Ballade (1865)

Ballade, Ballata, englisch: Ballad. Das Wort stammt ursprünglich aus dem Italienischen, von ballo, Tanz. Die alte ballata, in Italien schon im 12. Jahrhundert gebräuchlich, war nichts als ein kurzes, rein lyrisches Lied, meist erotischen Inhalts, welches zum Tanze gesungen wurde. Im deutschen Volksgesang aber, und zwar bereits im 15. Jahrhundert, gestaltete sich die Ballade, ziemlich gleichbedeutend mit der Romanze und der (auf religiösem Gebiete sich bewegenden) Legende, zu einer Mittelgattung zwischen lyrischer und epischer Dichtung: Ein wirklich geschehenes oder als geschehen vorgestelltes und zwar meist auf Liebe bezügliches Ereignis wird in lyrische Form gekleidet und als Lied gesungen. Der Melodie nach war diese Volksballade eine Mischung von mehr rezitierendem Tone für den eigentlich erzählenden Teil und melodisch freiem Ausdruck für den sehr häufig sich findenden Refrain, in welchem der eigentliche lyrische Grundgedanke betont wird. Im Volksgesang der Engländer und Schotten bezeichnete das Wort ballad ursprünglich ein an die Heldensage anknüpfendes Lied, später ein Lied, dem überhaupt irgendein Ereignis unterlag.

Ohne einen Aufschwung zu nehmen, sondern im Gegenteil mehr dem gewöhnlichen Liede sich nähernd, verblieb die deutsche Ballade ausschließlich dem Volksgesang, bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts [des 18. Jh.] die deutschen Dichter nach Bürgers Vorgange künstlerische Pflege und Durchbildung ihr angedeihen ließen. Die Komponisten folgten alsbald, und es entstanden nacheinander zwei musikalische Formen der Ballade. Die erste knüpft an die Volksballade an, hat für alle Strophen des Gedichtes nur eine Melodie und auch stets dieselbe Begleitung, welche auf alle Strophen passen müssen. Der Komponist hat also nicht weiter in Einzelheiten einzugehen, als der richtige Ausdruck der Gesamtstimmung fordert und zulässt, er muss den ganzen, der epischen Schilderung zugrunde liegenden Stimmungsgehalt zu einem charaktervollen Tonbild ausgestalten, ohne auf Charakteristik der einzelnen Spezialitäten sich einzulassen.

In neuester Zeit [um 1865] aber, seit André, Zumsteeg u. a., entstand die zweite, nämlich die durchkomponierte Form der Ballade, in welcher der Charakteristik auch der Einzelheiten durch Melodie und Begleitung eine weitere Bahn eröffnet worden ist. Es kommt darauf an, die Ballade so zu halten, dass die objektive Wahrheit des geschilderten Ereignisses unverletzt bleibt, nichtsdestoweniger die Schilderung aber keine nüchterne Beschreibung der Hergänge ist, sondern, durch das Gefühl des Darstellenden hindurchgehend, zugleich seine lyrische Mitempfindung an den Ereignissen bekundet. Ein dramatisierendes Element ist der Ballade häufig beigemischt, insofern Personen des Ereignisses selbstredend in der Erzählung auftreten. Und ebenso häufig mischen sich rezitierende Perioden in die fließende Melodie. Aber dem ungeachtet ist die Ballade episch-lyrisch, nicht dramatisch. Denn die Personen sind nur Personen in der Erzählung und nicht durch verschiedene Sänger oder Darsteller gesondert, man kann also nur von einem dramatisierenden Ausdruck, als schärfere Charakteristik auch des Einzelnen, auf episch-lyrischem Grunde sprechen. Demgemäß ergeht sich auch die Begleitung oft in Tonmalerei, gegen die nichts einzuwenden, wenn sie die Situation verdeutlichen hilft und zur Eindringlichkeit der Schilderung beiträgt, also in innerer Beziehung zur Sache steht. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 89f]