Alla Breve (1870)

Alla Breve (italienisch), wörtlich kurz oder kürzer (noch einmal so kurz), ist eine zweiteilige Taktart, wie der Zweivierteltakt, aus einer Thesis und einer Arsis bestehend und von denselben sich nur durch die Größe seiner Note unterscheidend. Denn während die beiden Taktglieder im letzteren aus Viertel-, bestehen sie im ersteren aus halben Noten. Diese halben Noten jedoch werden doppelt so schnell genommen, als sie genommen werden müssten, wenn der Alla breve aus vier Vierteln bestünde, und werden eben so vorgetragen, als wenn sie Viertelnoten wären, dem entsprechend natürlich die ganzen Noten, als wenn sie halbe wären. Das Taktzeichen dieser Taktart ist beliebig folgendes:

alla breve (Mendel/Reissmann 1870)

Taktzeichen für "alla breve"

Wiewohl er übrigens fast ausschließlich bei dem Zweizweiteltakt (2/2) gefunden wird, ist er doch mit diesem nicht ganz identisch. Das erhellt schon daraus, dass man auch den 4/2-Takt mit Alla breve bezeichnet findet, so in der bekannten Fuge "Christus hat uns ein Vorbild gelassen" in Grauns "Tod Jesu". Gleichbedeutend als Bezeichnung der Zeitbewegung ist die Vorschrift Alla capella, welche anzeigt, dass zwar die Notenfiguren ihrer Größe nach ebendieselben sind wie beim Choralgesang, dass sie aber gleichwohl nicht choralmäßig, d. h. wie sie die Versammlung in der Kirche singt, sondern bewegter, wie es in den Kapellen gewöhnlich der Fall ist, vorgetragen werden sollen. Diese Vorschrift empfiehlt sich, wo man den Ausdruck wirklich nur als eine Abkürzung der Notenschrift (Viertel statt Achtel usw.) gebraucht.

Der Name Alla breve entstammt jener Notengattung, welche den Namen Brevis führte und zwar der diminuierten Brevis. In der Mensuralmusik galt die Brevis imperfecta nach dem sogenannten Integer valor zwei Taktschläge oder Semibreves, das heißt zwei ganze Taktnoten nach unserer heutigen Art; unter dem Zeichen der einfachen Diminution jedoch nur einen Schlag, an Zeitdauer einer Semibrevis (oder zweien Minimae) gleichkommend. Die ganze Bewegung musste also in verdoppelte Schnelligkeit geraten, da jede Notengattung die Hälfte ihres Wertes einbüßte. Als im Laufe der Zeit anstatt der Brevis die Semibrevis, die jetzige ganze Takt- oder 1/4-Note, als Takteinheit angenommen, wurde die alte Semibrevis dadurch zur Minima (zur halben Note), die Minima zum Viertel degradiert. Wenn vordem die Verminderung der Zeitdauer unter dem Zeichen der Diminutio simplex, Allabreve-Taktzeichen, der Brevis als Takteinheit gegolten hatte, so galt sie nunmehr unter demselben Zeichen der Semibrevis; die Wertverminderung der Noten folgte natürlich gleichen Grundsätzen. Dass sich diese Taktart auch noch neuerdings durch zwei ganze Noten, statt halber, dargestellt findet, kann kaum auffallen. Gegenwärtig hat sich der ursprüngliche ganz bestimmte Charakter des Alla breve in ziemlich abweichende Modalitäten gefügt. Während er früher ausschließlich der Kirchenmusik zugehörte und hier in Fugen und im fugierten Stile, dem er einen charakteristischen Stempel aufdrückte, mit Vorliebe verwendet wurde, findet er sich jetzt häufig in Werken der Kammermusik und in anderen freien Formen und zwar, neuerer Schreibweise gemäß, mit vorgeschriebenem schnellen Tempo. Letzteres war in alter Zeit ganz überflüssig, denn das Alla breve an und für sich war im Anschluss an die alte Messungsart der Noten in der Mensuralmusik bereits bestimmte Tempobezeichnung. Daneben hatte er auch seinen eigentümlichen Stil. Mäßige Geschwindigkeit und ein ernster, einfacher und erhabener Ausdruck gingen Hand in Hand. Um den letzteren und den fest markierten Rhythmus zu wahren, sollten kürzere Notenwerte als Viertel nicht vorkommen.

Die gleiche Bedeutung wie das Alla breve, nur mit dem Begriff der verdoppelten Bewegung, hat das Alla semibreve oder das sogenannte halbe Alla breve, fälschlich auch oft Semi-Alla-breve genannt. Wenn im Alla-breve-Takt kleinere Noten als Viertel-, so waren im Alla semibreve kleinere als Achtelnoten, die ja an und für sich schon die Geltung von Sechzehnteilen haben, wenigstens in andauernder Verwendung verpönt, damit die Würde des Tonstücks nicht unter sich überstürzenden Passagen litte. [Mendel Musikalisches Lexikon 1870, 162f]