Musiklexikon: Was bedeutet Dirigieren?

Dirigieren (1882)

Dirigieren (lateinisch), ein Orchester oder einen Chor, eine Opernaufführung etc. leiten.

Ein musikalisches Kunstwerk kann innerhalb des Rahmens der vom Komponisten gegebenen Vorschriften in verschiedener Weise vorgetragen werden, je nach der Auffassung des Interpreten. Bei Aufführung einer Oper, Symphonie etc. ist aber nicht ein Einzelner, sondern eine große Anzahl zugleich tätig, deren individuelle Auffassung sich einer gemeinsamen unterordnen muss. Der eigentliche vortragende Künstler ist dann eben der Dirigent. Die Mittel, durch welche derselbe seine Auffassung zur Geltung bringen kann, sind sehr beschränkte, wenigstens während der eigentlichen Aufführung. In den Proben kann er zum Wort seine Zuflucht nehmen, kann den einzelnen Mitwirkenden Stellen vorsingen oder auf ihren Instrumenten vorspielen, Rhythmen mit dem Taktstock aufklopfen etc. – doch verbietet sich das bei der Aufführung, und nur geräuschlose Bewegungen des kleinen Marschallstabs in seiner Hand sind die Dolmetscher seiner Intentionen. Als ausnahmsweise Aushilfe kann ein Blick, den er einem Sänger oder Spieler zuwirft, unschätzbare Dienste leisten, auch eine Bewegung der anderen Hand kann zu Hilfe kommen.

Der wichtigste Faktor bleibt aber doch der Taktstock, dessen Bewegungen daher eine feststehende konventionelle Bedeutung haben. Wie dessen Name andeutet, ist seine Hauptbestimmung die deutliche Markierung des Taktes, d. h. der Temponahme und der einzelnen wesentlichen Taktzeiten. Die Hauptbewegungen sind dabei folgende: Der erste Taktteil (Taktanfang) wird regelmäßig durch den Herunterschlag ˅ angezeigt, die übrigen Schläge halten sich mehr unten, und der letzte geht nach oben ˄. Ob der zweite Schlag von rechts nach links oder von links nach rechts geführt wird, ist völlig einerlei, und [es] sind verschiedene Manieren zulässig. Die wichtigsten üblichen Arten der Taktierung sind: der zweiteilige Takt (2/8, 2/4, 2/2, 2/1, Allabreve-Taktzeichen), der dreiteilige Takt (3/8, 3/4, 3/2 etc.), der vierteilige Takt (C, 4/2, 4/8 etc.) und der sechsteilige Takt (6/4, 6/8). Man schlägt denselben in folgender Weise:

Dirigieren (Riemann 1882)

Taktschlagen mit dem Taktstock

Der neunteilige Takt wird als dreimal-dreiteiliger, der zwölfteilige als viermal-dreiteiliger geschlagen, doch stets so, dass der Anfang des Taktes durch einen Schlag aus größerer Höhe bemerklich bleibt. Ein Crescendo wird gewöhnlich durch weiter aushohlende Schläge anschaulich gemacht, während die Verkleinerung der Schläge ein Diminuendo andeuten soll. Scharfe Akzente, Sforzati etc. verlangt man durch kurze, zuckende Bewegungen, Veränderungen des Tempos (stringendo, ritardando) durch Zuhilfenahme der anderen Hand, doch fangen hier bereits die individuellen Eigentümlichkeiten an. Die Dauer einer Fermate wird durch Stillhalten des Taktstockes in der Höhe angedeutet, ihr Ende durch eine kurze Hakenbewegung. Für weitere Informierung kann auf den Anhang zu Berlioz' "Instrumentationslehre" verwiesen werden ("Der Orchesterdirigent"). Ein guter Dirigent bildet sich aber nur durch die Praxis. Aus Büchern sind bloß die Anfangsgründe zu lernen. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 206f]