Passion, Passio (1882)
Passion, Passio, die oratorische Darstellung der Leidens- und Sterbensgeschichte des Heilands nach den Worten der Evangelisten. Sie wurde schon in den früheren Jahrhunderten in der christlichen Kirche wahrend der Karwoche ausgeführt, in der einfachsten, natürlichsten Weise. Die Reden Christi und der übrigen Personen wurden von einzelnen Priestern im Tone des Choraliterlesens rezitiert, ebenso wie die Erzählung des Evangelisten, und der Volkshaufe war durch einen Chor vertreten. Mit der wachsenden Ausbildung der Mehrstimmigkeit wurde dann auch die Ausführung der ganzen Passion dem Chor oder auch zwei Wechselchören übertragen, die auf zwei verschiedenen Emporen aufgestellt waren.
So wurde die Passion noch in unserem Jahrhundert [19. Jh.] in verschiedenen, selbst protestantischen Stiftskirchen ausgeführt. Die hervorragendsten Meister setzten die ganze Passion für mehrstimmigen Chor nach dem (lateinischen) Texte der Bibel. Auch für die Passion wurde natürlich die seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts mit Eifer gepflegte Monodie hoch bedeutsam; erst indem die einzeln heraustretenden, handelnden und leidenden Personen sich in Rezitativen, Arien und den entsprechenden Ensembleformen, wie im Oratorium, zu bestimmten Charakteren entwickelten, wird auch die Passion zu einer wirklich dramatischen Form. Dabei gewinnt sie echt kirchliche Bedeutung dadurch, dass die lauschende Gemeinde mit in die Darstellung hineingezogen wird. Diese lässt die Ereignisse nicht an dem inneren Auge vorübergehen, ohne durch passende Gemeindelieder von der Stimmung Kunde zu geben, in welche die Hörer versetzt werden. Händel, Mattheson, Keiser, Telemann pflegten diese Form, aber erst in Joh. 8eb. Bach sollte sie zur Vollendung gelangen durch seine Passionen nach dem Evangelium Johannes und mehr noch durch die nach dem Evangelium Matthäus. [Reissmann Handlexikon 1882, 368]