Kastration (1882)
Kastration, die in Italien durch Jahrhunderte geübte Verstümmelung der Knaben zur Verhütung der mit Eintritt der Pubertät stattfindenden Mutation (siehe Mutierung), d. h. zur Konservierung der Knabenstimme, deren Klang bekanntlich den der Frauenstimme an Wohllaut übertrifft.
Die Stimme des Kastraten vereinigte mit dem Timbre der Knabenstimme die entwickelte Brust und Lunge des Mannes, so dass derselbe endlos scheinende Passagen ausführen und das messa di voce erstaunlich ausdehnen konnte. Die Blütezeit des Kastratentums waren das 17. und halbe 18. Jahrhundert, doch haben die letzten Exemplare bis über die Hälfte des 19. Jahrhunderts hinaus existiert. Der Ursprung der Kastration für den genannten Zweck ist in zufälligen Verstümmelungen durch Unglücksfälle zu suchen. Noch die berühmtesten Kastraten des angehenden 17. Jahrhunderts wussten immer eine Geschichte zu erzählen, wie sie zur Kastration gekommen seien, es wollte keiner mit Absicht kastriert worden sein. Angesichts der immensen Erfolge einzelner Kastraten wurde die Kastration, wie es scheint, zu Ende des 16. Jahrhunderts Sache einer verwerflichen Spekulation, und es wurden Knaben in großer Anzahl entmannt, die sich niemals zu nennenswerten Sängern entwickelt haben. Dass die Kirche die Kastration gebilligt habe, ist nicht erwiesen. Wohl aber hat sie dieselbe geduldet, und zu Anfang unseres Jahrhunderts [19. Jh.] wurden sogar Kastraten in die päpstliche Kapelle aufgenommen. Besonders berühmte Kastraten waren: Farinelli, Senesino, Cusanino, Ferri, Momoletto, Gizziello, Bernacchi, Cassarelli, Crescentini, Pacchierotti, Manzuoli, Marchesi, Salimbeni, Velluti. [Riemann Musik-Lexikon 1882, 440f]