Contrapunkt (1882)

Contrapunkt [Kontrapunkt] (lateinisch: Contrapunctus, italienisch: Contrappunto, französisch: Contrepoint) bezeichnete ursprünglich jede mehrstimmige Behandlung eines Cantus firmus, daher der Name. Man setzte hierbei anfangs Note gegen Note (punctum contra punctum). Mit der wachsenden Selbständigkeit, welche dann die begleitenden Stimmen zu gewinnen suchten, entwickelte sich jene künstlichere Weise der Mehrstimmigkeit, bei welcher die begleitenden Stimmen zum Cantus firmus mit möglichst selbständigen, abweichend geführten Melodien hinzutraten, und diese bezeichnete man seitdem mit Kontrapunkt.

Eine Melodie kontrapunktieren heißt demnach nicht nur sie harmonisieren, sondern mit möglichst selbständig geführten begleitenden Stimmen versehen. Das geschieht in zweifacher Weise; im einfachen Kontrapunkt, bei welchem die Stimmen nur in der Ordnung auszuführen sind, in der sie aufgeschrieben wurden; oder im doppelten, bei welchem eine oder die andere oder sämtliche Stimmen versetzt werden können. Je nach den Intervallen, in welchen diese Versetzung einzelner Stimmen geschieht, unterscheidet man den Kontrapunkt in der Oktave, der Sekunde, Terz, Quarte usw.

Andere besondere Bezeichnungen beziehen sich meist auf die Art der Melodiebildung, wie: Contrapunctus aequalis = der gleiche, Contrapunctus inaequalis = der ungleiche Kontrapunkt; Contrapunctus compositus = in gemischter Bewegung; Contrapunctus diminutus oder floridus = mit Noten von geringerer Zeitdauer; Contrappunto alla diritta = stufenweise auf- und abwärts gehend; Contrappunto di salto = sprungweise; C. in salterello = hüpfend; C. in tempo ternario = in verschiedenen Taktarten; C. sincopato = mit punktierten Noten; C. alla zoppa = mit Pausen und nachschlagenden Noten; C. sopra il sogetto = über dem Cantus firmus; C. sotto il sogetto = unter dem Cantus firmus; C. ex tempore = aus dem Stehgreif; C. sciolto = ungebunden. [Reissmann Handlexikon 1882, 92]