Vielstimmiger Satz (1865)

Vielstimmiger Satz, die Schreibart für mehr als vier Hauptstimmen. Es kommt auf die Absichten des Tonsetzers an, ob die etwa aus 6, 8, 10 oder mehr Stimmen bestehende Chormasse nur einen Chor ausmachen oder in mehrere ineinandergreifende selbständige Chöre geteilt sein soll. In jenem Fall unterliegt dem ganzen Stimmenkomplex nur eine Grundstimme, in diesem hat jeder Chor seine besondere (siehe Doppelchor).

Dass die Stimmführungsregeln des strengen Satzes bei höherer Vielstimmigkeit manche Ausnahmen gestatten, liegt in der Sache; denn es lassen nicht einmal mehr 5 Stimmen mit derselben Reinheit melodisch ungezwungen und ohne Steifheit sich führen wie 4 oder 3, um wieviel weniger noch mehre. Außerdem werden manche Fortschreitungen in den Mittelstimmen, welche die Durchsichtigkeit minderstimmiger Sätze allerdings als Härten erkennen lässt, durch eine größere Stimmen- und Klangmasse gedeckt. Hierunter gehört die irreguläre Fortschreitung mancher Dissonanzen, Verdoppelung mancher sonst besser nur einfach zu gebrauchenden Intervalle (als der Terz, der Quart im Quartsextakkord, auch wohl des Leittones), manche Querstände, Durchkreuzungen der Stimmen, verdeckte Quint- und Oktavparallelen und andere Einzelheiten, welche nicht gut in kurzgefassten Regeln sich geben lassen, sondern hinsichtlich der Ausdehnung ihrer Zulässigkeit aus dem Studium erkannt werden müssen. Für die äußeren Stimmen haben die Regeln des reinen Satzes ebendieselbe Geltung wie in allen minderstimmigen Setzarten. Welche von den vier Hauptstimmen im vielstimmigen Satze geteilt werden sollen, hängt ab von der Absicht des Komponisten und der Klangfärbung, welche er dem Tonstücke geben will. Vermehrfachung des Sopranes verleiht dem Zusammenklang Helligkeit und Glanz; des Basses, eine markige massive Unterlage; des Altes und Tenores, kompakte Fülle in den Mittelstimmen etc. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 923f]