten die Italiener wieder in den Vordergrund, und Venetianer waren es namentlich, die das harmonische Element des Gesanges zu Pracht und Glanz entfalteten, als besonderes Merkmal der Venetianischen Schule (siehe dort). Damit legten sie die Keime zu einer neuen Entwickelung, in welcher der Gregorianische Kirchengesang zu höchster Blüte gelangen sollte, durch die Römische Schule, vor allem durch den genialen Gründer derselben, durch Palestrina. Die Niederländische Schule war durch die Melodik zur Harmonik gelangt, und die Venetianische Schule hatte diese in gewisser Selbständigkeit weiter gebildet. Indem dann Palestrina die Harmonik zum Ausgangspunkt nimmt und sie durch die Formen des einfachen und des künstlichen [künstlerischen] Kontrapunkts auflöst in ein wunderbar verschlungenes Gewebe realer Stimmen, schließt er diese ganze, mehr als tausendjährige Bewegung ab, gibt er dem Gregorianischen Gesang höchste Ausgestaltung, dem altitalienischen Kirchengesang bei genial künstlerischer Form zugleich echt religiösen, ja streng kirchlichen Ausdruck.

Nicht nur durch seine Werke, sondern auch durch seine Lehre suchte er dieser veränderten Musikanschauung und -praxis Verbreitung zu geben. Er gründete mit Giov. Maria Nanini eine Schule in Rom, aus der eine Menge bedeutender Schüler hervorgingen. Von den unmittelbaren Schülern Palestrinas: seinen drei Söhnen Angelo, Rudolfo und Iginio, die früh starben, Annibale Stabile, Giov. Andrea Dragoni, Guidetti hat sich namentlich der letzte durch seine Sammlungen von Kirchenhymnen, durch das Directorium chori, durch die "Praefationes" usw. Verdienste, und haben sich Stabile und Dragoni als Kontrapunktisten Ruf erworben. Groß ist die Zahl der Meister des römischen Stils, welche aus der oben erwähnten Schule hervorgingen. Zunächst ist der eine Leiter derselben, Nanini, selbst zu nennen, dann die Schüler Antonio Brunelli, Felice Anerio, Giov. Franc. Anerio, Bernardino Nanini, Ruggiero Giovanelli, Franc. Suriano u. a. Auch als Palestrina durch seine Berufsgeschäfte genötigt war, sich von der Schule zurückzuziehen, wirkte diese in seinem Geiste weiter, wie die späteren Zöglinge Giovanno Dom. Puliaschi, Franc. Severi, Ant. Cifra, D. Gregorio Allegri, Franc. Vallentini, Ant. Maria Abbattini u. v. a. beweisen. Als dann nach dem Tode Naninis der jüngere Nanini, Bernardino, die Schule ganz allein leitete, lebte der Geist der ursprünglichen Gründer weiter in den Schülern Vincenzo Ugolini, Paolo Agostini, Dom. und Virg. Mazzocchi, Dom. Massenzio, Stefano Fabro und weiterhin Franc. Foggia, G. Giamberti, Filippo Vitali, Marco Marazzoli, Mario Salvioni usw. Von anderen Meistern, die sich dem Stil dieser Schule anschlossen und zu ihr gezählt werden müssen, seien noch genannt: Tommaso Ludovico da Vittoria, Giov. Animuccio u. a.

Der Gregorianische Kirchengesang ist durch sie zu höchster Blüte gelangt und hat unstreitig die vollsaftigsten und reifsten Früchte getragen. Wie dann durch Verschmelzung mit der Venetianischen Schule und durch den Einfluss der Instrumentalmusik eine neue aus ihr hervorging, die Neapolitanische Schule, ist unter dem betreffenden Artikel nachzulesen. [Reissmann Handlexikon 1882, 442ff]