Vaudeville (1882)

Vaudeville hießen ursprünglich in Frankreich die meist witzigen, satirischen Lieder (Chansons), die, im Volke entstanden, an Ereignisse und Persönlichkeiten des Tages anknüpften und deren Schwächen oft mit beißendem Spott geißelten. Olivier Basselin, Besitzer einer Walkmühle bei Vire in der Normandie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, soll mit seinen fröhlichen Liedern, die er "Vaux de vire" nannte, den Anstoß hierzu gegeben haben. Unter der unumschränkten Herrschaft Mazarins (1642-1661) kamen diese Lieder außerordentlich in Blühte und der Kardinal selber wurde mit den giftigsten Spottliedern bedacht. Sie nahmen damals schon die Form der heutigen Chansons an, sind strophisch gegliedert und jede Strophe schließt mit dem Refrain, der die Pointe des Inhalts kurz und schlagend ausspricht.

Die eigentümliche Entwickelung, welche die französische Oper im 18. Jahrhundert nahm, gab diesen Liedern allmählich eine erhöhte Bedeutung. In dem Kampf, der für die nationale Entwickelung der französischen Oper in der letzten Hälfte des Jahrhunderts geführt wurde, hatte sich auch für die dramatische Musik jener Coupletstil gebildet, der ganz direkt auf das Vaudeville führen musste. In der komischen Oper von Duni, Monsigny, Danican, genannt Philidor, und Gretry, hatte bereits die leichte, sangbare Romanze die Herrschaft über die Arie gewonnen. An Stelle des Rezitativs war der Dialog getreten und es lag zu nahe, dies Verfahren noch weiter auszudehnen und diesen nur mit leichten Liedern zu durchziehen, die direkt dem Volksliederschatz entnommen oder nach bekannten Melodien in der Weise des Volksliedes gedichtet waren. Diese Liederspiele erhielten dann den Namen Vaudeville und sie wurden in Frankreich bald so beliebt, dass in Paris 1791 ein Theater, das Vaudeville-Theater, eigens dafür errichtet wurde.

Die Gattung fand auch in Deutschland Verteidiger und Vertreter; der erste war wohl Fr. Reichardt und seitdem ist das Liederspiel auch in Deutschland mit mehr oder weniger Glück bis auf den heutigen Tag [um 1880] gepflegt worden. [Reissmann Handlexikon 1882, 584f]