Recitativo (1882)

Recitativo (italienisch; französisch: Recitatif), der Sprach- oder Redegesang, jene Verbindung der Sprache mit dem Gesang, bei welcher der letztere nicht bestimmte selbständige Formen gewinnt. Der Gesangston unterstützt nur die Deklamation und demselben Zuge folgen Rhythmus und Harmonik, die ihre formbildende Macht hier nur in geringem Maße üben. Sie sind alle nur aufgeboten, um die Redeweise bestimmter zu fixieren und ihr größere Eindringlichkeit zu geben. Die Akzente werden nach der logischen Bedeutung der Worte abgestuft, ohne irgendwelche Rücksicht auf bestimmte Musikformen. Sogar die metrische Form der Rede wie der Keim bleiben bei dieser rezitativischen Behandlung unberücksichtigt.

Das Rezitativ will nicht gestalten, sondern nur eindringlicher verkünden. Die Ausprägung eines bestimmten Metrums beeinträchtigt diese Wirkung, deshalb sieht das Rezitativ davon ab. Der Wert und die Dauer der einzelnen Töne werden nur nach der logischen Bedeutung der Worte bemessen. Selbstverständlich gewinnt das Rezitativ damit wesentlichste Bedeutung für die dramatischen Formen, in Oratorium und Oper (siehe dort).

Je nach der Bedeutung, welche die Begleitung dabei gewinnt, unterscheidet man zwei Arten, das Recitativo secco (französisch: Recitatif accompagné), und das Recitativo accompagnato (französisch: Recitatif obligé). Beim Recitativo secco, beim einfachen Rezitativ, unterstützt die Begleitung nur durch die Ausprägung der Harmonik den Gesang. Diese wurde von der Laute, der Orgel und dem Clavicimbal einfach akkordisch hinzugefügt, nur damit die Singstimme die nötige Grundlage gewinnt. Für das Recitativo accompagnato (obligé) gehört schon ein bedeutender Inhalt, dann aber muss die Instrumentalmusik in ausgedehnterem Maße eintreten, um ihn auch vollständig erschöpfend darzustellen. Die Instrumentalbegleitung, welche nicht nur ein die Harmonie ergänzendes Tasteninstrument, sondern das Orchester ausführt, ist bemüht, durch Vor-, Zwischen- und Nachspiele den Wortinbalt mit zu erläutern.

Natürlich erfordern die selbständigen Instrumentalvorspiele, die Zwischen- und Nachspiele wie die weiter ausgeführten Begleitungsfiguren, wieder ein geregeltes Zeitmaß, allein doch meist in anderem Sinne als bei den festgefügten Formen. Das Rezitativ verträgt, auch im Zeitmaß ausgeführt, doch nicht diese übersichtliche Gliederung und Gruppierung, wie die wirklichen Kunstformen; es folgt eben auch hierbei dem wechselnden Stimmungsgehalt, der noch zu keiner Konzentration gelangt ist. Daher muss auch das Rceitativo a tempo immer noch möglichst frei, so frei, dass der Rede keinerlei Zwang angetan wird, gehalten sein. [Reissmann Handlexikon 1882, 418]