Sphärenmusik (1882)
Sphärenmusik. Der großartige und kühne Gedanke, dass in Folge ihrer schnellen Bewegung auch die Himmelskörper (die Sphären) je nach ihrer Größe, ihren Abständen voneinander und nach der Geschwindigkeit ihrer Bewegung verschiedene Töne erzeugen, in gewissen Intervallen intonieren und somit nach ewigen Naturgesetzen himmlische Harmonie, Sphärenmusik hervorbringen, hat seit drittehalb Jahrtausend schon manchen denkenden Kopf von Pythagoras bis auf Newton herab ernstlich beschäftigt, hat Philosophen, Theosophen und Dichter hoch begeistert, aber auch zur Schwärmerei und Phantastik verlockt. Pythagoras, dem die erste Idee von der Harmonie der Sphären gehört, sah die Welt als eine große Lyra an, deren sieben enharmonisch gestimmte Saiten die sieben Planetensphären (jetzt freilich hundert und etliche mehr) bildeten und über denen als achte, gewissermaßen als große Oktave, der Fixsternhimmel stände und sich mit harmonischem Schwünge drehe. Seine Schüler suchten durch Zahlen die Tonverhältnisse der tönenden Weltkörper näher zu bestimmen und trugen kein Bedenken, durch willkürliche Annahmen fehlende Himmelskörper zu ergänzen. Die späteren Philosophen, wie Plato, hielten für unzweifelhaft, dass die Sterne und die Bewegungen des Firmaments ohne Harmonie weder geschaffen sein, noch bestehen könnten, und bis in unsere Zeit [19. Jh.] hat diese Anschauung die Geister beschäftigt. [Reissmann Handlexikon 1882, 508f]