Musiklexikon: Was bedeutet Franco von Köln?

Franko (1882)

Franko, ein Name, der in der Geschichte der Mensuralmusik einen ausgezeichneten Klang hat, da unter demselben mehrere der berühmtesten Traktate über den Diskantus auf uns gekommen sind. Eine große Unsicherheit herrscht aber über Lebenszeit, Geburtsort und Stellung Frankos.

Man hat aus ihm einen Scholastikus zu Lüttich im 11. Jahrhundert gemacht, eine durchaus unstatthafte Annahme, da seine Mensuraltheorie für diese Zeit bereits zu weit entwickelt ist. Ein Passus in einem der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehörigen anonymen Traktat, abgedruckt in Coussemakers "Script.", I (Anonymus 4), bringt helles Licht in das bisherige Dunkel. Es heißt da:
"Merke, dass Magister Leoninus den Ruf eines vorzüglichen Tonsetzers (organista) hatte und ein großes Werk im Stil des Organum mit Zugrundelegung der Graduals und Antiphonars zur Vermannigfaltigung des Gottesdienstes geschrieben hat, welches in Gebrauch war bis auf die Zeit des großen Perotinus, der einen Auszug aus demselben machte und selbst viele bessere neue Tonsätze hinzufügte, da er sich vortrefflich und besser als Leoninus auf den Diskantus verstand. Magister Perotinus selbst schrieb ausgezeichnete vierstimmige und dreistimmige Sätze (über den Cantus planus) und auch dreifache, doppelte und einfache Kondukte. Das Buch oder die Bücher des Magisters Perotinus waren im Chor der Notre-Dame-Kirche zu Paris in Gebrauch bis auf die Zeit Roberts von Sabilon und von diesem in gleicher Weise bis auf die neuere Zeit, wo Männer erstanden wie Petrus, ein ausgezeichneter Komponist (notator), und Johannes der Große (Primarius), in der Hauptsache aber bis auf die Zeit des Magisters Franko des ältern und des anderen Magisters Franko von Köln, welche teilweise in ihren Werken eine veränderte Notierung einführten und deswegen andere Regeln, die speziell für ihre Werke galten, aufstellten."

Aus der Stelle geht zur Evidenz hervor, dass es zwei Frankos gab, nämlich Franko von Paris und Franko von Köln, von denen jener etwas älter als dieser ist, die aber ungefähr Zeitgenossen waren und, wie es scheint, beide zu Paris als Chormeister an Notre Dame fungierten. Immerhin wäre es aber möglich, dass der Kölner Franko nicht zu Paris gelebt hat, aber bei Lebzeiten dort berühmt war - dann könnte man annehmen, dass der zu Dortmund geborene Franko, welcher um 1190 Prior der Benediktinerabtei zu Köln war, den mit "Ego Franco de Colonia" beginnenden Traktat (bei Gerbert, "Script.", II, und Coussemaker, Script.", I) verfasst hat. Denn die Mönche nannten sich nicht nach ihrem Geburtsort, sondern nach ihrem Kloster. Von Franko von Paris dagegen rührt der Traktat her, welchen Johann Ballox abbreviiert hat (vgl. Coussemaker, Histoire de l'harmonie …, Nr. 5, und Script., I, S. 292). [Riemann Musik-Lexikon 1882, 273f]

Franco von Cöln (1882)

Franco von Cöln [sic] (Franco de Colonia), genannt Parisiensis magister, der älteste bekannte Schriftsteller, der über Mensuralmusik schrieb, ist nach seiner Aussage in seinem "Compendium de discantu" in Cöln [sic] geboren. Über seine sonstigen Lebensverhältnisse ist bisher [um 1880] noch nichts sicher festgestellt worden. [Reissmann Handlexikon 1882, 147]

Franco von Köln (1840)

Franco von Köln, Parisiensis Magister genannt, blühte in den Jahren 1047-1085 als Scholaster [sic] an der Kathedralkirche zu Lüttich; schrieb das älteste bekannte Buch über Cant. mensurab. [Ars cantus mensurabilis] und wird daher als Erfinder des musikalischen Zeitmaßes und der für die Ausbildung der neueren Musik so wichtigen Mensuralmusik (siehe dort) genannt, in welcher die Länge und Kürze der Töne nach Noten von ganzen Takten eingeteilt werden konnte.

Er unterschied vier Grade des Zeitmaßes, nämlich: das längste, lange, kurze und halbkurze - und zur Bezeichnung derselben viererlei Zeichen (Noten, Figuren), statt der bisher üblichen Punkte (siehe Noten). Diese erhielten sich bis gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts, wo sie vervielfältigt, d. h. in Unterabteilungen zergliedert wurden. Wiewohl Joh. de Muris berichtet, "dass der Magister Franco 50 Jahre nach Guido mensuram figurarum (d. i. den Wert der Tonfiguren) erfunden habe," so sagt doch er selbst (nach einer von Baini aus seinen Briefen angeführten Stelle), dass er den Takt nicht erfunden. Kiesewetter bezweifelt, dass Franco, der über Mensuralmusik geschrieben, und jener ein und derselbe sei. Er sucht als wahrscheinlich aufzustellen, dass dieser (der Schriftsteller) von der Epoche Guidos sehr fern gelebt haben müsse und kaum früher als in den ersten Dezennien des dreizehnten Jahrhunderts geblüht haben könne, welche Epoche er in seiner trefflichen Geschichte der Musik auch nach Franco benennt (siehe Leipziger Musikal. Zeitung, 1828, No. 48-50). [Gathy Encyklopädie Musik-Wissenschaft 1840, 140]