Falset, Fistel (1865)

Falset [heutige Schreibung: Falsett], Fistel, ein Terminus, mit welchem - gegenwärtig nur in Bezug auf die menschliche Stimme, früher auch auf Instrumente - das über den gewöhnlichen und natürlichen Ambitus derselben noch hinausgehende Tonregister bezeichnet wird.

A) Die menschliche Stimme teilt sich in zwei durch Erzeugungsart und Klangfarbe voneinander wesentlich abweichende Haupttonregister, die Bruststimme und das Falsett (Kopfstimme, siehe dort). Bei Entstehung der Bruststimme ist die Stimmritze enger, die Stimmbänder sind straffer gespannt und werden, durch stärkeren Druck dichter komprimierter Luft, bei der klangerzeugenden Ausatmung ihrer ganzen Breite nach in Schwingungen gesetzt. Der ganze Stimmapparat wird zu kräftigen Oszillationen und durch diese der Brustkasten zu einer sonoren Resonanz veranlasst. Es entsteht jener gesunde und markige Klang, den man eben, von der Mitbeteiligung der Brustwände bei seiner Verstärkung, Bruststimme nennt. Beim Falsett hingegen ist die Stimmritze weiter geöffnet, die Stimmbänder sind schlaffer und derart gespannt, dass nur ihre inneren, die Stimmritze unmittelbar begrenzenden Ränder (Glottiszonen) schwingen. Der Luftstrom ist sanfter und kann überdies, da die Stimmritze weiter geöffnet ist und er sich mehr ausdehnt und zerstreut, die Stimmbänder nicht in so kräftige Schwingungen setzten als bei der Bruststimme.

Der Umfang des Falsettregisters ist dem der Bruststimme ungefähr gleich. Es folgt der Ambitus einer Bass- und einer Tenorstimme, die obere Buchstabenreihe zeigt bei beiden das Brustregister, die untere das Falsettregister an:

Falsett (Dommer 1865)

Brust- und Falsettregister

Beide Doppelreihen um eine Oktave höher versetzt, geben eine annähernde Idee von dem Verhältnis beider Register in der Sopran- und Altstimme. Man sieht, dass eine ziemlich umfängliche Anzahl in beiden Reihen sowohl mittels des Brust- als auch mittels des Falsettregisters zugleich erzeugt werden können. Die unterhalb dieser auf doppelte Weise hervorzubringenden Tonreihe liegenden Töne sind nur vermöge der Bruststimme, die oberhalb derselben sich befindenden nur vermöge der Falsettstimme möglich.

Der Umfang der Bruststimme zeigt sich durch die darüber hinausgehenden Falsetttöne nicht unerheblich erweitert. Indem aber das Falsettregister von Natur aus an Stärke und Klang wesentlich vom Brustregister sich unterscheidet, ist es eine wichtige Aufgabe für den Sänger, die letzten Töne der Bruststimme und die ersten der Fistelstimme so auszugleichen und an Klang einander so zu nähern, dass man den Übergang aus jenem Register in dieses gar nicht oder doch so wenig als möglich gewahr wird. Dass diese Ausgleichung wenigstens bis zu einem hohen Grade bewirkt werden kann, hat die Praxis mancher geschickten Sänger bewiesen, im Allgemeinen aber wird sie Frauenstimmen leichter als Männerstimmen. Doch vermögen verhältnismäßig nur sehr wenige Sänger sie so vollständig zu vollziehen, dass auch dem aufmerksamen, durchgebildeten musikalischen Gehör jeder Unterschied zwischen einem Brust- und Fisteltone entgehen sollte.

In älterer Zeit, bis ins 16. Jahrhundert hinein, musste das Falsett männlicher Stimmen Ersatz für Knaben- und Frauenstimmen bieten, wahrscheinlich weil nach der verwickelten Unterrichtsmethode in den früheren Zeiten der Mensuralmusik Knaben und Frauen nicht befähigt waren, Noten vom Blatte zu lesen. Frauen auch nicht allemal beim Kirchengesange zugelassen wurden. Deshalb wurden der Sopran und Alt von Falsettisten, den sogenannten Alti naturali (Tenori acuti) ausgeführt, und daraus erklärt sich die meist ungewöhnlich tiefe Lage dieser beiden Stimmen (vergleiche Kiesewetter, weltl. Gesang, 1841; Vorrede p. XII).

Für den Gebrauch des Falsettregisters bedient man sich auch des Ausdruckes "mit der Fistel singen".

B) An Blasinstrumenten pflegte man in früherer Zeit (Prätorius erklärt den Ausdruck, Syntagma II. 12) diejenigen Töne, welche "über eines jeden blasenden Instrumentes natürlicher Höhe oder Tiefe von einem guten Meister zuwege bracht und herausgezwungen werden können", Falsettstimme zu nennen. Also die Töne, welche über den dem gewöhnlichen Ripienisten zu Gebote stehenden Umfang des Instrumentes hinausgingen, wie z. B. auf unserer Klarinette die den Ton e3 übersteigende Tonlage, oder auf der Tenorposaune die Kontratöne von 1B-1G abwärts. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 293f]