Polyphonie (1882)
Polyphonie heißt im Grunde jede Vielstimmigkeit, und in alter Zeit wurde das Wort nie anders gebraucht, als im Gegensatz zur Homophonie, zur Einstimmigkeit. Als in der Entwicklung des Kunstgesanges in der christlichen Kirche allmählich der einstimmige Gesang zunächst fast ganz zurückgedrängt und der mehrstimmige in großer Mannigfaltigkeit entwickelt wurde, konnte man, ohne inkonsequent zu erscheinen, beide Begriffe auf diesen anwenden: man nannte die akkordische Führung der Stimmen, durch welche diese gewissermaßen zu einer Stimme vereinigt werden, homophon, und die Schreibart, bei welcher die Selbständigkeit jeder einzelnen Stimme möglichst gewahrt wird, polyphon. Es ist einleuchtend, dass die polyphone die höhere Form der Darstellung der Harmonie ist. [Reissmann Handlexikon 1882, 393]