Atonalität (1929)
Atonalität, Satzstil neuer Musik, der die Rücksicht auf irgendeine harmonisch fundierte Leiter oder Tonika negiert; wenn er auch unter dem gegenwärtig gebräuchlichen System natürlich keine andere Skala verwenden kann als die zwölfstufige temperierte. Ihren ersten entschiedenen Ausdruck hat diese Zersetzung oder Negierung der Tonalität in Schönbergs drei Klavierstücken op. 11 gefunden. Schönberg behandelt das Problem der Atonalität auch theoretisch in seiner Harmonielehre, Wien 1911, Un.-Ed., 3. Aufl. 1922; er ist zur Atonalität freilich mehr durch freien Kontrapunkt, oft durch Polytonalität, gelangt. Die konsequente Atonalität, wie sie z. B. Josef M. Hauer (s. d.) und J. Golyscheff (s. d.) angestrebt und auch erreicht haben, arbeitet mit vollkommener Selbständigkeit und Beziehungslosigkeit der 12 Halbtöne des temperierten Systems - die menschliche Stimme oder die Streichinstrumente sind als Organe der atonalen Musik eigentlich nicht brauchbar. Die atonale "Melodie" ist also grundsätzlich ein rein mechanisches Produkt - die Zahl der Kombinationen beträgt 479 001 600 - und stellt eine Contradictio in adjecto, eine Absurdität dar, da es dem auffassenden Geist unmöglich ist, keine Beziehung zwischen den einzelnen Tönen herzustellen. Vgl. Jos. M. Hauer, Deutung des Melos (Wien 1923); Herbert Eimert, Atonale Musiklehre (1924); vgl. auch Anton Bauer. [Einstein/Riemann Musiklexikon 1929, 72]