Chor (1929)

Chor (griechisch: χορός [choros], Reihen, Reigen):

  1. Bei den alten Griechen ist die Vereinigung von Gesang mit mimischen Bewegungen etwas Selbstverständliches, d. h. bei ihnen sind ebenso wie im Mittelalter Tänze Tanzlieder, so die alten spartanischen Gymnopädien (Turnlieder), Pyrrhichen (Waffentänze) und Hyporcheme (Pantomimen). Natürlich war der Gesang ein unisoner, und auch ein mitspielender Aulet blies dieselbe Melodie. Ebenso waren die Chorgesänge der dorischen Lyriker (Simonides, Pindar, Bakchylides) und die Dithyramben und die aus ihnen hervorgegangenen Chorgesänge der Tragödien, Komödien und Satyrspiele stets Unisonogesänge mit Tanzbewegungen. Sologesänge waren dagegen die Vorträge der Rhapsoden, die agonistischen Nomoi der Kitharöden und die Liebes- und Trinklieder der lesbischen Dichter und Dichterinnen.
  2. Auch die ältesten Chöre der christlichen Kirche sangen wie die antiken stets unisono oder in Oktaven. Der Name Choral (von Chor) hat daher zunächst nichts mit Mehrstimmigkeit zu tun, sondern weist nur auf die mehrfache (chorische) Besetzung der Melodie hin.
  3. Erst mit dem Auftreten der Mehrstimmigkeit gewinnt das Wort Chor allmählich seinen heutigen Sinn. Im Laufe des 10.-12. Jahrhunderts wird die Unterscheidung der tiefen und hohen Männerstimme und der tiefen und hohen Knabenstimme für die verschiedenen Parte des Organum und Diskant sich ausgebildet haben. Die Frauenstimmen (abgesehen natürlich von den Chören der Nonnen, welche ohne weiteres die für gleiche Stimmen geschriebenen Gesänge eine Oktave höher gesungen haben werden als die Mönche) scheinen erst im 17. Jahrhundert in den kirchlichen Chor aufgenommen worden zu sein, beteiligten sich aber am weltlichen Chorgesang (Tanzlied) natürlich jederzeit. über die einzelnen Stimmgattungen vgl. Sopran, Alt, Tenor, Bass. Je nach der Zusammensetzung unterscheidet man einen Männerchor, Frauenchor (Knabenchor) oder gemischten Chor. Ein Doppelchor (siehe dort) besteht meist aus zwei vierstimmigen Chören.
  4. Der Platz der Kirche, wo der Sängerchor aufgestellt wird, meist unmittelbar vor der Orgel, gegenüber dem Altar, ursprünglich in den romanischen Kirchen der durch den Lettner abgetrennte erhöhte Raum für die Hierarchie. Orgelchor ist eine später übertragene Bedeutung.
  5. Auf dem Klavier die zu einer Taste gehörigen Saiten. Man sagt z. B.: ein Pianino ist zweichörig oder dreichörig (von corda, die Saite, also eigentlich "cordig") bezogen; das letztere ist für alle Pianofortes jetzt [um 1930] die Regel, nur wenige tiefste Töne erhalten nur eine und einige folgende zwei Saiten. Auch die Stimmung je zweier Saiten im Einklang auf der jetzt veralteten Laute und Theorbe oder auf der Zither hieß ein doppelchöriger Bezug.
  6. In der Orgel bei den gemischten Stimmen (Mixtur, Kornett, Sesquialtera usw.) die zu derselben Taste gehörigen Pfeifen verschiedener Tonhöhe, die von der Windlade aus eine gemeinschaftliche Windführung haben.
  7. Alter Name für eine Vereinigung von mehreren Instrumenten (besonders Blasinstrumenten) derselben Klangfarbe, aber von verschiedener Größe und Tonlage (Stimmwerk, Akkord); z. B. ein Lautenchor, Posaunenchor.

[Einstein/Riemann Musiklexikon 1929, 311]