Leitmotiv (1882)
Leitmotiv nennt man in neueren Opern, Oratorien, Programmsymphonien etc. (besonders bei Wagner, welcher dem Leitmotiv erst die bedeutende Rolle zuwies, die es heute spielt) ein öfters wiederkehrendes Motiv von rhythmischer und melodischer, auch wohl harmonischer Prägnanz, welches durch die Situation, bei der es zuerst auftrat, oder durch die Worte, zu denen es zuerst gebracht wurde, eine eigenartige Bedeutung erhält und überall, wo es wieder auftritt, die Erinnerung an jene Situation wachruft.
Ganz fremd war die Idee des Leitmotivs auch unseren Klassikern nicht, doch erscheint es bei ihnen zumeist nur in der Gestalt einer ungefähren Charakteristik der verschiedenen Personen (vergleiche die Leporello-Terzen im "Don Juan", die Kaspar-Bassfiguren im "Freischütz" etc.); mit voller Bedeutsamkeit tritt es zuerst im "Fliegenden Holländer" und "Lohengrin" auf. In seinen späteren Opern hat Wagner den Gebrauch der Leitmotive außerordentlich gesteigert und eine faktische thematische Einheit der ganzen Oper durchgeführt. Doch ist es nicht ganz leicht, denselben überall zu folgen, weil sie in zu großer Zahl auftreten, so dass H. v. Wolzogens "Führer durch den Ring des Nibelungen" in der Tat für nicht gut vorbereitete oder minder begabte Hörer ein nicht ganz unnötiges Hilfsmittel ist. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 516]