Ägypten (1882)
Ägypten, das Land einer alten, weit über die altgriechische Kulturperiode zurückreichenden Kultur, scheint auch auf dem Gebiet der musikalischen Kunst schon weit vorgeschritten zu sein, als Europa noch im Zustand völliger Barbarei war. Zwar ist weder irgendein Überrest ägyptischer Musik noch ein theoretischer Traktat auf us gekommen, wohl aber weisen die ältesten Felsengräber Abbildungen musikalischer Instrumente auf, die aufs höchste überraschen müssen. Wir finden da neben Instrumenten, die der griechischen Kithara ähnlich und in ägyptischer Weise verziert sind, harfenartige Instrumente von primitivster bis zu höchst kunstvoller Konstruktion und geschmackvoller Arbeit. Diese Harfen sind sehr hoch (über Mannshöhe) und haben eine große Anzahl Saiten. Harfen solcher Konstruktion sind aber im Altertum, soviel bekannt, bei keinem anderen Volk als den Israeliten im Gebrauch gewesen, welche sie höchst wahrscheinlich in Ägypten kennen lernten. Fast noch frappanter ist das Vorkommen lautenartiger Instrumente auf diesen Abbildungen, Instrumente mit langen Hälsen (Griffbrett) und rundem oder geschweiftem Schallkörper mit oder ohne Schalllöcher. Solche Instrumente, bei denen Töne verschiedener Höhe durch Verkürzung der Saiten erzielt wurden, sind den Griechen durchaus unbekannt geblieben und tauchen erst bei den Persern resp. Arabern nach der Eroberung Persiens auf (7. Jahrhundert). Der altägyptische Name der Harfe ist Tebuni, der der Laute Nabla (vgl. Nablum). Die Blasinstrumente der Ägypter waren hauptsächlich gerade Flöten (Mam oder Mem), auch Doppelflöten, gerade Trompeten, außerdem hatten sie zahlreiche Schlag- und Klapperinstrumente. Das vielgenannte Sistrum war kein Musikinstrument, sondern wurde beim Kultus angewandt, um die Aufmerksamkeit auf die heilige Handlung zu lenken. Vgl. Kiesewetter, Die Musik der neuern Griechen ..., S. 41ff. (1838); Ambros, Geschichte der Musik, Bd. 1, S. 137ff. (1862). [Riemann Musik-Lexikon 1882, 12f]