Leoninus, Magister (1929)
Leoninus, Magister, Kapellmeister an B. M. Virginis (vor Erbauung von Notre Dame) zu Paris im 12. Jahrhundert (vor Perotinus), einer der ältesten Meister der Pariser Schule. Leoninus wendet, soviel wir wissen, die eine der mehrstimmigen Setzweisen der St. Martialschule auf die Bearbeitung liturgischer Choralmelodien (besonders solcher responsorialer Art) an: die Töne eines Alleluia, Graduale oder Matutinresponsoriums werden in der Grundstimme gedehnt. Darüber bewegt sich die freikomponierte Oberstimme in einem belebten Rhythmus, der - soviel wir sehen können - ternäre Elemente im Sinne des Modalsystems (siehe Modus), aber auch freiere Züge aufweist (die letzteren bedingen jedenfalls Abwesenheit des Zwangs zur Aneinanderreihung 2- und 4-taktiger Gruppen; wieweit sie sich auch auf das Innere des 3-gliedrigen "Takts" erstrecken, ist unklar). Die Oberstimme steht durchaus im Vordergrund. Die Grundstimme hat den Charakter einer Aufeinanderfolge von Stütztönen, wenn auch der mit den Choralmelodien vertraute Hörer der damaligen Zeit sie eher als der heutige im Zusammenhang erfasst haben wird.
Leoninus schuf nach Anonymus IV. (im 1. Bd. von Coussemakers Scriptores S. 354) einen ganzen Zyklus solcher Choralbearbeitungen, geordnet nach dem Kirchenjahr - der Magnus liber organi. Vgl. Fr. Ludwig in der Riemann-Festschrift (1909) und in Adlers Hb. d. MG. (82f); J. Handschin in Schw. ]b.f. Mw. II (1927) und ZfMW. X, S. 15ff. [Einstein/Riemann Musiklexikon 1929, 1026]