Musiklexikon: Was bedeutet Cantus firmus?

"Cantus firmus", der feste Gesang, erläutert von Musikwissenschaftlern in ihren berühmten Lexika des 19. Jahrhunderts, gesammelt im Online-Lexikon von musikwissenschaften.de


Siehe auch: Cantus

Cantus firmus, canto fermo (1865)

Cantus firmus, canto fermo, der feste Gesang; eine Benennung der Melodien des Gregorianischen Kirchen- und Choralgesangs. Gregor der Große hatte bekanntlich die von ihm gereinigten und mit neuen vermehrten Kirchengesänge gesammelt, nach dem Jahreszyklus geordnet und in einem Antiphonar notiert. Dieses am Altar der Apostel an einer Kette befestigte authentische Antiphonar stand im Altertum in hoher Verehrung, galt als alleinige Norm und Richtschnur für den gesamten Kirchengesang, und die darin enthaltenen Melodien sollten für alle Zeiten fest und unveränderlich sein und bleiben, daher die Benennung Cantus firmus für diese Gesänge. In der Folge nahmen die Kontrapunktisten solche Melodien des Gregorianischen Cantus firmus in ihre Tonsätze auf und kontrapunktierten dagegen, und als man mit der Zeit zu solchem Zwecke auch beliebig anderer, nicht dem eigentlichen Cantus firmus angehörender Melodien sich bediente, übertrug man diese gewohnte Benennung auch auf diese letzteren, wenn sie einem Kontrapunkt als gegebene Melodie zu Grunde gelegt wurden. Die Übungen im Kontrapunkt werden über einen solchen, bald in die eine, bald in eine andere Stimme versetzten Cantus firmus (bei den Franzosen Chant donné) gemacht, den man abgekürzt mit C. f. zu bezeichnen pflegt. Über die kontrapunktische Behandlung eines solchen festen Gesanges siehe die Artikel Kontrapunkt und Doppelter Kontrapunkt. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 140]

Cantus firmus, Canto fermo, Plain-chant (1879)

Cantus firmus (lateinisch), Canto fermo (italienisch), Plain-chant (französisch), einfache Choralmelodie oder der derselben, unverziert, gleichende Gesang, Gegensatz von Cantus figuralis, Figuralgesang, verzierter Gesang.

In der Lehre vom Kontrapunkt versteht man unter Cantus firmus diejenige Stimme, welche die Hauptmelodie vorzutragen hat und welche von den übrigen Stimmen in figurierter Begleitung umgeben ist. Vor 300 bis 400 Jahren war es in mehrstimmigen Gesängen allgemein üblich, der oberen männlichen Stimme, also nicht dem Sopran, den Cantus firmus zu übertragen, und diese erhielt davon, dass sie längere, gehaltene Noten zu singen hatte, den Namen "Tenor" (vom lateinischen tenere, d. h. halten, aushalten). [Riewe Handwörterbuch 1879, 46]

Cantus firmus, chant donné (1882)

Cantus firmus (italienisch: canto fermo, französisch: chant donné) = feststehender Gesang, ist Bezeichnung für eine gegebene Melodie, welche mehrstimmig oder auch instrumental kontrapunktiert oder figuriert oder variiert wird.

Zunächst waren es die Melodien des gregorianischen Kirchengesanges, welche die niederländischen und italienischen Kontrapunktisten seit dem Beginn der Mehrstimmigkeit als C. f. kontrapunktierten; später nahmen sie auch profane Melodien auf und behandelten sie in derselben Weise. [Reissmann Handlexikon 1882, 71]

Cantus firmus, Plain chant (1840)

Cantus firmus, Plain chant, der feste, ungezierte Gesang, die ursprünglich festgesetzte Gesangsweise des Chorals, wobei die melodischen Hauptnoten nach ihrer vollen Dauer einfach, ohne Verzierung, vorgetragen werden, während der Cantus figuralis diese in Noten von geringerem Werte und verschiedenartigen Figuren zergliedert.

Auch versteht man in der Lehre vom Kontrapunkt unter dieser Benennung diejenige Melodie, zu welcher andere Stimmen gesetzt werden sollen, und bezeichnet die Melodie, welche kontrapunktiert wird, mit der Abkürzung c. f.; siehe Kontrapunkt. [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 59]