Stimmgabel (1865)

Stimmgabel, ein stählerner, [um 1865] meist vierkantiger Stab, etwas breiter als dick, zur Form einer zweizinkigen Gabel oder eines lateinischen U zusammengebogen, oben an der äußeren Mitte der Biegung mit einem gleichfalls stählernen Handgriff zum Anfassen versehen, in den meisten Fällen auf den Ton a1 gestimmt, dient zur Fixierung und Bewahrung einer absolut gleichen Tonhöhe der Instrumente des Orchesters, des Pianoforte etc.

Beim Einstimmen, sonderlich des Pianoforte, wird zuerst der Ton a1 genau nach der Gabel gerichtet, dann werden von ihm aus die übrigen Intervalle einer Oktave in quintenweiser Progression nach dem Gehör gestimmt, und nach dieser rein gestimmten Oktave die übrigen höheren und tieferen Oktaven reguliert (siehe Stimmen [sic! Muss lauten: Einstimmen]). Somit kann sie den Zweck erfüllen, alle Stimmungen nicht nur an einem Orte, sondern in der ganzen Musikwelt auf gleicher Tonhöhe zu erhalten. Doch ist dieses, der vollkommenen Zweckdienlichkeit der Stimmgabel ungeachtet, bis jetzt noch nicht erreicht, sondern die Stimmungen an verschiedenen Musikplätzen, sogar an verschiedenen Musikinstituten ein- und desselben Ortes differieren noch heutzutage [Mitte des 19. Jahrhunderts] nicht unerheblich (siehe Kammerton).

Soll die Gabel erklingen, so wird sie gewöhnlich einfach am Handgriff leicht mit den Fingern erfasst, mit den Zinken an einen festen Gegenstand geschlagen und sogleich danach auf eine Tischplatte oder sonstigen Körper, der geeignet ist, eine Resonanz zu geben, mit dem unteren Ende des Handgriffs aufgesetzt, worauf sie etwa 25-30 Sekunden lang, auch darüber, kräftig erklingt – also bedeutend länger als die Saite eines Monochordes, welche man kaum 3-4 Sekunden deutlich vernimmt. Indem beim Abklingen des Tones der Gabel ihre Schwingungen um ein wenig kleiner und schneller werden als sie unmittelbar nach dem Anschlag sind, wird allerdings eine Erhöhung des Tones wahrnehmbar; doch ist diese so äußerst unerheblich, dass sie auch dem guten musikalischen Gehör fast entgeht und der praktischen Brauchbarkeit des Instruments nicht das geringste Hindernis in den Weg legt. Von etwas erheblicher störendem Einfluss kann die Wärme sein, welche der Gabel, entweder durch die Hand oder durch Berührung des Körpers in der Tasche, mitgeteilt wird und wie auf alle festen Körper so auch auf die Stimmgabel ausdehnend wirkt, folglich ihre Schwingungszahl und [damit] Tonhöhe etwas verändert. Nach [Johann Heinrich] Scheiblers Beobachtungen soll eine so entstandene Veränderung der Schwingungszahl bis zum folgenden, ja sogar nächstfolgenden Tage, wenn auch in vermindertem Grade, wahrnehmbar bleiben. Will man also in dieser Hinsicht völlig sicher gehen, so befestigt man die Gabel, mit dem Ende der Zinken aufwärts gekehrt, auf ein zu diesem Zweck eingerichtetes Resonanzkästchen und schlägt sie mit einem mit Leder überzogenen Hämmerchen an, wodurch alsdann jede Berührung mit der Hand umgangen wird.

In Gebrauch kam die Stimmgabel im 18. Jahrhundert, als Erfinder derselben gibt Gerber (Tonkünstlerlexikon, T. 4, 1814) einen englischen Musikus John Shore an, der sie auch beständig bei sich geführt habe, um seine Laute danach zu stimmen. Einzelne Klavierstimmer neuester Zeit bedienen sich, nach Scheiblers Methode, zur Herstellung einer vollkommen reinen Temperatur, statt der einzigen auf a1 gerichteten Gabel, zwölf verschiedener, mit Hilfe der Schwebungen genau auf die chromatische Skala der eingestrichenen Oktave abgestimmter Stimmgabeln, so dass also dem Gehör nicht mehr die Abmessung der Quinten anvertraut wird, sondern nur die Vergleichung jedes einzelnen Tones der genannten Oktav mit seiner Normalgabel. Die anderen Oktaven werden dann nach dieser mit unzweifelhafter Reinheit temperierten Oktav wie gewöhnlich eingestimmt.

Die Stimmgabel macht beim Erklingen Transversalschwingungen, und ihre Schwingungsart ist von der eines ebenfalls transversal schwingenden geraden, an beiden Enden freien Stabes nicht sehr verschieden. Bei einfachster Schwingungsart bilden sich zwei Knoten, welche jedoch durch die starke Biegung des Stabes einander sehr nahegerückt werden und unten an der Krümmung zu beiden Seiten des Stieles liegen. Der Ton wird hierdurch tiefer als er bei gleicher Anzahl Schwingungsknoten an einem geraden Stabe ist. Drei Schwingungsknoten kommen nicht vor, bei vier hingegen ist der Ton um zwei Oktaven und eine übermäßige Quint höher. Näheres bei Chladni (Akustik, S. 111f), von dem die Schwingungsarten der Gabel zuerst bekannt gemacht worden sind.

Mit dem Grundton zugleich hört man an der Stimmgabel mehrere höhere Töne; und zwar kann der hohe Ton gleich nach dem Anschlag selbst in bedeutenderen Entfernungen vernommen werden und klingt lange und kräftig fort, ohne einer Verstärkung durch einen Resonanzboden zu bedürfen. Den tieferen Ton aber hört man nur in unmittelbarer Nähe, in einiger Entfernung nicht mehr. Denn die Gabel sendet bei jeder Schwingung von der Außenfläche ihrer Schenkel Verdichtungswellen und von der Innenfläche Verdünnungswellen abwechselnd aus, in einigem Abstand von der Gabel hat eine so vollständige Durchkreuzung beider Wellenzüge stattgefunden, dass sie ihre Wirkungen gegenseitig aufheben und unhörbar werden. Ein anderer eigentümlicher Umstand entspringt auch noch aus dieser Schwingungsart. Während die Schallwellen anderer, gleichfalls transversal schwingender Körper in der Richtung, in welcher die Luft fortgestoßen wird, am deutlichsten vernehmbar sind, hört man den Schall der Stimmgabel nicht allein nach der Richtung der hin- und herschwingenden Schenkel, sondern auch nach den beiden Seiten derselben sehr deutlich; in den die Kanten der Schenkel durchkreuzenden Richtungen hingegen vernimmt man den Schall sehr schwach oder gar nicht. Hält man die Stimmgabel, während man sie um ihre Längsachse dreht, in kleinem Abstand vom Ohr oder vor eine Flasche oder Röhre, welche in einem dem ihrem ähnlichen Tone steht, so ist in den vier Richtungen der Schenkelflächen und Seiten der Ton sehr deutlich, in den vier Richtungen der äußeren Kanten sehr schwach oder gar nicht vernehmbar. Dies rührt daher, dass in den vier Richtungen, in welchen der Klang nicht gehört wird, die von den Schenkeln erregten abwechselnden Verdichtungs- und Verdünnungswellen sich kompensieren. Auch erhält man an der Stimmgabel noch einen Ton, der um eine Oktave tiefer ist als ihr Grundton, wenn man sie nach dem Anschlag nicht fest, sondern möglichst leise auf den Resonanzkörper aufsetzt. Eine andere Schwingungsart ist es nicht, wodurch dieser Ton hervorgebracht wird, sondern es ist der longitudinal schwingende Stiel, welcher, durch die Transversalschwingungen der Gabel auf- und abwärts bewegt, die Hälfte dieser Schwingungen als Stöße auf die Resonanzplatte überträgt. Diese Stöße vernimmt man, ähnlich wie die Klirr- und Schnarrtöne einer locker über einen Steg gespannten Saite, als selbstständigen Ton. Macht z. B. die Gabel 440 Schwingungen in der Sekunde, so der Stiel 220 Stöße, der durch letztere erzeugte Ton ist also um eine Oktave tiefer. Drückt man den Stiel der Gabel allmählich fester gegen die Resonanzplatte, so geht der Ton in den natürlichen Grundton über. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 799f]