Tabulatur (1807)

Tabulatur. Mit diesem Worte bezeichnet man erstlich und im weitläufigeren Sinne jede Art der Tonschrift. Man hat sich seit der von dem Papste Gregor I. veranlassten Abschaffung der alten griechischen Tonschrift, von welcher man einige Nachricht in dem Artikel Noten findet, so vieler Arten von Zeichen der Töne bedient, dass es hier viel zu weitläufig sein würde, nur die bekanntesten derselben aufzuzählen. Wem daran gelegen ist, Beispiele vieler Arten der Tonschrift des Mittelalters kennen zu lernen, findet dazu Gelegenheit in dem Werke des Fürst Abt Martin Gerberts: Scriptores Ecclesiastici De Musica Sacra Potissimum.

Aber auch bei unserer sehr vervollkommneten Tonschrift hat es nicht an Männern gefehlt, zu diesem oder jenem besonderen Zwecke sich einer noch einfacheren Darstellungsart der Töne zu bedienen. So hat zum Beispiel der Kapellmeister Schulze den Versuch gemacht, die Partitur seiner Kantate "Maria und Johannes" in Ziffern darzustellen, und der Herr Konsistorialrat Horstig hat unter dem Titel "Taschenbuch für Sänger und Organisten" ein Choralbuch herausgegeben, in welchem die Melodien ebenfalls durch Ziffern vorgestellt sind.

Man bedient sich aber auch zweitens und zwar im engeren und gewöhnlicheren Sinne des Wortes Tabulatur, um die Darstellungsart des harmonischen Inhaltes eines Tonstückes über der Grundstimme desselben, zum Behufe des Generalbassspielers, zu bezeichnen. Man teilt diese Art der Tabulatur ein in die italienische und deutsche. Unter jener versteht man unseren modernen Generalbass. Bei der deutschen Tabulatur, die so lange gewöhnlich blieb, bis die Bezifferung der Grundstimme allgemein eingeführt worden war, lag die von dem Papste Gregor I. eingeführte Tonschrift zum Grunde, nach welcher die Töne der ersten Oktave unseres Tonsystems mit Versalbuchstaben, die der zweiten Oktave aber mit kleinen Buchstaben bezeichnet wurden. Zum Zeichen der Töne der dritten und vierten Oktave bediente man sich kleiner Buchstaben mit einem oder mit zwei darüber stehenden kleinen Strichen. Von dieser Bezeichnungsart ist die Gewohnheit entstanden, den Unterschied der Oktaven mit den Beiwörtern groß, klein, eingestrichen und zweigestrichen zu bezeichnen. Nächst diesen Buchstaben bediente man sich in der deutschen Tabulatur, bei welcher kein Liniensystem zum Grunde lag, noch verschiedener Zeichen, um die Zeitdauer der Töne vorzustellen. Um aber den Generalbassspieler in den Stand zu setzen, zu jedem Grundton die rechte Harmonie zu treffen, mussten alle Hauptstimmen übereinander gesetzt werden, so dass das Ganze eine Art von Partitur vorstellte.

Aus dieser Art Tabulatur ist die auf sechs Linien vorgestellte Tonschrift für die Laute hervorgegangen. Eine ausführlichere Beschreibung der deutschen Tabulatur findet man in dem 90. der kritischen Briefe über die Tonkunst[Koch Handwörterbuch Musik 1807, 348f]