Motette (1882)
Motette (lateinisch: Motetus, Mutetus, Motellus, Motecta etc., italienisch: Motetto, französisch und englisch: Motet) ist seit Jahrhunderten der Name für mehrstimmige kirchliche Gesänge von mäßiger Ausdehnung, ohne Instrumentalbegleitung. Die Texte der Motetten sind biblisch und in der Regel lateinisch, können aber auch deutsch oder in anderer Sprache sein. Zwar sind in den ersten Zeiten der begleitenden Gesangsmusik (nach 1600) vielfach Motetten mit Continuo oder mit mehreren Violen etc., sogar Motetten für eine einzige Stimme (a voce sola) mit Begleitung geschrieben worden, doch blieben diese Fälle Ausnahmen und der A-Cappella-Stil Regel.
Was die Etymologie des nachher, besonders im 16. Jahrhundert, so vielfach verrenkten Wortes motetus anlangt, so definiert es Walter Odington (um 1225) als "brevis motus cantilenae", d. h. motetus als französisch gebildetes Diminutiv von motus. Seine weiterhin gegebene ausführlichere Anleitung zur Komposition eines motetus deutet auf eine fortgesetzte Bewegung im Schema eines der sechs Modi (siehe Modus) des Taktes in der für den motetus charakteristischen Stimme, dem sogenannten medius cantus (der zwischen Tenor und Diskantus eingeschalteten dritten Stimme, die daher auch manchmal selbst motetus genannt wurde). Aus Franko von Kölns "Ars cantus mensurabilis" erfahren wir, dass der motetus zweierlei Text hatte (der Tenor einen anderen als Alt und Diskant), und die noch ältere "Discantus vulgaris positio" (12. Jahrhundert) hebt ausdrücklich hervor, dass der motetus nicht Note gegen Note des Tenors gesetzt ist, sondern von diesem an Notenwert und Pausen verschieden ist.
Leider fehlt es [in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts] noch an einer Monographie über die ältesten Kunstformen (organum, motetus, conductus, rondellus etc.); das für eine solche notwendige Material ist in den Sammelwerken Gerberts und Coussemakers jedermann zugänglich. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 604f]