Nationalmusik (1882)
Nationalmusik heißt die dem einzelnen Volke eigene Musik, welche direkt von den Eigentümlichkeiten desselben, seinem Geschmack, seinem Temperament und seinen Sitten so beeinflusst wird, dass sie eine abweichende Richtung oder doch einen eigentümlichen Charakter gewinnt.
Es ist klar, dass dies hauptsächlich bei der Volksmusik der Fall sein muss, weil die Kunstmusik sich nach bestimmten, ewigen Gesetzen entwickelt, die an keine nationale Eigentümlichkeit gebunden sind, auf keine derartige Besonderheit Rücksicht nehmen, wenn auch die Anwendung dieser Gesetze durch das Eindringen der Volksmusik vielfach beeinflusst wird. Vorwiegend ist diese nationale Eigentümlichkeit in den aus dem Volke hervorgehenden Volksliedern und Volkstänzen erkennbar. Insofern diese aber Einfluss auf die Kunstentwickelung gewinnen, wird auch dieser ein nationales Gepräge aufgenötigt. Diesem Einfluss ist es zuzuschreiben, dass trotz des gemeinsamen Ursprungs und der Jahrhunderte lang gemeinsamen Musikübung beispielsweise sich dennoch die französische Oper von der italienischen chied und dass die deutsche Musik alle Formen derselben in gleichmäßig höchster Vollkommenheit entwickelte (über Nationalmelodien siehe den Artikel "Volkslied"; über Nationaltänze und Nationalinstrumente den Artikel "Tanz"). [Reissmann Handlexikon 1882, 306]