Aeolsharfe (1865)

Aeolsharfe, Wind- und Wetterharfe, ein Saiteninstrument, dessen Saiten nicht durch die Hand des Künstlers zum Klingen gebracht werden, sondern von selbst ansprechen, indem das Instrument den Einwirkungen eines natürlichen Luftstromes ausgesetzt wird.

Die Erfahrung, dass in einen Luftzug gebrachte Saiten von selbst zu tönen anfangen, gehört schon dem frühen Altertum an. So behaupten die Talmudisten, dass Davids Harfe oder Kinnor um Mitternacht, wenn der Nordwind ihre Saiten berührte, geklungen habe. Wahrscheinlich aber hat man auch noch in weit späterer Zeit den wahren Hergang dieser Sache sich nicht erklären können, denn der heilige Dunstan († 988 in England) soll der Zauberei angeschuldigt worden sein, weil er eine Harfe, welche von selbst spielte, angefertigt hatte. Für den ersten Erfinder eines auf die Wirkung des Windes besonders eingerichteten Saiteninstrumentes überhaupt kann man daher den Pater Athanasius Kircher (geb 1602 im Fuldaischen, gest. 1680 zu Rom) wohl nicht halten, ungeachtet man diese Angabe mitunter findet. Doch mag die vervollkommnete Form und Einrichtung unserer gegenwärtigen Aeolsharfe von ihm herstammen. Er handelt davon in seiner Phonurgia nova (Neue Hall- und Klingkuns, S. 148). Sein Instrument aber scheint entweder nicht sonderlich bemerkt oder schnell wieder in Vergessenheit geraten zu sein, denn es trat erst auf Popes Veranlassung in England (Göttinger Taschenkalender 1792) wieder von neuem ins Leben.

Es ist sehr einfach konstruiert. Ein viereckiger Kasten von dünnen trockenen tannenen Brettern, etwa drei, vier bis sechs Fuß lang, acht bis vierzehn Zoll breit und drei bis sechs Zoll tief, auf der einen Fläche mit einer dünnen Resonanzdecke verschlossen, auf der entgegengesetzten entweder offen oder auch mit einem Boden versehen, dient als Resonanzkörper. Über die Resonanzplatte sind auf zwei, etwa einen halben Zoll hohen, an den schmalen Enden des Korpus einander gegenüberstehenden Stegen, etwa acht, zehn oder zwölf Darmsaiten gespannt, am einen Ende mittels Schlingen an Stifte eingehängt, am anderen um Stimmnägel geschlungen. Man darf die Saiten nicht zu stark anspannen, indem sonst der Luftzug zu wenig Macht über sie hat. Ihre Tonhöhe ist beliebig, doch durch die Größe des Instruments mitbedingt, alle aber müssen in den Einklang gestimmt sein.

Soll die Aeolsharfe erklingen, so setzt man sie in einem halb geöffneten Fenster dem Zuge des Windes aus, indem man, um diesen zu verstärken, entweder die Zimmertür oder ein gegenüber befindliches Fenster öffnet. Zuweilen hat das Instrument auch Windflügel oder schräg gegen die Saiten gerichtete Windfänge, um den Wind zu sammeln, damit er um so kräftiger auf die Saiten wirke. Sobald nun der Luftstrom die Saiten leise berührt, fangen sie an zuerst im Unisono zu tönen, mit anwachsender Stärke desselben aber zerlegen sie sich in ihre für sich schwingenden Unterabteilungen, und es entwickeln sich in angenehmem Wechsel harmonische Zusammenklänge und die diatonische Tonleiter auf- und absteigende Tonfolgen, welche der Wirkung nach dem sanften Anschwellen und wieder Erlöschen entfernter Chöre gleichen.

Weil an jeder Saite des Instrumentes, je nach den schwingenden Teilen, in die sie sich zerlegt, alle Töne der Tonleiter entstehen, ist es notwendig, dass sämtliche Saiten in den Einklang gestimmt werden, weil sonst unter den erscheinenden Tönen Mischungen sehr harter und unangenehmer Dissonanzen zum Vorschein kommen würden. Der Umfang der sich entwickelnden Tonreihe umfasst nach Dalbergs Angabe (Allgem. Musikal. Zeitung, 1801, Stück 28) sechs volle Oktaven. Ist das Korpus des Instrumentes an allen Seiten zugebaut, so können die Saiten merklich straffer angespannt werden, wodurch ein erheblich stärkerer Klang erzielt wird, ohne dass ein heftigerer Windzug erforderlich ist. Denn der Sangboden erhält durch den Gegendruck der nun im Korpus eingeschlossenen und ebenfalls mitresonierenden Luft mehr Reizbarkeit. Doch muss man ihn sehr dünn ausarbeiten, desgleichen Saiten von verschiedener Stärke versuchen und ihnen verschiedene Grade von Spannung geben, um denjenigen Grad von Stärke und Spannung ausfindig zu machen, welche der Länge des Bezuges und dem Grade der Reizbarkeit des Sangbodens am angemessensten ist. Es bleibt hierbei überhaupt noch zu bemerken, dass kein anderes mit Darmsaiten bezogenes Instrument in Hinsicht auf die mit dem Kunstausdrucke rein bezeichnete Eigenschaft der Saiten so empfindlich ist als die Aeolsharfe, weil bei keinem anderen so viel auf Bildung fest bestimmter Schwingungsknoten, welcher Unreinheit der Saiten notwendig entgegenwirken muss, ankommt. […] [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 26ff]


Anmerkung: Der umfangeiche Lexikoneintrag, der unter anderem die von Heinrich Christoph Koch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgeführten Verbesserungen an der Äolsharfe beschreibt, ist komplett online lesbar im MDZ-Reader der Bayerischen StaatsBibliothek.