Abziehen (1865)

Abziehen. Wenn einer melodischen Hauptnote ein langer Vorschlag vorausgeht, so wird sie mit schwächerem Tone vorgetragen, während der Vorschlag den Akzent bekommt und ihr außerdem einen großen Teil ihres eigentlichen Zeitwertes nimmt, Beispiel a) [siehe unten folgendes Notenbeispiel]. Die Art, wie diese melodische Hauptnote an ihren Vorschlag angeschleift, und hierbei an Bogeninstrumenten der Bogen von der Saite oder an Klavierinstrumenten der Finger von der Taste gezogen wird, nennt man das Abziehen.

Nun findet aber das Abziehen nicht bei allen melodischen Hauptnoten, denen lange Vorschläge vorausgehen, Anwendung; Reichhardt unterscheidet daher in seinem Werkchen: Ueber die Pflichten der Ripien-Violinisten S. 41 ein eigentliches Abziehen von einem uneigentlichen. Jenes findet statt, wenn auf die abzuziehende Note eine Pause oder andere Note folgt (Beispiele b, c), und in diesem Falle braucht sie nicht allemal an einen Vorschlag angeschleift zu sein, sondern kann eine melodisch nachschlagende, eine Endnote eines Motivs oder Satzgliedes sein, die jedoch immer an die vorangehende Note gebunden und nicht akzentuiert ist, sondern nur schwach angeschlagen und auch nicht ihrem vollen Werte nach ausgehalten zu werden braucht, ähnlich der letzten tonlosen Silbe eines Wortes. Da sie in allen Fällen, entweder als Auflösung einer Dissonanz vom Gehöre schon gewissermaßen vorausempfunden oder las nur melodisch nachschlagende Note weniger wesentlich ist, genügen schon eine nur geringe Klangstärke und Zeitdauer, um sie hinlänglich deutlich zu Gehör zu bringen - besonders wenn ihr eine Pause folgt und sie durch keine unmittelbar darauf folgende Note verdunkelt wird.

Abziehen (Dommer 1865)

Das uneigentliche Abziehen entsteht, wenn die auf den Vorschlag oder Vorhalt folgende Hauptnote ausgehalten oder ohne Absetzen weiter fortgeführt werden soll. Dies geschieht dann mit schwächerer Bogenführung oder mit schwächerem Anschlage, ohne dass jedoch der Bogen von der Saite oder der Finger von der Taste genommen wird. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 7]