1. Horizont: von Generatoren erzeugte Klänge

Die elektronische Vierkanalkomposition Horizont stellt York Höllers Anfangspunkt in der aktiven Auseinandersetzung mit elektronischen Klangerzeugungs- und -verarbeitungstechniken dar. Gleichzeitig ist es das bis heute einzige rein elektronische Werk Höllers geblieben. Horizont wurde "an 55 Tagen in der Zeit vom 15. September 1971 bis zum 20. Januar 1972" im Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln unter Mitwirkung der technischen Mitarbeiter Peter Eötvös und Volker Müller realisiert.[1]

1.1 Vorgeschichte

Die Vorgeschichte von Horizont reicht in das Jahr 1969 zurück. Nachdem Höller 1967 sein vier Jahre zuvor begonnenes Schulmusikstudium mit den Hauptfächern Klavier (Else Schmitz-Gohr) und Tonsatz/Komposition (Joachim Blume) an der Kölner Musikhochschule abgeschlossen hatte, setzte er dort sein Klavierstudium bei Alfons Kontarsky fort und begann 1968 ein Kompositionsstudium bei Bernd Alois Zimmermann sowie ein Dirigierstudium bei Wolfgang von der Nahmer. Die Möglichkeit, als Student der Staatlichen Hochschule für Musik in Köln das dort 1965 gegründete Studio für Elektronische Musik zu nutzen, ergriff Höller 1969.

Dem damaligen Direktor der Musikhochschule Heinz Schröter, der sich intensiv für die Belange der zeitgenössischen Musik an der Musikhochschule einsetzte, war es 1965 gelungen, den seit 1962 pensionierten Herbert Eimert als Leiter dieses ersten an einer Musikhochschule gegründeten Studios zu gewinnen.[2] Zuvor hatte Eimert - nach Aussage seines Kompositionsschülers und späteren Nachfolgers in der Leitung des Studios, Hans Ulrich Humperts - Bedenken an den eigenen pädagogischen Fähigkeiten geäußert sowie die Möglichkeit, Komposition zu unterrichten und zu erlernen, generell in Frage gestellt.[3]

Zu Beginn seiner Arbeit im Studio für Elektronische Musik der Musikhochschule erhielt der auf diesem Gebiet unerfahrene York Höller von Eimert den Rat, Sinusgemische nach einer frei wählbaren Proportion zu erstellen, um sich mit der dortigen Studiotechnik praktisch vertraut zu machen. Höller wählte 15. Wurzel aus 3 und erstellte einige Tongemische. Mit dem plötzlichen Freitod seines Kompositionslehrers Bernd Alois Zimmermann im Jahr 1970 stellte Höller, den dieses tragische Ereignis offenbar tief getroffen hatte, seine Arbeiten und Studien in der Musikhochschule insgesamt ein. Im Jahr darauf erhielt Höller dann vom WDR den Kompositionsauftrag für Horizont und eine Einladung Karlheinz Stockhausens, das Stück im Studio für Elektronische Musik des WDR Köln, dessen künstlerische Leitung Stockhausen 1963 in der Nachfolge Eimerts übernommen hatte, zu realisieren.[4]

1.2 Vorbereitung

Aufschluß über Höllers Vorbereitungen zu seiner ersten Komposition mit elektronischen Mitteln gibt ein "Bericht über die Realisation":[5]

"Nachdem ich mir eine Liste aller Studio-eigenen Geräte hatte anfertigen lassen, begann ich mit der Komposition. Ich entwarf zunächst einen Formplan, der insgesamt 30 Abschnitte umfaßte. Abgesehen von den ersten 3 Abschnitten, die ich infolge einer sehr deutlichen Klangvorstellung schon 'im Ohr' hatte, war der weitere Verlauf des Stückes lediglich strukturell klar."[6]

Höller hatte also, ausgestattet mit der Inventarliste des WDR-Studios und mit einigen im Studio der Musikhochschule gesammelten praktischen Erfahrungen im Umgang mit elektronischen Apparaturen, zunächst einen Formplan erstellt. Dieser legte die zeitliche Struktur des zu realisierenden Stückes fest, indem er die Reihung von 30 Abschnitten unterschiedlicher Länge vorsah. Ihre Zeitwerte hatte Höller einer Logarithmentabelle entnommen,[7] die Dauern der Abschnitte sollten im ungefähren Verhältnis 5:6 zueinander stehen.[8] Außerdem waren offenbar weitere strukturelle Eigenschaften bereits konzeptionell erfaßt. Dies läßt sich aus dem Zusammenhang obigen Zitats mit seiner in Parenthese gestellten Ergänzung schließen, aus der zudem hervorgeht, daß die strukturbildenden Vorgaben noch keine spezifisch elektronischen Momente berücksichtigten (obwohl Höller hier einige Fachtermini aus dem Bereich der Magnettontechnik entlehnt, die er aber als allgemeine kompositorische Arbeitsweisen verstanden wissen will):

"Hinsichtlich struktureller Kategorien wie Homo-, Poly- und Heterophonie, 'hartem' und 'weichem' Schnitt, Vor-, Rück-, Ein-, Aus-, oder Überblendung, Interpolation, Wechsel der klanglichen und zeitlichen Dichte usw. gibt es keinen nennenswerten Unterschied zwischen elektronischer und instrumentaler Musik."[9]

War die Gliederung des Stückes noch vor dem ersten Arbeitstag im Studio weitestgehend fixiert,[10] waren Übergänge und Zusammenhänge zwischen den Abschnitten konzipiert und, vom Klangmaterial unabhängig, kompositions- bzw. satztechnische Aspekte berücksichtigt, so gab es bezüglich der klanglichen Konkretion des Kompositionsplans lediglich tendenziöse Überlegungen:

"Die Frage der 'Klangästhetik', der sich - da ihm schier unbegrenztes Klangpotential zur Verfügung steht - gerade der Komponist elektronischer Musik stellen muß, versuchte ich a priori durch einige negative Zielsetzungen zu lösen: So wollte ich einfache Sinusgemische, weißes Rauschen, regelmäßige Impulsfolgen, überhaupt allzu Regelmäßiges und gänzlich statische Klänge weitestgehend vermeiden, darüber hinaus möglichst keine klanglichen Klischees benutzen, die eindeutige und meiner Ansicht nach triviale Assoziationen, z. B. an Maschinen, Feuergeprassel, Detonationen, zoologische Gärten usw., hervorrufen würden."[11]

Zudem hatte bereits früh ein Klang in der Imagination Höllers Gestalt angenommen, der als Initialidee für das Werk bewertet werden kann und sich am Anfang von Horizont wiederfindet, dessen programmatischer Charakter für den weiteren Verlauf des Stückes allerdings nicht mehr von Bedeutung ist: ein aus der Ferne, aus dem Unendlichen kommender Klang, der den Komponisten bzw. Zuhörer umkreist und dann abstürzt.[12]

1.3 Realisation

Die Inventarliste, die Höller zur Vorbereitung auf die Realisation angefordert hatte, wird vermutlich das Studio-Equipment aufgeführt haben, das Marietta Morawksa-Büngeler für diesen Zeitraum recherchiert hat.[13] Aus ihrer Dokumentation wird unter anderem ersichtlich, daß dem Komponisten die bereits einige Jahre zuvor entwickelten spannungsgesteuerten Synthesizer noch nicht zur Verfügung standen.[14]

Anhand der "vom November 1972 bis Mai 1973",[15] also einige Monate nach Fertigstellung des Stückes, von Höller angefertigten Partitur - sie stellt einmal den klangfarblichen Verlauf des vierkanaligen Stückes graphisch dar und gibt zudem recht genaue Auskunft über die technische Realisation der einzelnen Klänge bzw. Klangkomplexe - läßt sich rekonstruieren, welche Geräte im einzelnen Verwendung fanden.[16]

Zur Klangerzeugung:

  • Sinusgenerator (Schwebungssummer)
  • Rechteckgenerator
  • Rauschgenerator
  • Impulsgenerator

Zur Klangverarbeitung:

  • Frequenzmodulator (im Schwebungssummer integriert)
  • Transponiergenerator (die Geschwindigkeit der Andruckrolle eines Tonbandgeräts und damit die Bandgeschwindigkeit hängt von der Frequenz der 220V-Stromversorgung ab; diese kann über eine Steuerung zwischen 25 und 100 Hz variiert werden, was einer Transposition um 1 Oktave aufwärts und abwärts entspricht. Durch Geschwindigkeitsumschaltung des Magnetophons kann eine Transposition um eine weitere Oktave aufwärts bzw. abwärts erzielt werden)
  • Ringmodulator (insgesamt standen vier Ringmodulatoren zur Verfügung)
  • Abstimmbarer Anzeigenverstärker
  • Allison-Filter (Hochtiefpaßfilter, getrennte Regelbereiche mit gleicher Skalierung in Oktavschritten von 18,7 bis 9600 Hz; die gewählten Frequenzen können über Drehpotentiometer mit dem Faktor 0,8 bis 2,1 multipliziert werden)
  • Mikrofonverstärker (zur nichtlinearen Verzerrung durch Übersteuerung benutzt)
  • Hochtiefpaßfilter (neben dem Allison-Filter standen noch zwei weitere Hochtiefpaßfilter zur Verfügung)
  • Oktavfilter (neun Bandpässe in Oktavbreite: <100 Hz, 100-200 Hz, 200-400 Hz, 400-800 Hz, ... 6400-12800 Hz, >12800 Hz; Einzelausgänge mit regelbarem Verstärker (bis +15 dB) für jeden Bereich und ein Summenausgang)
  • Albis-Filter (24 Bandpässe in ca. Terzabstand zwischen 94 Hz und 6250 Hz, erweitert durch ein Zusatzfilter mit zweimal 6 Bandpässen zwischen 31,5 Hz und 78,7 Hz bzw. 7500 Hz und 18650Hz; Einstellung des Durchlasses der Frequenzbänder über Schiebepotentiometer)
  • Hallplatte
  • Tieftongenerator (zur "Infra-Ringmodulation"[17] verwendet)
  • Terzfilter (drei Stück: 1800-12800 Hz, 284-2016 Hz, 45-317 Hz)
  • Tempophon (von BASF; das aufgelegte, mit 19 cm/s Geschwindigkeit abgespielte Tonband wird auf eine Endlosschleife überspielt, die um einen rotierenden Tonkopf geführt wird; Tonlagenänderung bei konstantem Tempo und umgekehrt wie bei der sog. Springer-Maschine, allerdings ist der Tonkopf mit nur zwei Tonabnehmern bestückt)
  • Hochpaßfilter (beim Allison-Filter nur den Hochpaß verwendet)

Höller mußte sich auf die bereits in den 1950er und 1960er Jahren von den Komponisten Elektronischer Musik benutzten Apparaturen aus der Meß- und Rundfunktechnik beschränken. Da zudem keine konkreten Klänge in der Komposition verarbeitet wurden - "der Verzicht auf alle 'Fremdklänge'" habe Höllers "Idee von einer 'integralen' Kompositionsweise, in der die Musik sich aus einem eingeschränkten Grundmaterial entwickeln und soweit wie möglich strukturelle und stilistische Einheit anstreben sollte",[18] entsprochen -, basiert Horizont ausschließlich auf von Generatoren erzeugten Klängen.[19]

Aufgrund dieser Beschränkung auf das starre Grundmaterial des klangerzeugenden Instrumentariums (Sinus- und Rechteckschwingungen, Impulse, Rauschen) bzw. auf die hieraus in einem ersten Arbeitsschritt additiv oder subtraktiv gewonnenen, stationären Grundklänge (Sinus- und Rechteckgemische, Impulsfolgen, farbiges Rauschen) mußte Höllers Vorsatz, Regelmäßiges und Statisches zu vermeiden, zur ausgiebigen Weiterverarbeitung des Basismaterials führen. Daß schließlich zahlreiche unterschiedliche klangverarbeitende Prozesse und eine Vielzahl der vorhandenen Geräte zur Klangverarbeitung, zu denen dann noch die "'aktivierte' Magnettontechnik"[20] mit ihren vielfältigen Möglichkeiten tritt, für die Realisation von Horizont herangezogen wurden, läßt sich aus einer in engem Zusammenhang mit dem Formplan stehenden Idee Höllers ableiten: Die Struktur des Werkes hatte der Komponist in ihren Grundzügen von vornherein fixiert. Sie besagte unter anderem, daß das Stück aus 30 Abschnitten bestimmter Länge und Abfolge bestehen sollte. Um diese "Erlebniszonen"[21] nun als musikalische Teile oder als Strukturelemente faßbar zu machen, sollten unterschiedliche technische Prozesse den Abschnitten jeweils ihren eigenen Charakter verleihen. Die "vorherrschenden technischen Prozesse" - sie wurden während der Realisationszeit im WDR-Studio zunächst experimentell ermittelt und ihre Ergebnisse systematisch (geordnet "nach gemeinsamen Charakteristiken"[22]) in einer "Materialliste"[23] katalogisiert - werden von Höller in der letzten Spalte der folgenden Tabelle stichpunktartig angedeutet.[24]

Abschnitt Dauer in sec Gestaltcharakter Klangmaterial (überwiegend) Vorherrschender technischer Prozeß (Geräte)
1 16 Gleitende Klänge, vom Horizont frequenzmod. Sinuston und ringmod. Sinusgemisch Frequenzmodulation, Ringmodulation
2 7 Kreisender Auftakt wie vorher + farb. Rauschen Rauschgenerator
3 31 Glissandi über mächtigem Klanggrund komplexe Klangstruktur (s. Partitur) Ringmod. und Verzerrungen durch Übersteuerung eines Mikrophonverstärkers
4 40 Flatterklänge farbiges Rauschen 4-Spur-Rückkopplung
5 0,8 Plötzliche Raumöffnung Hoch- und Tiefpaßfilter
6 10 Sich verdunkelnder Flatterklang Oktav-Bandpaßfilter
7 8,5 Ruhepunkt (Fermate)
8 104 Harmonische Klänge durchzittern den Raum komplexe Sinusgemische; 2 Rückblenden auf 3 Dauerkopierverfahren (s. Partitur)
9 6 Metallische Tonpunkte komplexe Sinusgemische kurze Bandstücke
10 4 Metallische und hölzerne Tonpunkte wie vorher + Impulse kurze Bandstücke + Impulsgenerator
11 0,5 Zwei hölzerne Tonpunkte Impulse Impulsgenerator
12 3,5 Rascher Rundlauf zerhacktes Rauschen komplexer Prozeß (s. Partitur)
13 73 Ruhig schwebende Raumklänge komplexe Sinusgemische Synchronisation für 7 gleichzeitig laufende Bandgeräte
14 5 Pulsierender Rhythmus Rechteckgemisch Bandschleife
15 25 Signale mit Echo komplexe Sinusgemische Reihenschaltung + extreme Verhallung
16 37 Punkt-Scharen Impulse Impulsgenerator
17 91 Vielfältige Ereignisse und Rücklauf Synthese des gesamten bisherigen Klangmaterials komplexe Bandmontage
18 2,4 Durchbrochener Übergang komplexes Rechteckgemisch aus 17 Filterung und Rückkopplung
19 1
20 1,4
21 0,7
22 1,2
23 1,7
24 53 Vibrierende Klangelemente im oberen Raum Klangmaterial aus 2, 3, 4, 8, 9, 12, 13; Rückblenden auf 13 treten in den Vordergrund Infraschall-Ringmodulation
25 2 Nahtloser Übergang zwischen zwei Klangflächen komplexes Sinusgemisch aus 13 Ausblende
26 3 Einblende
27 14 Ruhig in sich bewegtes Klangband 4-Kanal-Bandschleife
28 12 Marginalien am oberen Rand aus 1, 4, 8, 16 Terzfilter
29 64 Ostinati aus 1, 3, 12 bis 16 Bandschleifen
30 21 Statische Klangwand aus 13 sowie 2 Einzelfrequenzen harter Schnitt des 4-Spur-Bandes

(Ausschnitt der Tabelle (siehe Fußnote 24); die Spalten "Feldstruktur" und "Gegenwartsdichte" fehlen)

Allerdings weist Höller in dieser Spalte nicht auf alle technischen Prozesse hin, die den in der dritten Spalte umschriebenen "Gestaltcharakter" der einzelnen Abschnitte hervorrufen, sondern er deutet mit der Benennung einzelner Geräte, der Funktionen benutzter Instrumente oder der angewandten Tonbandtechniken zunächst lediglich auf die jeweils in den Abschnitten einsetzenden Klänge. Dies soll an den ersten Abschnitten des Stücks verdeutlicht werden:

Horizont beginnt mit der (fast) gleichzeitigen Einblendung eines frequenzmodulierten Sinustons auf Spur 2 und eines ring- (und frequenz-[25]) modulierten Sinusgemisches auf Spur 3 des Vierspurtonbands. Beide von den zwei vorderen Lautsprecherstationen abgestrahlten Klänge[26] sind verhallt (Nachhallzeit zu Beginn 5 Sekunden, am Ende des Abschnitts 2 Sekunden) und werden mittels eines manuell gesteuerten Transponiergenerators in ähnlicher Weise auf- und abwärts glissandiert (mit Tendenz nach oben). In der Tabelle gibt Höller als die dominierenden Prozesse "Frequenzmodulation, Ringmodulation"[27] an und verweist damit auf die beiden Anfangsklänge bzw. auf ihre innere Klangstruktur, deren auditiver Eindruck mit 'flimmernd', 'unkonkret', 'verschwommen' beschrieben werden könnte. In der Umschreibung des Gestaltcharakters dieses ersten Abschnitts als "gleitende Klänge, vom Horizont" berücksichtigt Höller dann allerdings auch die übergeordneten Klangverarbeitungsprozesse, die, aufgrund der Einblendvorgänge, der Verkürzung der Nachhallzeit und der Transpositionen, den Klängen den Charakter des 'sich langsam von Ferne annähernden' verleihen. Man möchte ergänzen: gleitende Klänge, vom Horizont kommend.

Diese beiden 'Horizont-Klänge' brechen nach 16 Sekunden nicht ab, sondern bleiben weiterhin hörbar. Mit dem Stichwort "Rauschgenerator" als dem vorherrschenden Prozeß des nun beginnenden zweiten Abschnitts weist Höller aber darauf hin, daß sich die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf die jetzt einsetzenden, über Lautsprecherstation IV abgestrahlten Klangphänomene richtet und dies in besonderem Maße auf die drei mit dem Rauschgenerator erzeugten. Die ebenfalls einsetzenden Sinusgemische weisen dieselbe Klangcharakteristik auf wie einer der zwei 'Horizont-Klänge' aus Abschnitt eins - in beiden Fällen handelt es sich um die Sinusgemische, die Höller noch in der Musikhochschule realisiert hatte; er hatte diese auf Tonband gespeicherten Erzeugnisse 1970 mit nach Hause genommen und konnte sie nun verwerten[28] - sie sind klanglich bereits bekannt und daher von untergeordneter Bedeutung für den Zuhörer. Die vorher noch nicht gehörten 'Rauschklänge' aber markieren mit ihrem Einsatz den Beginn des zweiten Abschnitts und dominieren ihn, da während dieses sieben Sekunden langen Formteils kein weiterer neuer Klang vorgestellt wird. Für den Gestaltcharakter zeichnen aber wiederum die übergeordneten klangverarbeitenden Prozesse verantwortlich. Der Eindruck des "kreisenden Auftakts" wird durch die mittels Anzeigenverstärker, Transponiergenerator und Allison-Filter erzeugten Glissandi hervorgerufen.

Noch deutlicher kennzeichnen die bei Sekunde 23 laut einsetzenden, nun ihrerseits zu den bereits bekannten Sinusgemischen hinzutretenden, durch "Übersteuerung eines Mikrofonverstärkers" verzerrten Sinustöne den Beginn des dritten Abschnitts. Verstärkt wird diese Markierung durch den plötzlichen Wegfall zweier der drei 'Rauschklänge' des zweiten Abschnitts und vor allem dadurch, daß die bis dato ausgesparte vierte Raumposition in die Komposition miteinbezogen wird - zwei der vier verzerrten Sinustöne werden über Lautsprecherstation I abgestrahlt. Die neben den Verzerrungen der Sinustöne ebenfalls als vorherrschender Prozeß angeführte Ringmodulation deutet auf das bereits seit Anfang des Stückes erklingende ringmodulierte Sinusgemisch, das innerhalb des dritten Abschnitts mehrmals unterbrochen wird und insgesamt viermal neu einsetzt und damit von neuem die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Die in der Umschreibung des Gestaltcharakters genannten Glissandi werden weder durch die Ringmodulation noch durch die "Verzerrungen durch Übersteuerung eines Mikrophonverstärkers" erzeugt, sondern abermals von übergeordneten Klangverarbeitungsprozessen, die in der Tabelle nicht aufgeführt sind.

Der Anfang von Horizont (Hüllkurvenverläufe, die ersten ca. 56 Sekunden):
Anfang von Horizont, vierkanalig

Deutlich wird, daß sich Höller informationstheoretische Prinzipien, mit denen er sich bereits 1966 theoretisch auseinandergesetzt hatte,[29] zunutze macht, um die ersten Abschnitte voneinander abzugrenzen. Neue Klänge und Raumpositionen werden exponiert und markieren bei ihrem Einsatz, kraft ihres noch hohen Informationsgehalts für den Zuhörer, den Beginn eines Formfeldes. Längere Zeit Erklingendes und daher Bekanntes verliert an Informationswert, wird redundant, und gewinnt erst durch einen Neueinsatz wieder an Prädomination.

Auch für den vierten Abschnitt weist Höller auf das Klangmaterial selbst hin, indem er als den vorherrschenden technischen Prozeß die "Vier-Spur-Rückkopplung" anführt und damit den grundlegenden Realisationsprozeß des dieses Formfeld dominierenden farbigen Rauschens anspricht. Wieder erhält das Material durch zahlreiche Neueinsätze informationelles Gewicht.

In den nun folgenden drei Feldern bleibt das Klangmaterial jedoch konstant (weiterhin farbiges Rauschen durch die Rückkopplungsschaltung eines vierspurigen Tonbandgeräts in Verbindung mit Filterungen) und wird auch nicht mehr durch Neueinsätze aufgewertet. Daher verlagert sich nun der Aspekt des "vorherrschenden technischen Prozesses" vom Material zur Verarbeitung, was Höller in der Tabelle dadurch kenntlich macht, daß er nun zum erstenmal die Klangverarbeitungsprozesse benennt, die direkt mit der Umschreibung der Gestaltcharaktere korrespondieren: Das im vierten Abschnitt zuletzt in mittlerer Frequenzlage schmalbandig gefilterte Rauschen wird durch Aufreißen eines "Hoch- und Tiefpaßfilters" im fünften Feld verarbeitet, wodurch der Eindruck einer "plötzlichen Raumöffnung" entsteht; dieser Klang wird durch sukzessives Schließen der Frequenzbänder eines "Oktav-Bandpaßfilters" im sechsten Abschnitt zu einem "sich verdunkelnden Flatterklang" verarbeitet; das Resultat passiert im siebten Teil das fast ganz geschlossene, unveränderte Oktavfilter, wodurch ein "Ruhepunkt" entsteht.

einfache Rückkopplungsschaltung Prinzip einer einfachen Rückkopplungsschaltung mit externem Generator:
Ein einzelner Impuls wird aufgenommen, mit einer zeitlichen Verzögerung wiedergegeben und über einen regelbaren Widerstand zurück zum Aufnahmekopf geleitet, danach abermals abgespielt usw. Stehen die Lautstärkeregler im Verhältnis 1:1, ergibt sich ein konstantes Dauerecho; hat Regler 2 einen höheren Widerstand als 1, klingt das Echo des Impulses ab, anders herum nimmt es zu und es kommt schließlich zur Übersteuerung.

 

Rückkopplungsschaltung eines vierspurigen Tonbandgeräts, wie sie in den Abschnitten 4 bis 7 von Horizont eingesetzt worden ist (in der Zeichnung ohne eine gleichzeitige oder anschließende Filterung). Ein externer Generator ist nicht erforderlich, wenn Rauschen erzeugt werden soll:
4Spur-Rückkopplungsschaltung

 

Faßt man die ersten drei Abschnitte von Horizont als Exposition eines Teils des insgesamt verwendeten Klangmaterials und der vier Raumpositionen auf, wobei die vorgestellten Klänge trotz ihrer unterschiedlichen Erzeugungsarten und ihrer Unterscheidbarkeit alle einen deutlichen rauschhaltigen Charakter aufweisen, so läßt sich der durch das konstant bleibende Material zusammengehaltene Komplex der Abschnitte vier bis sieben als eine Art Durchführung interpretieren. Das Rauschen wird technisch und musikalisch unter dem Aspekt der Farbigkeit verarbeitet und auch der Raumparameter wird weiterentwickelt, indem ab Feld 4 das gefilterte Rauschen auf alle vier Spuren des Magnetophons aufgenommen wurde, aber "diskontinuierlich innerhalb der 4 Kanäle ausgesteuert [wurde], so daß schnelle Bewegungen im Raum entstehen".[30] Die von Höller in der Tabelle beschriebene "plötzliche Raumöffnung" des fünften Abschnitts erklingt innerhalb des Frequenz- (und nicht des realen) Raumes aus den vier Lautsprechern gleichzeitig, und in den zwei folgenden Abschnitten vollzieht sich parallel zur Verdunklung bzw. Frequenzbeschneidung des 'Rauschklangs' eine sukzessive Reduktion der Raumdimension von zunächst allen vier Raumpositionen auf zuletzt nur noch die vierte Lautsprecherstation.

In den weiteren Abschnitten werden neue Klänge vorgestellt (Sinusgemische[31], Impulse, Impulsfolgen, Rechteckgemische) und auf teilweise sehr komplexe und innovative Art verarbeitet. Außerdem stellt Höller bereits im achten Feld eine ebenfalls auf Überlegungen der Informationstheorie fußende Technik zur strukturellen Formung des Werkes vor, die sich im Verlauf des Stückes häuft und im Feld 24 ihren Höhepunkt erfährt: Der Komponist greift auf schon benutztes Klangmaterial und teilweise auf ganze Bandpassagen vorhergehender Abschnitte zurück, um sie dann weiterzuverarbeiten, und macht sich so das Prinzip der Redundanz zunutze, indem er über dieses bekannte Material Rückbezüge, "Rückblenden" und damit formalen Zusammenhang herstellt.

Insgesamt ist Horizont durch eine starke Beweglichkeit aller musikalischen Parameter gekennzeichnet. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf den Einsatz halbautomatischer und nicht a priori festgelegter, sondern durch das Mithören kontrollierter Steuerungen der Geräte, beispielsweise der Hand-Bedienung von Lautstärkereglern und Filtern während des Aufzeichnens der Klänge oder der manuellen Einstellung der Sinus- und Rechteckgeneratoren während des Dauerkopierverfahrens, wodurch auch der Aspekt des Zufalls und der Improvisation in das Werk hineinspielt.[32] Das verwendete Klangmaterial wurde, bis auf die erwähnte Ausnahme der in der Musikhochschule hergestellten Sinusgemische, nicht formal konzipiert und anschließend montiert, sondern auf Basis der vorhandenen Apparaturen und einiger "mit dem 'inneren Ohr' vorgehörter Klangstrukturen"[33] experimentierend erzeugt und aufgrund ihres Klangeindrucks mit Hilfe des Geschmacks des Komponisten bewertet, gegebenenfalls ausgewählt und intensiv weiterverarbeitet.[34] Dies alles unter der deutlich hörbaren Prämisse, "allzu Regelmäßiges und gänzlich statische Klänge weitestgehend [zu] vermeiden".[35]

Um so auffälliger ist, daß Horizont mit solchen eigentlich zu vermeidenden statischen Klängen schließt. Zwar läßt sich für den Gesamtverlauf von Horizont eine gewissermaßen nach dramaturgischen Gesichtspunkten konzipierte Entwicklung feststellen - ereignisreichere, dynamische Abschnitte gehen in solche über, in denen Ereignisdichte und Beweglichkeit zugunsten ruhigerer Passagen abgebaut werden - wodurch eine Reduktion der Klangbewegungen im Schlußteil zu erwarten ist, doch endet die Komposition nicht langsamer, ruhiger, leiser, auslaufend, ausblendend, sondern mit einer durch "Ostinati" eingeleiteten, 21sekündigen, sich aufbauenden "Statischen Klangwand", die schlußendlich mit "hartem Schnitt des 4-Spur-Bandes" abgebrochen wird. Ein Grund hierfür läßt sich vielleicht in einer Tatsache finden, die zunächst nicht viel mit Horizont zu tun hat: In einer Auflistung der Hauptwerke Höllers im Programmheft der Donaueschinger Musiktage von 1972,[36] also im Jahr der Fertigstellung von Horizont, ist bereits das Stück Schwarze Halbinseln erwähnt, das de fakto erst zehn Jahre später realisiert worden ist. Dieses offenbar schon geplante, aber noch nicht komponierte Werk ist hier noch um den Untertitel choreographische Visionen für großes Orchester zur Erinnerung an Bernd Alois Zimmermann ergänzt. Offensichtlich also trug sich York Höller zu der Zeit der Realisation von Horizont mit dem Gedanken, ein Werk in memoriam seines hochverehrten Kompositionslehrers zu komponieren.[37] Und vielleicht hat er es auf eine subtile, auf eine indirekte und damit dem Charakter Zimmermanns entsprechende Art und Weise durch den Schlußteil von Horizont getan,[38] der in seinem Gestus des Abbrechens an das letzte Opus des Kompositionslehrers erinnert und durch die sich aufbauende Statik und den abrupten Bandschnitt dem Ende von Tratto sehr nahe kommt.

Sonagramme von Horizont und Stratto


[1] Horizont, Elektronische Musik (1971/72, rev. 1975), Partitur, Wiesbaden c. 1984, S. 3.
[2] Vgl. Elena Ungeheuer: In den Klang und in die Welt - Elektronisches Komponieren in Nordrhein-Westfalen, S. 49, in: Zeitklänge: Zur Neuen Musik in Nordrhein-Westfalen 1946-1996; Essays, Programme '96/'97, Biographien, Literatur, Tonträger, hrsg. v. Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen e. V., Köln 1996, S. 45-53.
[3] Mitteilung Hans Ulrich Humperts an den Verf. während einer Besichtigung des Studios der Musikhochschule im Dezember 1998.
[4] Nach Angaben Höllers hatten sich Stockhausen und Höller über die Komposition Topic für großes Orchester kennengelernt, die Höller zum Abschluß seines Schulmusikstudiums 1967 fertiggestellt hatte. Sie wurde am 1.10.1967 in der Kölner Musikhochschule uraufgeführt. Unter anderem stand sie in der Reihe Musik der Zeit des WDR am 11.9.1970 in Köln im Rahmen eines Sonderkonzertes aus Anlaß des Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongresses Bonn 1970 zusammen mit der Komposition MIXTUR (in der Neufassung für Kammerensemble von 1967) Stockhausens auf dem Programm.
[5] Auszugsweise abgedruckt in: Hans Ulrich Humpert, Elektronische Musik. Geschichte - Technik - Kompositionen, Mainz 1987, S. 134-136.
[6] Ebd., S. 134.
[7] Auskunft Höllers an den Verf. im November 1998. Vermutlich erschließt sich hierüber auch ein Teilsinn des ursprünglichen Untertitels Elektronische Musik in Form eines Essays über logarithmische Gefühle, der im Programmheft zur Uraufführung von Horizont am 6.6.1972 dem Titel noch beigefügt ist (Programmheft Musik der Zeit III. 7 Tage elektronische Musik. Live-Konzerte, Gespräche, Bandmusik, 5. bis 11. Juni 1972 (Köln, Rohbau des Römisch-Germanischen Museums, veranst. v. WDR); siehe Anhang).
[8] Vgl. H. U. Humpert, Elektronische Musik. Geschichte - Technik - Kompositionen, a. a. O., S. 136. Humpert listet hier eine auf der Proportion 5:6 basierende Zeit-Skala auf, ordnet die 30 Formteile von Horizont den Werten der Zeit-Skala zu und verweist außerdem auf drei bewußte Abweichungen von den ursprünglichen Längen (s. dortige Fußnoten 38-40). Zu beachten ist, daß die Längen der Formteile von Horizont, auf die sich Humpert bezieht, im ungefähren Verhältnis 8:9 zu ihren Ursprungswerten stehen, da Höller 1975 das gesamte Stück hochtransponiert hat, wodurch sich die Gesamtlänge von 12'05'' (diese Zeitangabe ist der Beschriftung des Originalbandkartons entnommen) auf ca. 10'40'' verkürzt hat und damit auch alle Abschnittslängen entsprechend kürzer geworden sind.
[9] Ebd., S. 134.
[10] Höller betont, daß es während der Realisation von Horizont bisweilen zu Änderungen am Kompositionsplan gekommen sei, siehe ebd., S. 135.
[11] Ebd.
[12] Auskunft Höllers an den Verf. im November 1998.
[13] Vgl. M. Morawska-Büngeler, Schwingende Elektronen. Eine Dokumentation über das Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln 1951 - 1986, Köln 1988, S. 112-113.
[14] Die ersten spannungssteuerbaren Klangerzeuger des WDR-Studios wurden kurze Zeit nach Fertigstellung von Horizont angeschafft. Hierbei handelt es sich um sog. Sweep-Generators bzw. Wobbel-Generatoren der Firma Philips. Auch sie waren eigentlich zu Meß- und Prüfzwecken konstruiert worden. Musikalisch genutzt wurden sie zu allererst von Henri Pousseur in seiner WDR-Auftragsarbeit Système des Paraboles von 1972.
[15] Horizont, Partitur, a. a. O., S. 3.
[16] Die Geräte sind zum größten Teil noch heute in einer Etage des WDR-Studios in der Annostraße ausgestellt und betriebsbereit. Die Angaben zu den klangverarbeitenden Instrumenten in der folgenden Auflistung basieren auf Erläuterungen Volker Müllers (Toningenieur des Studios) während einer Besichtigung dieser Geräte im Dezember 1998.
[17] Horizont, Partitur, a. a. O., S. 32.
[18] York Höller, Horizont (1971/72), in: Zeitklänge: Zur Neuen Musik in Nordrhein-Westfalen 1946-1996; Essays, Programme '96/'97, Biographien, Literatur, Tonträger, hrsg. v. Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen e. V., Köln 1996, S. 150.
[19] Einschränkend muß erwähnt werden, daß das Grundrauschen der Tonbänder, daß beispielsweise durch eine Rückkopplungsschaltung eines Tonbandgeräts verstärkt und damit zur weiteren Verarbeitung nutzbar gemacht wird, nicht erst mit Hilfe eines Rauschgenerators aufgezeichnet werden muß. Tonband und Magnetophon fungieren in diesem Fall eigenständig als 'elektromagnetischer Rauschgenerator'.
[20] H. U. Humpert, Elektronische Musik, a. a. O., S. 134.
[21] Y. Höller, Horizont (1971/72), a. a. O., S. 150.
[22] H. U. Humpert, Elektronische Musik, a. a. O., S. 135.
[23] Ebd.
[24] Diese Tabelle hat Höller mehrere Jahre nach der Realisation von Horizont für Hans Ulrich Humperts Buch Elektronische Musik, a. a. O., erstellt. Sie ist dort auf den Seiten 142 und 143 abgedruckt.
[25] Vgl. Horizont, Partitur, a. a. O., S. 4, Beschreibung zu (2) b.
[26] Lautsprecheraufstellung und Spurzuweisung sind in der Partitur nicht beschrieben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es sich um die für das Studio des WDR spätestens seit 1963 (Stockhausens Übernahme der Studioleitung) übliche Aufstellung der vier Lautsprecher (oder Lautsprechergruppen) in einem Quadrat oder Rechteck um die Zuhörer handeln, wobei Spur 1 der Station I hinten links, Spur 2 der Station II vorne links, Spur 3 der Station III vorne rechts, Spur 4 der Station IV hinten rechts zugeordnet werden (bereits bei dem ersten vierkanaligen Stück GESANG DER JÜNGLINGE hatte Stockhausen diese Art der Spurzuweisung gewählt, während Herbert Eimert, erster Leiter des WDR-Studios, die Spur-Lautsprecher-Zuordnung in seinen vierkanaligen Werken in einer Weise praktizierte, wie er sie später auch im Elektronischen Studio der Musikhochschule einführte; siehe hierzu Kapitel 2, Beschreibung zur Darstellung der Prinzipschaltung von Klanggitter.
[27] Siehe oben, Tabelle auf S. 13f. Alle folgenden, nicht ausgewiesenen Zitate dieses Kapitels sind dieser Tabelle entnommen.
[28] Daß Höller in seinem Realisationsbericht (siehe oben, Zitat auf S. 7-8) einführend erwähnt, gerade die ersten Abschnitte hätten ihm bereits vor der Realisation klanglich vorgeschwebt, und daß die oben beschriebene Initialidee für den Anfang von Horizont bereits vor der Realisation Gestalt angenommen hatte, hängt vielleicht unmittelbar mit der Tatsache zusammen, daß Höller das Klangmaterial hierzu teilweise schon vorliegen hatte.
[29] Für seine Examensarbeit Kritische Untersuchung der seriellen Kompositionstechnik hatte sich Höller der Informationstheorie als einer Argumentationsbasis bedient (siehe Kapitel 3.1). Die Arbeit ist veröffentlicht als Fortschritt oder Sackgasse? Kritische Betrachtungen zum frühen Serialismus, Saarbrücken 1994.
[30] Horizont, Partitur, a. a. O., S. 9.
[31] Im Gegensatz zu den schon erwähnten, nach seriellem Verfahren hergestellten Sinusgemischen sind diese als Zufallsprodukt mit Hilfe des Dauerkopierverfahrens erstellt worden; siehe Partitur, S. 10.
[32] Siehe Partitur, beispielsweise S. 28, Erklärung zu Klang (93), oder S. 34, Erklärung zu Klang (130).
[33] York Höller in dem Arbeitsbericht an den WDR, in: Hans Ulrich Humpert, Elektronische Musik, a. a. O., S. 135.
[34] Höller nennt diese Arbeitsweise, wieder in Anlehnung an die Informationstheorie, die "Rückkopplung (des Regelkreises)", ebd.
[35] Ebd.
[36] Programmheftbeitrag York Höllers zur Uraufführung von Décollage am 21.10.1972 (Stadthalle), in: Donaueschinger Musiktage 1972, Freitag, 20. Oktober bis Sonntag, 22. Oktober 1972 (Sternensaal, Stadthalle, veranst. v. der Gesellschaft der Musikfreunde Donaueschingen, Ernst Hermann, in Zusammenarbeit mit dem Südwestfunk Baden-Baden).
[37] Das 1974 fertiggestellte Werk Chroma widmete Höller dann seinem Kompositionslehrer; siehe Chroma für großes Orchester (1972-74), Partitur, Wiesbaden c. 1980, Titelseite.
[38] Als einen "Grundzug im Wesen Zimmermanns" nennt Höller den "Willen zur Distanz" und bewertet es als symptomatisch, daß die erste Begegnung mit Zimmermann nicht persönlicher, also direkter, sondern musikalischer Natur gewesen sei ("durch die Uraufführung der Soldaten ... 1965"); York Höller, Mönch und Dionysos. Erinnerungen an Bernd Alois Zimmermann, S. 6, in: NZfM CIL, 1988, H. 1, S. 4-7.