Choralbearbeitung (1929)

Choralbearbeitung ist die Entwicklung eines kunstvollen mehrstimmigen Tonsatzes mit Zugrundelegung einer Choralmelodie, die durch die hinzugefügten Stimmen frei umspielt oder auch imitiert verarbeitet wird.

Solche Tonsätze waren schon im 11.-15. Jahrhundert in mancherlei Form gebräuchlich, besonders seit Dunstable (s. d.) als Paraphrasierungen von Hymnen, Marienantiphonen usw., desgleichen sogar wahrscheinlich als Orgelsätze bei deutschen Meistern (Adam von Fulda, Heinrich Finck usw.) zu Ende des 15. Jahrhunderts. Doch versteht man im engeren Sinne unter Choralbearbeitung die kontrapunktische Behandlung des protestantischen Chorals entweder als einfacher vierstimmiger (oder mehrstimmiger) Satz Note gegen Note oder mit freien Figurationen in mehreren oder allen Stimmen mit dem Choral als Cantus firmus (figurierter Choral) oder mit kanonischen Führungen sei es der Choralmelodie selbst oder der freien Stimmen (Choralkanon) oder endlich in Gestalt einer Fuge (Choralfuge, fugierter Choral), welche ebenfalls wieder in zweierlei Gestalt vorkommt, nämlich als Fuge zu einem Choral als Cantus firmus oder als Fugierung der Choralzeilen selbst.

Sämtliche Formen der Choralbearbeitung kommen sowohl vokal als instrumental vor. Der figurierte Choral mit Cantus firmus eignet sich zur Orgelbegleitung des Gemeindegesangs, fand aber noch häufiger seine Verwendung als Choralvorspiel. Berühmte Meister der Choralbearbeitung sind Michael Prätorius, Samuel Scheidt, Joh. Nik. Hauff, Joh. Christoph Bach, Joh. Mich. Bach, Joh. Pachelbel, Dietr. Buxtehude, Georg Böhm, J. Gottfr. Walther und vor allen J. Seb. Bach. Vgl. K. Straube, Alte Meister des Orgelspiels (1904) und (45) Choralvorspiele alter Meister (1907). [Einstein/Riemann Musiklexikon 1929, 313]