Concertmeister (1872)
Concertmeister [heutige Schreibweise: Konzertmeister] heißt in größeren Orchestern der Anführer oder Vorspieler der ersten Violinen, der nach dem Musikdirektor oder Kapellmeister die höchste Stellung einnimmt und die wichtigste Persönlichkeit des Orchesters ist, da er die Intentionen des Dirigenten den übrigen Instrumentalisten vermitteln muss und bei der Leitung derselben fast ebenso beteiligt ist, wie jener selbst, indem er alles, was Auffassung, Zeitmaß, Schattierung usw. betrifft, genau mit zu überwachen hat. Als Anführer der Violinen, der Hauptstimmen im Ensemble, muss er diese durch sein eigenes energisches Spiel zu beleben und zusammenzuhalten verstehen und durch sie den übrigen Gattungen des Orchesters den Impuls, die feste Stütze gewähren.
In großen, mit einem Gesangchor verbundenen Kapellen ist er vorzugsweise Anführer der Instrumentalmusik, wie denn in früherer Zeit auch der Dirigent der Instrumentalwerke den Titel Konzertmeister führte, während der Kapellmeister hauptsächlich bei der Kirche, dem Theater und anderen aus Gesang allein bestehenden oder mit Gesang verbundenen Aufführungen amtlich tätig war.
Aus allem diesem erhellt, dass der Konzertmeister nicht bloß ein ausgezeichneter Ripien- oder Orchesterspieler, sondern überhaupt ein tüchtiger Musiker und richtiger Kenner und Beurteiler alles dessen sein muss, was zur guten Wirkung eines Instrumentalsatzes gehört. Nicht unumgänglich notwendig ist es, dass er ein bedeutender Solo- oder Konzertspieler ist, im Gegenteil sind gerade die wenigsten Virtuosen im Stande, den höheren Pflichten eines Anführers Genüge zu leisten. Gewöhnlich wird auch bei einem Konzertmeister vorausgesetzt, dass er in Abwesenheit des Musikdirektors oder Kapellmeisters dessen Funktionen zu übernehmen befähigt sei, ja bei manchen Orchestern, namentlich kleineren, ist der Konzertmeister geradezu zugleich Musikdirektor, studiert die Musikstücke ein und dirigiert sie bei der Aufführung von seinem Pulte aus. Sonst pflegt der Konzertmeister als selbstständiger Dirigent an Stelle des Kapellmeisters nur in den vom Orchester begleiteten Konzertvorträgen der Instrumentalvirtuosen zu fungieren. Hier drängt sich freilich mitunter die Wahrnehmung auf, dass Konzertmeister, die mit der Violine in der Hand, das Orchester bis in die kleinsten Bewegungen hinein durchaus in der Gewalt haben, unzulänglich sind, sobald sie als selbstständige Dirigenten auftreten. Es gehört zu diesem Amte also eine ganz eigene, keineswegs gering anzuschlagende Art von Befähigung.
In Hofkapellen und sehr großen Orchestern erteilt man den Titel Konzertmeister auch den ersten Spielern anderer Instrumente, ebenso ordnet man dem eigentlichen (ersten) auch noch einen zweiten Konzertmeister bei, endlich werden mitunter fremde, im Orchester gar nicht beschäftigte Virtuosen zu Konzertmeistern ernannt, aber selbstverständlich sind in solchen Fällen mit diesem Titel keine amtlichen Verpflichtungen oben beschriebener Art verknüpft, und derselbe ist lediglich als Auszeichnung zu betrachten, wie man sie hervorragenden Instrumentalisten zu Teil werden lässt. [Mendel Musikalisches Lexikon 1872, 538f]