Musiklexikon: Was bedeutet Naiv?

Naiv (1807)

Naiv. "Das Naive", sagt ein Kunstphilosoph (Eberhard in seinem Handbuche der Aesthetik), "ist das Natürliche in dem Ausdrucke der Gedanken und Empfindungen, und zwar der höchste Grad desselben. Diesen höchsten Grad des Natürlichen im Ausdrucke des Innern hat das Reden und Handeln zuvörderst in der Zeit, die vor aller Bildung vorhergeht, wo der Mensch noch ganz rein so handelt, wie er geboren ist. Das Naive ist also dem Überlegten entgegengesetzt; das Natürliche nur dem Gekünstelten, Gezwungenen und Unnatürlichen. Das Überlegte ist nicht unnatürlich; denn die Überlegung gehört zu der vernünftigen Natur des Menschen. Es ist aber nicht naiv; denn der Mensch handelt nicht immer nach Überlegung, und insonderheit nicht in der Kindheit seines Verstandes und wenn er in Leidenschaft ist. - Das Naive muss aber auch zugleich der Ausdruck einer schönen Empfindung oder Gesinnung sein, sonst ist das Unüberlegte nicht naiv, sondern tölpisch und albern."

"Die naive Musik", heißt es irgendwo (in der Berlinischen musikal. Zeitung vom Jahre 1805), "drückt in der größten Einfalt und Ruhe die sanften Gefühle des mit sich selbst harmonierenden Gemüts, des von Unruhe der heftigen Affekten und Leidenschaften freien, in sich selbst zufriedenen Herzens aus. Leicht fließend ist ihre Melodie, kunstlos, einfach und natürlich in den Akkorden und Wendungen ihrer Harmonie; ihre Bewegung gleichmäßig und mild; ihre Modulation ohne kühne Sprünge und auffallende Abwechslung. Die Nuancen ihres Ausdrucks sind sanft, und er ist frei von starken Kontrasten." [Koch Handwörterbuch Musik 1807, 240f]