Musiklexikon: Was bedeutet Neapolitanische Schule?

Neapolitanische Schule (1929)

Neapolitanische Schule nennt man die seit dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts von Fr. Provenzale und Alessandro Scarlatti ausgehende Kette von Lehrern und Schülern zu Neapel, welche die Opernkomposition in einer von den musikdramatischen Idealen der Florentiner Schöpfer des "Stile rappresentativo" sich immer weiter entfernenden Richtung kultivierte, indem sie mehr und mehr den Schwerpunkt in die Komposition formell abgerundeter dankbarer Arien legte und das Rezitativ zum immer mehr verflachenden, stärkeren Ausdrucks entbehrenden Übergangsglied von Arie zu Arie degradierte.

Freilich wäre es verkehrt, speziell Neapel für diesen Gang der Entwicklung verantwortlich zu machen. Die Abwendung von dem schwerfälligen deklamierenden Stile der Florentiner vollzog sich vielmehr aus innerer Notwendigkeit, zuerst in Rom (D. und V. Mazzocchi, M. Marazzoli, Loreto Vittori, Luigi Rossi, M. Abbatini, J. Melani, Carissimi, Stradella) und Venedig (Monteverdi, Ferrari, Cavalli, Cesti), bevor überhaupt von einer Neapolitanische Schule gesprochen werden kann. Die ärgste Verflachung brachten auch nicht die Neapolitaner, sondern die Spätvenezianer (nach 1700), denen gegenüber die besseren Meister der Neapolitanische Schule als die Klassiker der zu typischer Faktur entwickelten Arien-Oper erscheinen. Tatsächlich wird Neapel seit 1700 die eigentliche Schule der Opernkomposition durch die große Zahl ausgezeichneter Meister, die dort lehren, und erfolgreicher Komponisten, die dort ihre Ausbildung erhielten. Durchaus zur Neapolitanische Schule muss Joh. Ad. Hasse gezählt werden. Dagegen ist C. Pallavicino noch ein klassischer Vertreter der Venezianischen Schule und Agostino Steffani, der früh nach Deutschland verpflanzte, wie Al. Scarlatti eigentlich ein Kind der römischen Schule, wie Lully ein Spross der Florentiner ist.

Hauptrepräsentanten der Neapolitanische Schule sind: Fr. Provenzale, Al. Scarlatti, Durante, Porpora, Feo, Leo, Greco, Vinci, Teradellas, Jommelli, Piccinni, Pergolesi, Logroscino, Anfossi, Traetta, Tritto, Latilla, Perez, Guglielmi, Paisillo, Cimarosa. [Einstein/Riemann Musiklexikon 1929, 1252f]

Neapolitanische Schule (1882)

Neapolitanische Schule nennt man die von Alessandro Scarlatti ausgehende Kette von Lehrern und Schülern zu Neapel, welche vorzugsweise die Opernkomposition kultivierten und zwar in einem von den Florentiner Schöpfern des Stilo rappresentativo völlig verschiedenen Sinn, da sie ihr Hauptaugenmerk auf schöne Melodienbildung richteten; Neapel wurde daher die Wiege der im engeren Sinn sogenannten italienischen Oper, die nur Gesang ist und Instrumentation und dramatisches Pathos auf ein Minimum beschränkt, so dass ein Lully und ein Gluck wieder bei den Florentinern anknüpfen mussten. Hauptrepräsentanten der neapolitanischen Schule sind: Al. Scarlatti selbst, Durante, Leo, Feo, Greco, Porpora, Pergolese, Logroscino, Vinci, Jomelli, Taradellas, Piccinni, Sacchini, Traetta, Paisiello etc. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 624]

Neapolitanische Schule (1840)

Neapolitanische Schule. Derselben war es vorbehalten, der Musik, wie sie sich bis dahin, namentlich unter Scarlattis Einfluss, entwickelt hatte, eine ganz neue Gestaltung zu geben. Ihre Epoche fällt in die Jahre 1725 bis 1760; ihre Stifter sind Leon. Leo, Fr. Durante und Gaet. Greco, Schüler des obgenannten Meisters. Ihr gehört die zur höchsten Vollendung gebrachte Kunst des dramatischen Gesangs, die Bereicherung des Orchesters durch hinzugefügte Blasinstrumente so wie die bestimmte Ausprägung gewisser, bis dahin schwankender, ungenügender Musikformen. Die wesentlichste Verbesserung bestand in der in der Regelung des rhetorischen Teils der Melodie und der besseren Gestaltung der Arie, welche letztere Form sich, mit geringen Abweichungen, noch bis jetzt [19. Jh.] erhalten hat.

Ein glücklicher Genius der Kunst waltete in dieser schönen Epoche über Neapel, nirgends und nie wieder standen zu gleicher Zeit so viel ausgezeichnete Meister beisammen, als in dieser Zeit, und alle aus derselben Schule hervorgegangen, Männer wie Porpora, Pergolesi, Duni, Jomelli, Piccini, Cimarosa, Paisiello u. v. a., und nicht allein ist ihr Stil in und außer Italien allgemein angenommen worden, sondern hat sich auch so nachhaltig befunden, dass die Musik unserer Zeit noch mit Fug und Recht neapolitanische Musik genannt werden kann (vergleiche Kiesewetter). [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 324f]